Chronik | Verkehrssicherheit

„Kein Land von Heiligen“

Nach dem Busunglück in Spanien mit 13 Toten stellt sich die Frage: Wie ist es in Südtirol um Lenk- und Ruhezeiten der Busfahrer bestellt?

Wenn jemand eine Busreise tut, dann muss er auch in Südtirol damit rechnen, dass der Fahrer mit den Lenk- und Ruhezeiten nicht ganz im Reinen ist. Was die Einhaltung der einschlägigen EU-Vorschriften anbelangt, ist Südtirol „kein Land von Heiligen“, sagt der Leiter des Landesarbeitsinspektorates, Sieghart Flader. Denn: „Das Inspektorat führt kaum Kontrollen durch, bei denen kein Verstoß festgestellt wird.“ Lenk- und Ruhezeiten und Mindestpausen sollen sicherstellen, dass Berufsfahrer, die andere Menschen befördern, sich nicht übermüdet ans Steuer setzen. Die Gefahren: Sekundenschlaf und zu lange Reaktionszeiten in Risikosituationen.

Sekundenschlaf war offenbar der Auslöser des Unfalls, der am vergangenen Sonntag (20. März) in der Nähe der katalanischen Stadt Tarragona 13 Erasmus-Studentinnen, darunter sieben junge Italienerinnen, in den Tod riss. „Es tut mir leid, ich bin eingenickt“ sagte der Lenker des spanischen Unglücksbusses zu den Behörden. Ob der Schlaf ihn übermannte, weil er die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten hatte, werden die Ermittlungen zeigen.

Für Berufsfahrer, die eine Strecke von mehr als 50 Kilometer zurücklegen und ein Fahrzeug mit mehr als neun Sitzplätzen lenken, gelten laut EU-Verordnung 561/2006 u. a. folgende Regeln: Die Tageslenkzeit darf neun Stunden nicht überschreiten, wobei auch das vorübergehende Stehen des Fahrzeugs (etwa im Stau) als Lenkzeit gilt, nach spätestens 4,5 Stunden ist eine Pause einzulegen, un pro Woche darf ein Fahrer nicht mehr als 56 Stunden im Einsatz sein. Außerdem muss jeder Fahrer tägliche und wöchentliche Ruhezeiten einhalten. „Statistisch gesehen bricht ein bis zwei Mal im Monat jeder Fahrer diese Regeln“, sagt Amtsdirektor Flader.

„Wer behauptet, er hält alle Ruhepausen ein, der sagt nicht die Wahrheit“, gibt auch Thomas Rauch vom Südtiroler Busunternehmen Rauch Reisen zu. „Ein klassisches Beispiel sind die Grenzkontrollen in Kiefersfelden auf der Fahrt zum Flughafen München. Wenn ich da eine halbe Stunde an der Grenze stehe und mir die als Lenkzeit berechnet wird, dann überschreite ich das 4,5-Stunden-Limit für pausenloses Lenken“, erklärt der Unternehmer, der sich in seinen Bussen selbst hinters Steuer setzt. In Südtirol werde „rigoros gestraft“. Bei schwereren Verstößen bewegen sich die Strafen zwischen 500 und 5.000 Euro. Rauch: „Damit ist nicht zu spaßen.“

Kontrolliert werden bei den Inspektionen die Fahrtenschreiber, die heute zum Großteil digital sind. Das Arbeitsinspektorat lässt sich die Daten vorlegen, die das Unternehmen in der Zentrale von der persönlichen Fahrerkarte jedes Lenkers herunterlädt. Ungefähr 24.000 Fahrtenschreiber überprüft das Arbeitsinspektorat pro Jahr - das entspricht rund vier Prozent der Arbeitstage am Steuer. Diesen Prüfungen vorgelagert sind die Kontrollen der Straßenpolizei. „Jeden Tag halten wir Lkw und Busse auf und überprüfen deren Fahrtenschreiber“, heißt es in der Einsatzzentrale in Bozen. In letzter Zeit führt die Straßenpolizei bei Busunternehmen, die Schülerfahrten duchführen, verstärkt präventive Kontrollen durch. Dazu gibt es ein eigenes Einvernehmensprotokoll, das Unterrichts- und Innenministerium unterzeichnet haben.

Sollen Überschreitungen der Lenkzeiten vermieden werden, muss das Reiseunternehmen unter Umständen auf längeren Fahrten zwei Fahrer statt nur einen einsetzen oder dem Bus, der gerade unterwegs ist, einen Fahrer entgegenschicken. Das verursacht zusäzliche Kosten. Deshalb kommt es schon mal vor, dass ein Fahrer mit zwei oder mehr Fahrerkarten unterwegs ist. Ist seine Lenkzeit abgelaufen, steckt er die Karte eines Kollegen in den Fahrtenschreiber, und die Reise kann weiter gehen. „Das ist auch in Südtirol Gang und Gäbe“, berichtet Flader. „Oder aber der Fahrer kombiniert Lenkzeiten mit großen Bussen und Lenkzeiten mit Neunsitzern, für die die strengen Regeln nicht gelten.“ Verstöße gibt es nach Auskunft des Amtsdirektors sowohl im öffentlichen als auch im gewerblichen Personenverkehr.

Zu den Ursachen des jüngsten Busunglücks in Spanien lassen sich aus heutiger Sicht nur Vermutungen anstellen. „Ich persönlich würde jedenfalls Nachtfahrten von Busreisegruppen verbieten, denn die meisten Unfälle dieser Art passieren im Morgengrauen“, sagt der Busunternehmer Rauch, der seit 1998 im Geschäft ist und 80 Prozent seines Umsatzes mit dem Flughafen-Zubringerdienst Südtirol-Bus erwirtschaftet. Auch die Frage, wie 13 Menschen bei dem Aufprall tödlich verletzt werden konnten, bleibt vorerst ungeklärt. Naheliegend ist die Vermutung, dass die Studenten nicht angeschnallt waren, sagen Amtsdirektor Sieghart Flader und Thomas Rauch übereinstimmend. „Und dies“, betont Flader, „obwohl das Anschnallen für Fahrgäste von Reisebussen gesetzlich vogeschrieben ist.“