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Letzte Chance für Kompatscher

Gamechanger oder Cliffhanger? Arno Kompatscher steht vor dem entscheidenden letzten Drittel seiner Amtszeit. Zwei Autoren bewerten seine Performance. Bilanz Nr. 1.
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Foto: Othmar Seehauser
Der Landeshauptmann ist die zentrale Figur in Südtirol. Er (eine Frau ist noch in weiter Ferne) erfüllt vier Kernfunktionen: Offiziell ist er Vorsitzender der Landesregierung, die er leitet und der er Richtlinien zuteilt; auch mitverantwortlich für Sicherheit und Ordnung. Neben seiner Exekutivrolle ist er oberster Repräsentant des Landes, das er nach innen und außen im Auftrag aller Bürger*innen vertritt. Er ist – drittens – die zentrale Figur der Minderheit, deren Partei er als ihr Spitzenmann vertritt. Eine vierte Aufgabe ist zwar nur symbolisch, aber grundlegend: Da er so zentrale Funktionen einnimmt, ist der LH auch eine Projektionsfigur. Der „Hauptmann“ personifiziert Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte und Stimmungen des Landes, mehr als in anderen Regionen Italiens, in deutschen oder österreichischen Bundesländern der Fall. Nur in Österreich erlangte ein „Landesfürst“ wie Erwin Pröll in Niederösterreich oder Eduard Wallnöfer in Tirol ähnlich mythisches Ansehen wie in Südtirol Magnago oder Durnwalder.
 
Die Pfeiler Exekutive, Repräsentation, Minorität und Projektion prägen das Bild des Südtiroler Landeshauptmanns. Von ihm gefordert werden Leadership, Führung und Orientierung, getragen von einer gerüttelten Portion Machtbewusstsein und -ausübung. Dieses Anforderungsprofil erfüllte Landeshauptmann Durnwalder in seiner Ära 1989–2014 in überreichem Maße. Mit Dominanz, die in Despotie mündete, Entscheidungsfreude und Weitblick, oft durchzogen von Eitelkeit, Gier und Geschäftemacherei. Aber das Volk liebte seinen „Durni“, da es sich in ihm wieder erkannte: Fleiß, Strebsamkeit, Erfolg, Genießerlust und Niedertracht entsprechen auch dem Südtiroler „Volks“charakter.
 
 
Dieses Anforderungsprofil erfüllte Landeshauptmann Durnwalder in seiner Ära 1989–2014 in überreichem Maße. Mit Dominanz, die in Despotie mündete, Entscheidungsfreude und Weitblick, oft durchzogen von Eitelkeit, Gier und Geschäftemacherei.
2014 erhielt Südtirol einen LH, der ganz anders schien als der Vorgänger: weitblickend, kompetent, intellektuell, aber auch weniger bürgernah, entscheidungsfreudig und schulterklopfend als der unwillig scheidende Alte. Das Land erhielt einen stetig Zweifelnden, der aber nach außen vermittelte, stets das richtige Argument auf seiner Seite zu haben. Einen LH, der – anders als der Vorgänger – wenig Sichtbares voranbrachte. Lange versprochene Vorhaben wie ein neues Gefängnis, Bibliothekszentrum, Umfahrungen, Neubauten, Ötzi-Museum blieben in der Warteschleife. Nach außen beeindruckt Kompatscher durch Verhandlungs- und Vermittlungsgeschick, womit er für Südtirol immer wieder wichtige Zuständigkeiten holte: einen finanziellen Sicherungspakt, Autonomie-Fortschritte, Steuer- und andere Vorteile. In der Migrationskrise 2015/16 und der Pandemie 2020–2022 bewies er achtbares Standing. Vor allem aber gelang es Landeshauptmann Kompatscher, die Fülle an Widersprüchen, der er, seine Politik und Partei unterlagen, nach außen als Strategie des Ausgleichs zu vermitteln. Er gab sich nachdenklich und verwies auf notwendige Kompromisse, die aber oft nichts anderes waren als wohlverpackte Halbheiten. Er betonte argumentationsstark die Pflicht verstärkten Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit, im Alltag aber erlebte der Flughafen Bozen eine Renaissance, das Land einen Bettenboom, Schipisten und Seilbahnen wurden massiv gefördert. Die seit 2013 meist ungebrochen anhaltende Konjunktur, die aus der Pandemie schnell herauskam, umgab den LH mit dem Nimbus des Erfolgs. Export- und Umsatzstärke vieler Unternehmen verdeckten aber wachsende soziale Schieflagen, Einkommensverluste und den dramatischen Brain-Drain im Lande.
Vor allem aber gelang es Landeshauptmann Kompatscher, die Fülle an Widersprüchen, der er, seine Politik und Partei unterlagen, nach außen als Strategie des Ausgleichs zu vermitteln.
Im Alltag der Regierung und politischen Praxis ist der Landeshauptmann weit von jener Teambildung entfernt, die sein Vorgänger mit Zuckerbrot und Peitsche, aber auch viel Überzeugungskraft erzielte. Durnwalder hatte über lange Phasen hinweg eine Regierung, die mit weiteren Alphastars zu guten Ergebnissen kam: Neben ihm selbst glänzten Saurer und Berger, fallweise auch Laimer und Kasslatter, Mussner war glanzlos, aber ein Exekutor von Rang. Zudem verfügte „Durni“ über einen leistungsstarken Stab von Spitzenbeamten. Kompatscher hingegen beeindruckt auch deshalb, weil er auf der Ebene von Regierung und Headquarter überwiegend von Mittelmaß umgeben ist. Zudem ist die SVP-Landtagsfraktion eine Schlangengrube gegensätzlicher Interessen, nicht aber Ausdruck einer souveränen Sammelpartei.
 
 
Im Alltag der Regierung und politischen Praxis ist der Landeshauptmann weit von jener Teambildung entfernt, die sein Vorgänger mit Zuckerbrot und Peitsche, aber auch viel Überzeugungskraft erzielte.
Im Volk aber steht der Landeshauptmann hoch im Kurs: Dank rhetorischer Brillanz, sicheren Auftritts, Problemverständnis und des von einem Touch Demut getragenen „Kompi“-Charmes fliegen ihm die Herzen zu, zumal niemand seinen Arbeitsfleiß und Einsatz in Frage stellt. Die Feindschaft, die ihm das Haus Athesia entgegenbringt, ist Wasser auf seine Mühlen, gilt doch in Südtirol: Wen Ebners ignorieren oder runtermachen, der/die kann nicht ganz schlecht sein.
 
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Seine Position wird stärker ausfallen als bisher, vielleicht auch dank eines besseren Teams von Gewählten und Koalitionären. Aber der LH wird bereits am Tag nach der Wahl liefern müssen.
Am 22. Oktober 2023 wird Kompatscher – darauf wetten wir – ein persönliches Top-Ergebnis einfahren. Es wird besser sein als 2018, zudem werden Mitkandidat*innen weiter abgeschlagen sein als vor fünf Jahren; die SVP wird schwächeln. Seine Position wird stärker ausfallen als bisher, vielleicht auch dank eines besseren Teams von Gewählten und Koalitionären. Aber der LH wird bereits am Tag nach der Wahl liefern müssen. Ihm bleiben nur mehr fünf Jahre, um mit dem Land einen Berg an Herausforderungen zukunftsweisend zu bewältigen: Klima, Demografie, Soziales, Wirtschaft – die Lage Italiens und der Welt gebieten auch in Südtirol einen immensen, bisher unerhörten Kraftakt. Die kommenden Jahre entscheiden über Kompatschers Platz in der Geschichte, vor allem aber über die Zukunft des Landes.
 
Hans Heiss ist Historiker und ehemaliger Landtagsabgeordneter.
 

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