Politik |  Kein "Grexit "

Wie links ist Alexis Tsipras wirklich?

Bei den bevorstehenden Parlamentswahlen in Griechenland zeichnet sich ein deutlicher Sieg der Linkspartei Syriza von Alexis Tsipras ab. Europas Konservative zittern.

Mit jedem Tag, der seiner wahrscheinlichen Machtübernahme in Athen näherrückt, scheint mir Alexis Tsipras zahmer und patriotischer zu werden. Gestern (Donnerstag) Abend war ich am Omonia-Platz in Athen, wo Tsipras vor zehntausenden Athenern seinen Wahlkampf abschloss. "Bürger von Athen!", rief er mehrmals, "helft uns, das Schicksal Griechenlands wieder selbst in die Hand zu nehmen. Unsere Heimat ist ausgeblutet worden, sie ist verarmt, am Boden zerstört. Die von Brüssel angeordnete Austeritätspolitik hat das angerichtet. Nur wenn ihr uns am Sonntag wählt, können wir eine Wende herbeiführen!"

Wie diese Wende genau aussehen wird, hängt davon ab, wieviele Stimmen Syriza erhält. Wenn sie die 37 Prozent Marke erreicht, kann sie allein regieren. Sonst braucht sie Koalitionspartner, um die absolute Mehrheit im Parlament zu bekommen. Acht kleine Oppositionsparteien haben sich bereit erklärt, Syriza im Parlament zu unterstützen. Und das ist das Problem. Denn mit so vielen Koalitionspartnern kann Alexis Tsipras kaum große Erfolge erreichen. Zwar ist der promovierte Bauingenieur und legendäre Studentenführer ein brillanter und hochintelligenter Politiker. Doch weiß er auch um die Streitlust der Linken und die Gefahr, dass die angekündigten Sozial-Reformen zu Tode diskutiert werden. 

Deshalb sucht Tsipras die Unterstützung der verarmten Mittelschicht, die "Syriza" wählen wird, um ihren Protest gegen die Sparpolitik der EU kundzutun und nicht etwa, weil sie "links" ist. Diese Menschen waren am Donnerstag Abend sehr zahlreich bei der Abschlussveranstaltung von Tsipras vertreten. Sie sind skeptisch. Sie jubeln Tsipras nicht zu, wie ich selbst beobachten und aus Gesprächen erfahren konnte. Doch werden sie ihn wählen, sozusagen als "ultima ratio", um  die letzte noch mögliche politische Karte zu spielen. 

An diese Wähler wandte sich der redegewandte Syriza-Chef, als er am Donnerstag versprach, die Bankguthaben der Griechen NICHT anzutasten. Dieses Schreckgespenst hatte Nea-Demokratia-Ministerpräsident Antonis Samaras während des Wahlkampfs an die Wand gemalt. Er warnte vor einem Regime, das mit einem eigenen Heer die Bürger ausrauben werde und sagte Zustände wie in Nordkorea voraus.

Samaras ist laut Indiskretionen aus seinem engsten politischen Umfeld schwer beleidigt mit EZB-Chef Mario Draghi. Dieser hatte am Donnerstag auch Griechenland in die massiven Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB einbezogen. Zunächst hatte es geheißen – und Samaras hatte damit spekuliert –, dass die EZB wegen eines drohenden Staatsbankrotts durch eine Machtübernahme der Linken in Athen KEINE griechischen Staatsanleihen kaufen würde.  

Am Donnerstag dann die große Überraschung, die Syriza einen neuen Auftrieb bescherte. Denn die Entscheidung Draghis signalisiert, dass die EZB einem Wahlsieger wie Alexis Tsipras durchaus über den Weg traut. Das Kapital setzt gewöhnlich auf die Wahlsieger, das ist in Griechenland nicht anders. Auch wenn die Vorzeichen nicht günstig sind. Denn Griechenland muss für letzte internationale Hilfszahlung weitere Reformen, beziehungsweise Kürzungen, vornehmen. Das ist, selbst nach Meinung konservativer Ökonomen, kaum noch möglich, ohne das Land in die totale Verzweiflung und Armut zu treiben. Deflation und Arbeitslosigkeit haben das Sozialgefüge der griechischen Gesellschaft zerstört. Die Reallöhne sind um 30 Prozent gesunken, die öffentlichen Dienste sind verrottet.

Ohne die internationalen Hilfszahlungen kann der Staat seinen laufenden Verpflichtungen (Kreditrückzahlungen eingeschlossen) nicht nachkommen. Gleichzeitig verspricht Alexis Tsipras staatliche Unterstützung für ebenjene Menschen, die durch die Brüsseler Sparpolitik auf der Straße gelandet sind. So sollen die Armen Gratis-Strom bekommen. Hundertausende gepfändeter Erstwohnungen sollen durch Umschuldung und Krediterleichterungen den Besitzern zurückgegeben werden. Das sind nur einige der angekündigten Massnahmen, doch sie müssen finanziert werden. Der Ankauf griechischer Staatsanleihen würde diese dringend notwendigen Sozialleistungen ermöglichen.  

Alexis Tsipras weiß um die fast unüberwindlichen Hürden, die er zu bewältigen hat. Deshalb seine leiseren Töne, am Abend der Abschlussveranstaltung. Blauer Anzug, hellblaues Hemd, eine Kulisse mit vielfarbigen Menschen-Silhouetten, die rote Farbe  als Hintergrund für das Syriza-Logo und viel  internationale Musik: für eine gefürchtete Revoluzzerpartei eher harmlos. Auch die professionell konzipierten Wahlspots und Wahlplakate lassen Rückschlüsse auf die staatstragenden Absichten des vermutlichen Wahlsiegers zu. 

Die Frage ist nur, ob ihm die bunt versprengte linke Oppositionellenszene da nicht einen Strich durch die Rechnung macht. Denn dort herrscht eine  Euphorie, die nur den Wahlsieg als solchen im Blickfeld hat und nicht die anschließenden Schwierigkeiten. Diese Euphorie hat in den letzten Tagen frustrierte Linken-Gruppen aus vielen europäischen Ländern nach Athen gezogen. Sie fiebern dem Syriza -Wahlsieg entgegen, um das eigene Versagen besser verkraften zu können.