Wirtschaft | Interview

"Wachstum heißt nicht Profitmaximierung"

Menschen denken und handeln oft ökonomischer, als sie selbst glauben. Ein Gespräch mit Ralph Lüfter über Ethik und Ökonomie und darüber, dass Verantwortung viele Facetten haben kann – auch eine ökonomische.
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Foto: pixabay, GDJ
  • Ethik und Ökonomie scheinen auf den ersten Blick zwei gegensätzliche Konzepte zu sein. Ralf Lüfter von unibz erläutert, dass Menschen oft ökonomischer denken und handeln, als sie selbst glauben und dass Verantwortung viele Facetten haben kann – auch eine ökonomische.  

     

    SALTO: Professor Lüfter, Verantwortung hat jeder für irgendjemanden oder irgendwas. Was aber versteht man unter ökonomischer Verantwortung?

    Lüfter: Verantwortung ist ein Schlüsselbegriff der letzten hundert Jahre. Vor allem im Bereich der Ethik ist er spätestens seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zu einem Leitbegriff avanciert. Wir kennen ihn beispielsweise aus der Wendung „soziale Verantwortung“. Der Verantwortungsbegriff gewinnt eine wichtige Rolle beim Versuch soziale Gerechtigkeit, zusammen mit ökologischem Gleichgewicht und ökonomischer Stabilität zu verwirklichen. Der Verantwortungsbegriff ist übrigens nicht nur der Ethik zuzuordnen: es gibt eine soziale Verantwortung, eine ökologische Verantwortung, eine ökonomische Verantwortung, aber auch so etwas wie eine rechtliche oder eine politische Verantwortung. Es gibt also in verschiedenen Bereichen, verschiedene Arten der Verantwortung. Bei unserer Veranstaltung fragen wir uns, wann ökonomische Verantwortung ethisch relevant wird.

     

    Normative Systeme sind immer  Ausdruck eines ethischen Verständnisses, sofern sie auf Freiheit, Gerechtigkeit, und Menschenwürde bauen.

  • Zur Person

    Ralf Lüfter stammt aus Bruneck und ist Assistenz-Professor für Philosophie und Ethik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Bozen.  2022 erschien sein Buch mit dem Titel „The Ethics of Economic Responsibility“ im Routledge-Verlag. In Kürze erscheint sein Buch „Das Ende der Notstandsethik. Zur Konstitution transformativen Wissens" im Verlag Königshausen & Neumann. Auch darin widmet sich Lüfter dem Verantwortungsbegriff.

    Foto: unibz
  • Wirtschaft und Ethik berühren sich ja bei so spannenden Themen wie: Arbeitnehmerrechte, Menschenrechte und Verteilungsgerechtigkeit. Damit das gewährleistet werden kann, braucht es Spielregeln, also Rahmenbedingungen. Wie müssen die beschaffen sein, dass Unternehmen sie nicht einfach umgehen können?

    Das ist eine interessante Frage. Aus der Ethik heraus habe ich dafür unmittelbar keine Handhabe, denn ich erlasse keine Gesetze und kann auch im Nachhinein niemanden sanktionieren. Aber in der Tat ist es eine wichtige Frage, wie das, was als ethisch relevant erachtet wird, dann in ein normatives System gebracht  wird und daraus Regeln und in einigen Fällen sogar Gesetze werden. Umgekehrt sind normative Systeme ihrerseits aber immer schon Ausdruck eines bestimmten ethischen Verständnisses, sofern sie nicht der bloßen Willkür entspringen, sondern auf Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde bauen.

     

    Hauptaussage der Friedman-Doktrin war: die soziale Verantwortung eines Ökonomen bestünde darin, Profit zu generieren. Ich denke, das würde heute niemand mehr offen in dieser Weise sagen.

     

    Haben Sie da vielleicht ein Beispiel, um das zu veranschaulichen?

    Ich denke da an die so genannte Friedman-Doktrin. Milton Friedman hat in den 1970er Jahren einen viel beachteten Artikel im "New York Times Magazine"  veröffentlicht. Hauptaussage war: die soziale Verantwortung eines Ökonomen bestünde darin, Profit zu generieren und zu steigern. Ich denke, das würde heute niemand mehr offen in dieser Weise sagen, sondern würde es in andere Verantwortungskontexte einbetten – in den Ökologischen zum Beispiel, denn wir haben ja Verantwortung gegenüber der Natur und den kommenden Generationen. Ob dementsprechend entschieden und gehandelt wird, steht auf einem anderen Blatt.  Natürlich gehört zu dieser Verantwortung auch die ökonomische Stabilität und ökonomische Stabilität hat mit Wirtschaftswachstum zu tun. Und Wachstum heißt nicht Profitmaximierung, sondern auch soziale und ökologische Weiterentwicklung.

  • Die Veranstaltung

    Die „Ethik der ökonomischen Verantwortung“ heißt eine Veranstaltung der Freien Universität Bozen am 21. und 22. November in Bozen. Im Mittelpunkt steht die Bedeutung der Verantwortung im Kontext ökonomischer Theorien und Praktiken. Während der zweite Tag im Stile einer klassischen Fachtagung abläuft, findet am ersten Tag eine Podiumsdiskussion statt. Gäste sind hier unter anderem Heinz Peter Hager von Hager & Partners, Monica Devilli, die Präsidentin von Coopbund und der Jungunternehmer Thomas Longo von Rotolongo.

  • Anders gesagt: Wirtschaftspraktiken, die von einer großen Gruppe als gut und richtig erachtet werden, erfahren dadurch Legitimation und können danach in Gesetze gegossen werden?

    Genau. Und wir stellen nun auf der ethischen Ebene noch die Frage: warum halten wir eigentlich etwas für richtig oder für falsch und wie wird dies dann zu einer Sitte, zu einem Brauch oder zu einer Gewohnheit.

    Sie fragen sich also, warum wir uns heute das Leben so schwer machen, wo doch vor 50 Jahren unter Ökonomen die Profitmaximierung als ethisches Ziel ausgereicht hat?

    Schauen Sie, ab den 70er Jahren haben wir die Entwicklung hin zur Globalökonomie erlebt, eine Internationalisierung, die über die Nationalstaaten an Bedeutung gewinnt und sich global organisiert. 1972 erscheint aber auch der Bericht zur Lage der Menschheit mit dem Titel: „Die Grenzen des Wachstums“ und 1979 erscheint das Buch „Das Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas mit dem Versuch eine ökologische Ethik zu begründen. In den 80er Jahren folgt der Brundtland-Report „Our common future“, in dem der Nachhaltigkeitsbegriff geprägt wurde, bis hin zur Agenda 2030 mit den 17 Nachhaltigkeitszielen.

     

    Dass es Ermüdungserscheinungen bei der Verwendung des Begriffs "Nachhaltigkeit" gibt und dass es jemanden gibt, der Sonntagsreden darüber hält oder es als Marketingstrategie verfolgt - das ist halt so.

     

    Bewegung und Gegenbewegung?

    Wahrgenommen wird es so. Aber eigentlich sind es Entwicklungen, die zeitlich parallel verlaufen. Einerseits Globalökonomie, andererseits das Erwachen eines gesellschaftlichen Interesses an sozialer Gerechtigkeit und ökologischem Gleichgewicht.

    Sie haben die Nachhaltigkeit angesprochen, sie ist auch ein großes Thema in Südtirol. Südtirols Vermarktungsagentur hat die Parole ausgegeben, dass Südtirol zum begehrtesten nachhaltigen Lebensraum Europas werden soll. Welche Rolle spielt der Nachhaltigkeitsgedanke bei Ihrer Veranstaltung?

    Bei unserer Veranstaltung steht Nachhaltigkeit nicht explizit im Fokus. Die unibz widmet sich dem Thema Nachhaltigkeit in vielen Forschungsprojekten in ganz unterschiedlichen Bereichen. An unserer Fakultät haben wir ein Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit. Der Nachhaltigkeitsimperativ ist etwa zeitgleich mit dem Begriff der ökonomischen Verantwortung aufgekommen. Der Nachhaltigkeitsbegriff scheint eine Antwort auf bestimmte Notwendigkeiten zu versprechen. Wie er dann verwendet wird, ist eine andere Sache. Nachhaltigkeit ist eines der größten politischen Projekte, welches es je gegeben hat. Die 17 Nachhaltigkeitsziele wurden von den Vereinten Nationen vorgegeben und werden jetzt international, national, regional und sogar kommunal umgesetzt. Dass es da Ermüdungserscheinungen bei der Verwendung des Begriffs gibt und dass es jemanden gibt, der Sonntagsreden darüber hält oder es als Marketingstrategie verfolgt - das ist halt so. Wichtiger scheint mir, dass wir die Nachhaltigkeit als einen unbestrittenen Leitwert der letzten Jahre so verstehen und auslegen lernen, dass er uns im Hinblick auf die noch offene Zukunft hilfreich sein kann und nicht seinerseits in leeren Formeln erstarrt.

     

    Uns interessiert nicht, ob Atomkraft Teufelswerk oder Heilsversprechen ist, uns interessiert, was dazu führt, dass sie einmal als Teufelswerk und einmal als Heilsversprechen gesehen wird.

     

    Als die Atomkatastrophe in Fukushima war, haben die Staaten plötzlich gesagt: Um Himmels Willen, wir müssen raus aus der Atomenergie. Mittlerweile gilt die Atomenergie wieder als „grün“. Wie ist es da um Ethik, Nachhaltigkeit und Verantwortung bestellt. Die Regierungen waren ja hier von der Panik in der Bevölkerung zu Getriebenen geworden….

    …Das ist ein interessantes Beispiel. Hier entstand ein so starker Druck, dass Atomkraft unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten von einem Tag auf den anderen als die schlechteste aller Lösungen dastand. Uns interessiert jetzt nicht, ob Atomkraft Teufelswerk oder Heilsversprechen ist, uns interessiert, was dazu führt, dass sie einmal als Teufelswerk und ein paar Jahre später als Heilsversprechen gesehen wird. Der Mensch verhält sich ökonomischer als er manchmal selbst von sich denkt…

    …und jetzt hat sich die geopolitische Situation so verändert, dass Gas teurer und Atomenergie dadurch weniger gefährlich erscheint….

    Das hängt zusammen – oder um mit dem Verantwortungsbegriff zu arbeiten: warum glaubten wir vor etwas mehr als zehn Jahren, Atomenergie nicht mehr verantworten zu können und warum glauben wir heute, dass das wieder möglich ist?

    Weil jedes Glück einen kleinen Stich und alles einen Haken hat? 

    Genau. Darum ist es so wichtig, dass wir genau analysieren, warum wir glauben, dass wir etwas verantworten können. Wenn wir das verstanden haben, versetzen wir uns in die Lage, Entscheidungen im Hinblick auf ihre Voraussetzungen und Implikationen so zu analysieren, dass sie in dem Sinne zukunftsfähiger werden, dass sie das, womit wir heute nicht rechnen können, ein Stück weit mitdenken.

     

    Ökonomische Begründungen in unserer Zeit sind starke Argumente.

     

    Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe und alles zusammenfügen, geht es also bei Ihrer Veranstaltung nicht um Kapitalismuskritik?

    Nein. Es geht überhaupt nicht um weltanschauliche Kritik egal welcher Art. Unser Zeitalter ist sehr stark von ökonomischen Überlegungen geprägt. Ökonomische Begründungen in unserer Zeit sind starke Argumente. Das Ökonomische ist aber auch negativer behaftet als das Soziale oder das Ökologische. Wir müssen aber einsehen, dass der Mensch ein ökonomisch handelndes Wesen ist und deshalb dürfen wir Ökonomie nicht verteufeln, sondern müssen versuchen dieses Handeln ethisch zu gestalten. Und wie das gelingen kann, darum geht es bei unserer Veranstaltung.

    Professor Lüfter, wir danken für das Gespräch.

Ethik und das menschliche Handeln, - soo interessant! - da öffnet sich eine Frage um die andere....
Zum Beispiel, weil aktuell:
Wann genau wird das Politische, das Ökonomische, das Technische zu einer Frage der Ethik ?

Sa., 09.11.2024 - 10:01 Permalink

summa summarum am Ende: “Wir müssen aber einsehen, dass der Mensch ein ökonomisch handelndes Wesen ist und deshalb dürfen wir Ökonomie nicht verteufeln, sondern müssen versuchen, dieses Handeln ethisch zu gestalten”.

Des Pudels Kern.

Sa., 09.11.2024 - 10:48 Permalink

Ökonomie vom griechischen Oikos = Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft.
So verstanden ist Ökonomie wie die Luft zum Atmen. Kein Mensch würde die Luft verteufeln, von der er lebt.

Im Oikos beachtet der umsichtige Hausherr / die Hausfrau alle Aspekte der Hausgemeinschaft: das Wohlergehen der Pflanzen im Garten, der Menschen in der Familie, der Gäste und Schutzsuchenden, der Tiere.
Es werden Werte, Glauben, Solidarität, Würde, langfristiger Nutzen, Gemeinschaft, Ausgewogenheit der Interessen un den Fokus genommen.
Man denkt an Rücklagen für Krisenzeiten und wirft das Geld nicht zum Fenster raus.
Das sind alles Spielarten der Ökonomie.
Wenn die Balance nicht gegeben ist, entstehen Gier, Neid, Unfriede.
Das Feindbild heute ist die auf Gewinn, Ausbeutung, Geldgier und Macht reduzierte Okonomie, welche viel mehr schadet als nützt.
Wir sollten alle lernen, dieses sinnentlwerte ökonomische Denken abzustreifen. Um daraus neue Regeln und Gesetze zu entwickeln, welche dann eine neue Normalität darstellen.

Sa., 09.11.2024 - 12:10 Permalink

Das NEO-LIBERALE - WIRTSCHAFTs-SYSTEM treibt zunehmend mehr Menschen mit einem normalen ARBEITs-Verhältnis in die Armut + die unbezahlte Arbeit in den Familien + Vereinen, wird über perfide Pensionsgesetze ausgedehnt.
Es braucht wie Herr Engl schreibt, "ein besseres System um allen Menschen gerecht zu werden + das Treiben der Börsen der Börsen mit Steuern -zu steuern- + die Schaufelung von Vermögen nach ganz Oben zu unterbinden!"

Mo., 11.11.2024 - 07:50 Permalink