HouseEurope!
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Text: Thomas Huck
(Dieser Text passiert auf einem Interview im Arch+ Magazin #256 Umbau–Ansätze der Transformation 07/2024 und gibt teils wichtige Kernaussagen davon als Auszüge wieder)
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Als dieser Artikel heute um 4:30 in der Früh online ging, war es genau zwei Jahre her, dass in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Bagger die Militärkaserne in Schlanders eingedrungen sind und sie plattmachen wollten.
Laut muss es gewesen sein, als die nächtliche Ruhe im Vinschgau plötzlich gestört wurde und genauso laut war der Diskurs nach dem Abrissstopp auf beiden Seiten. Auch die Unterschutzstellung von Teilen der ramponierten Kaserne wurde noch stark medial begleitet. Dessen Aufhebung mittels Rekurses durch die Gemeinde jedoch war kaum noch zu hören. Und jetzt herrscht wieder stille. Nicht weil die meisten noch schlafen, sondern weil das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Wichtigkeit des Themas fehlt. Doch das muss sich ändern! Während es für sauberes Wasser, Lebensmittel oder Recycling ein kollektives Verständnis gibt und die Bedeutung derer Verschwendung für das eigene Leben verstanden wird, fehlt das hier noch. Deshalb startet die Europäische Bürgerinitiative HouseEurope! 2025 eine europaweite Kampagne, um breitenwirksam ein Bewusstsein zu schaffen, für das Thema Umbauen und Weiterbauen. Denn noch immer ist zu wenig bekannt, wie viel Potenzial und Energie mit einem Abbruch vernichtet wird, physikalisch und auch gesellschaftlich!
Erhalten ist immer nur temporär, während ein Abbruch endgültig ist
Dies merkt man auch in Schlanders, wo Aussagen des Bürgermeisters mich hellhörig machten. Ein neues Sanierungsprojekt für die Kaserne wurde vorgestellt. Also wird sie doch noch erhalten? Nein, Sanierung wird hier für Abbruch und Neubau missbraucht. Man „saniert“ den Boden vor dem Schaden „Bestand“. Also wird sie doch abgerissen! Wie man hier gut sieht, ist ein Erhalten immer nur temporär, und ständig neu zu erkämpfen, während ein Abbruch endgültig ist. Umso wichtiger also der Denkmalschutz, sollte man meinen. Dass die Landesregierung aber keinen Rekurs einlegte, dürfte niemanden überrascht haben; immerhin hat sie in der Zwischenzeit auch die Unterschutzstellung der Bahnhofsremise in Kaltern klar abgelehnt und deren endgültigen Abriss besiegelt. Kurz: Denkmalschutz ja, aber bitte nur, wenn er nicht stört. Allein die Tatsache, dass die souveränen Entscheidungen der Soprintendenz[1] der politischen Beurteilung unterworfen werden, macht sie eigentlich schon überflüssig und beweist, dass die Politik eigentlich kein Freund des Denkmalschutzes ist.
Das versteh ich, bin ich nämlich auch nicht!
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Den in der oben genannten Initiative geht es nicht um Denkmalschutz, es geht um den Wert des Bestandes. Eine reine Unterschutzstellung der Militärkaserne in Schlanders wäre vermutlich genauso dumm wie deren Abriss. Vielmehr geht es um Umnutzung und sozial-ökologischer Transformation. Es gilt bereits investierte Energie zu nutzen und zu erhalten, um für die Zukunft gerüstet zu sein und nicht ständig wieder von vorne anfangen zu müssen. Doch genau das ist es, dass die Baubranche und anscheinend wir alle so sehr mögen. „Zwar findet der Paradigmenwechsel von Abriss und Neubau hin zu einer breit verankerten Kultur des Erhalts und Umbaus von Gebäuden zumindest im Bewusstsein der Fachöffentlichkeit langsam Widerhall, sind wir in der Praxis noch weit davon entfernt. Von einer „Renovation Wave“, wie sie die EU bis 2030 als Teil des Green Deal umsetzen will, sind wir sogar meilenweit entfernt.“ Mit gerade mal 1Prozent Renovierungsrate in der EU, ist die Abrissrate sicherlich wesentlich höher. Denn während Abrisse Großteiles ohne Genehmigung und Prüfung erfolgen, ist kaum eine Renovierung oder sonstiger Umbau möglich ohne eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit. Dieses Bild ist jedoch lückenhaft. So werden bei Neubauten Lieferkettenprobleme, Materialknappheiten, Ökobilanz des Abbruches in kleinster Weise vorher geprüft, einkalkuliert oder budgetiert.
Es geht um den Wert des Bestandes
Genau diese Punkte will die Europäische Bürgerinitiative angehen. “Es reicht nicht aus, die Lücken im Recht zu finden oder Handlungsspielräume aufzuzeigen, um die notwendige umfassende sozialökologische Transformation des Bausektors zu schaffen. […] Mit unserer Initiative reagieren wir auf die begrenzte Wirkung nationaler und bilateraler Klimaschutzvereinbarungen im Zusammenhang mit der globalen Herausforderung der Klimakrise, indem wir die Debatte und Maßnahmen auf europäischer Ebene verhandeln, [um] Einfluss zu nehmen und gesetzliche Rahmenbedingungen zu fordern, die den Abriss für Neubau begrenzen und stattdessen den Erhalt und Umbau von Gebäuden fördern“[1]. Ziel ist es, Regelungen zu vereinfachen und damit günstiger und sozialer zu gestalten. So wie es in Deutschland den „Gebäudetyp E“ gibt - der einfacheres und experimentelles Bauen ermöglicht - soll ähnliches für Umbauten erreicht werden. “Obwohl direkte Eingriffe in lokale Bauvorschriften außerhalb der EU-Kompetenz liegen, gibt es eine Basis, auf der europäische Regelungen zur Förderung von Renovierung und Umbau entwickelt werden können, um den Bau- und Wohnungsmarkt nachhaltiger zu gestalten, vor allem durch Gesetze, die den Verbraucherschutz, Umweltschutz und den Binnenmarkt betreffen. Vor diesem Hintergrund haben wir mit unseren Anwälten zentrale Stellschrauben ausfindig gemacht. Wir fordern ein „Right to Reuse“, ein Recht auf Wiederverwendung bestehender Gebäude. Wie beim „Right to Repair“ wird also dem Gebäude das Recht eingeräumt, geschützt, renoviert, um und weitergebaut zu werden.“Dies soll über drei Punkte erreicht werden:
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(I) Steuerermäßigungen für Renovierungsarbeiten und wiederverwendete Materialien:
Wie bereits in einigen Saaten möglich, soll eine Reduzierung der Mehrwertsteuer für Renovierungsarbeiten eingeführt und für wiederverwendete Materialien sogar ganz aufgehoben werden. Denn diese wurde eigentlich schon beim Erstverkauf bezahlt und seitdem wurde es weder aufgewertet noch ein Mehrwert in das Produkt eingearbeitet.
(II) Faire Regeln zur Bewertung bestehender Gebäude:
Banken schätzen Aufgrund, Normen, Daten und Risikoeinschätzungen in ihrer Kalkulation Bestandsgebäude anders ein, was die Finanzierung von Renovierungen deutlich teurer macht als die von Neubauten. Dadurch entsteht ein systematischer Nachteil, den es zu beseitigen gilt.
(III) Neue Werte für den eingebetteten CO₂-Ausstoß in bestehenden Strukturen:
Hier will man CO₂, das in bestehenden Gebäuden eingebettet ist, einen Wert zuweisen. Dadurch wird der Abbruch eines Gebäudes, vor allem der tragenden Struktur und der Bauteile, in denen so und so viel Prozent des CO₂ stecken, unattraktiv, weil man doppelt CO₂ emittieren würde: zeitlich rückwirkend im Hinblick auf den Bestand und projektiv mit Bezug auf den Neubau.
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Ein Beispiel für Punkt zwei ist das Projekt „Brunnenstraße 9 in Berlin-Mitte“ von Arno Brandlhuber, einem Mitinitiator des Projektes, der bereits in den 00er Jahren einen „abbruchreifen Keller“ kaufte und durch einen mehrstöckigen Neubau ersetze. Dafür benötigt er 20% Eigenkapital für einen Kredit der Bank. Er kalkulierte Abbruch und Neubau des Kellers mit ein und ließ ihn nachher aber stehen und brachte so seine 20% Eigenanteil mit ein. Dies ging nur, weil er das notwendige Geld trotzdem nachweisen konnte. Warum kann man aber nicht gleich einen Bestand als Eigenkapital für ein Bauvorhaben anerkennen?
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Grundsätzlich gehe es also nicht um ein generelles Abriss- noch Neubauverbot, ähnlich dem Abrissmoratorium (2022), mit dem sich ein Teil der Fachwelt an das deutsche Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gerichtet hat. Sonden darum, faire Regeln für beiden Seiten zu schaffen. Denn bereits heute werden teils schon 50% des Architekturmarktes aufgrund Planungsleistungen im Bestand erwirtschaftet. „Im Renovierungsland Italien sind es sogar 84% (vgl. die 2022 veröffentlichte Sector Study des Architects’ Council of Europe)“ Das mag viel klingen, handelt es sich jedoch nicht um den Umsatz aller Planenden, sondern leider lediglich der Architektenbüros und schon gar nicht der Baubranche! Diese profitiert nämlich mit unserem Wirtschaftssystem viel mehr von Abriss und Neubau, weil das doppelt zum Wirtschaftswachstum beiträgt: „Einmal durch den Abriss und einmal durch den Neubau“. Die Frage ist jedoch, auf wessen Kosten das langfristig geht, „wenn Materialien trotz der damit einhergehenden zunehmenden sozialen und ökologischen Konflikte als käufliche und scheinbar unendlich verfügbare Ressourcen gehandelt“ werden.
Dringlichkeitsverordnung zur Renovierung und Nutzung
Ein weiterer Output unseres Wirtschaftssystems im Bausektors ist Leerstand und damit einhergehende eine künstliche Wohnungsknappheit. Zehn bis zwanzig Prozent aller Gebäude in Europa stehen lt. Schätzungen leer. Und ein Hauptgrund dafür ist die Abriss-und-Neubau-Mentalität. Denn was passiert, wenn sich der Abriss einer Immobilie (noch) nicht rentiert, weil die Abrisskosten höher wären als der mögliche Ertrag des Neubaues? Man lässt das Gebäude leer stehen und wartet oder anders ausgedrückt, man last es zerfallen. Und zwar so lange, bis den Abriss durch den Zerfall günstiger wird oder die möglichen Erträge steigen. Solange die Gleichung am Ende stimmt, spielt Zeit dabei eine untergeordnete Rolle. Wenn man also diese Mentalität durch finanzielle, gesetzliche und strukturelle Anreize ändert und Erhalt aktiv reaktiviert, verschwinden die Zeiträume, in denen Gebäude aus rein finanzmathematischen Gründen leer stehen.
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Die 2022 gegründete, gemeinnützige Initiative HouseEurope! setzt sich für die sozial-öko-logische Transformation des Gebäudebestands in Europa ein. Sie entstand aus der praktischen Arbeit von bplus.xyz in Berlin sowieder Forschung und Lehre von station.plus (D-ARCH) an der ETH Zürich. Als Policy Lab entwickelt HouseEurope! Gesetzgebungs-vorschläge auf EU-Ebene, um den Abriss von Gebäuden zukünftig einzudämmen und stattdessen den Umbau zu fördern. Mit dem Instrument der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) bringt HouseEurope! dieses Anliegen nun direkt zu den Bürger*innen, um aktiv Einfluss auf die demokratische Gestaltung unserer Umwelt zu nehmen.
Die Europäische Bürgerinitiative HouseEurope! startet 2025 eine europaweite Kampagne, um breitenwirksam ein Bewusstsein für das Thema Umbau zu schaffen. Eine Million Stimmen müssen mobilisiert werden, um den Vorschlag der legislativen Begünstigung von Umbau und Renovierung bei der EU-Kommission einbringen zu können.
Weitere Informationen zur Initiative und wie man sich ihr als Privatperson oder Institution anschließt, finden sich unter www.houseeurope.eu
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Wenn man es also schafft, aus Betongold Bestandsgold zu machen, hätte vermutlich schon längst jemand die leerstehende Militärkaserne in Schlanders vor Jahren an sich gerissen und (um)genutzt. Dann wäre es nie zu einem Abbruch durch eine Dringlichkeitsverordnung gekommen, weil man Gefahr in Verzug durch die Verwahrlosung sah. Und wenn doch, dann wäre es vermutlich eine Dringlichkeitsverordnung zur Renovierung und Nutzung geworden.