Gesellschaft | Bildung

Neue Richtlinien im Bildungsbereich

Stellungnahme zu den neuen nationalen Richtlinien: inklusive, diversitätssensible und demokratische Bildungsinstitutionen?

Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
School classroom
Foto: Kenny Eliason | Unsplash
  • Die neuen nationalen Richtlinien für den Kindergarten, die Grundschule und die Sekundarstufe ersten Grades (Nuove Indicazioni 2025 – Scuola dell’infanzia e Primo ciclo di istruzione – Materiali per il dibattito pubblico) wurden am 11. März 2025 auf der Seite des italienischen Bildungsministeriums (Ministero dell’Istruzione e del Merito) veröffentlicht und enthalten einige innovative Aspekte, wie beispielsweise die Förderung von Kompetenzen im STEM-Bereich und der ökologischen Nachhaltigkeit sowie Hinweise zur kritischen Nutzung neuer Technologien und Künstlicher Intelligenz. Dennoch werden bei genauerer Betrachtung sowohl Wiedersprüche als auch rückschrittliche Entwicklungen ersichtlich, die einer kritischen Auseinandersetzung bedürfen. In diesem Beitrag möchten wir nicht auf die im Dokument thematisierten Inhalte in einzelnen Schulfächern und auf die Fachdidaktik eingehen, sondern uns auf das Bild, welches von Lehrenden, Lernenden, Schule und Inklusion in einem weiteren Verständnis vermittelt wird, beschränken. 

    Grundlegend ist das Dokument durch einen Duktus gekennzeichnet, der das Augenmerk auf das Individuum und weniger auf kollektive Entwicklungen legt und eine neoliberale Marktorientierung von Bildung und Erziehung zu bedienen weiß. Dies zeigt sich auch in der Betonung der Förderung der „Talente“, als wären diese als angeborene deterministische Eigenschaften zu verstehen. Die sich aus dem Fokus auf das Individuum ergebenden Konsequenzen für heterogene und hochkomplexe Gesellschaften, die bereits durch Polarisierungen gekennzeichnet sind, lassen sich nur erahnen. Müsste mit Blick auf geopolitische und globale Entwicklungen nicht die Partizipation und Zusammenarbeit zwischen Individuen – und das möglichst mit Beginn in der frühen Kindheit – gefördert werden? Bereits der Pädagoge, Psychologe und Philosoph John Dewey (1859-1952) hatte dargelegt, dass partizipative Formen des Lernens in Bildungsinstitutionen die Grundsteine eines demokratischen Zusammenlebens legen können.

    Die neuen Richtlinien betonen die Bedeutung von Regeln und Normen sowohl in Bezug auf das Verhalten als auch auf fachliche Inhalte und Methoden. Dies sollte laut Richtlinien dazu beitragen, dass Lernende „den Sinn der Grenzen und die Ethik des Respekts verinnerlichen“. Nicht klar ist, inwiefern die Aneignung von beispielsweise grammatikalischen Regeln, die in diesem Zusammenhang zitiert werden, zur Solidarität und zum Zusammenleben in diversen Gesellschaften beitragen kann. 

    Zudem wird im Text Erziehenden und Lehrkräften vorwiegend eine wissensvermittelnde Rolle zugeschrieben und deren Autorität untermauert, wobei sich erneut die Frage stellt, wie unter diesen Prämissen das dargelegte Ziel der persönlichen Emanzipation von Lernenden erreicht werden kann. Eher scheint es ein Versuch zu sein, der steigenden Komplexität durch Ordnung, strikten Regeln sowie traditionellen und hierarchischen Rollen entgegenzuwirken. Lehrende werden vorwiegend als autoritäre wissensvermittelnde Instanzen dargestellt, deren Hauptaufgabe es ist, Lernende zu belehren und zu disziplinieren. Diese Perspektive vernachlässigt die Rolle der Lernenden als aktive Gestaltende ihres eigenen Lernprozesses und als gleichberechtigte Teilhabende am Bildungsgeschehen.

    In Bezug auf die schulische und soziale Inklusion zeigen die Richtlinien beschränkte und verkürzte Bezüge zu globaler Kompetenz, Bildungsgerechtigkeit, und Diversitätssensibilität auf. In einer superdiversen Gesellschaft im 21. Jahrhundert scheint es befremdlich, in nationalen Richtlinien im ersten allgemeinen Teil, in welchem unter anderem die Grundsätze der Inklusion dargelegt sind, keine Bezüge zu migrationsbedingter Diversität und interkultureller Öffnung vorzufinden. Solche Bezüge finden sich zwar im Bereich zur Zweitsprache, welche dennoch die vorwiegend ethnozentrische, hegemoniale und assimilatorische Perspektive des Gesamtdokuments vertreten. In einem aktuellen nationalen bildungsrelevanten Dokument würde man sich zudem eine durchgängig geschlechtergerechte Sprache wünschen. Wie können wir die geschlechterspezifische Gewalt in einem Staat, in dem diese seit 2003 unveränderlich hoch geblieben ist, verringern, wenn in Richtlinien keine entsprechende diversitätssensible Sprache verwendet wird und nicht bereits in Kindergärten und Schulen eine Sensibilisierung für – auch latente Formen – der Gewalt stattfindet? 

    Auf nationaler Ebene scheinen die Möglichkeiten, diese Richtlinien zu überdenken, aktuell sehr begrenzt zu sein. Umso mehr vertrauen wir darauf, dass in der Autonomen Provinz Bozen in den nächsten Wochen eine demokratische und kritische Auseinandersetzung mit diesen neuen nationalen Richtlinien stattfindet. Damit könnte sichergestellt werden, dass deutsch-, italienisch-, und ladinischsprachige Bildungsinstitutionen in unserem Territorium sowohl das Individuum als auch das Kollektiv im Blick behalten und künftige Generationen in der Entwicklung globaler Kompetenzen, die für eine weltoffene Gesellschaft unabdingbar sind, begleitet werden können.

     

    Autorinnen: Barbara Gross und Heidrun Demo, Fakultät für Bildungswissenschaften, Freie Universität Bolzano-Bozen
     

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