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Was für Sätze

Mit Lesungen aus und zum Werk von Ilse Aichinger wird der jüngst verstorbenen Autorin gedacht. Eine hochkarätige Hommage an Ilse Aichinger im Filmclub in Bozen.
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Foto: Foto: Stefan Moses

Auf Initiative und Einladung von Literatur Lana ist der Mittwoch und Donnerstag Abend dieser Woche im Bozner Filmclub Ilse Aichinger gewidmet. Mit Lesungen und dem Film „Der dritte Mann“ von Carol Reed, einem der Lieblingsfilme von Ilse Aichinger, wird der im vergangenen November in Wien verstorbenen bedeutenden österreichischen Autorin gedacht. Mit von der Partie: Die legendäre Maria Hofstätter als Vorleserin! (unvergesslich z.B. in ihrer Rolle als logorroetische Autostopperin im Film „Hundstage“ von Ulrich Seidl)

Ilse Aichinger, 1921 – 2016, war eine Meisterin der kleinen Form in Prosa und Lyrik und eine bekennende Cineastin, die die letzten Jahrzehnte ihres Lebens am liebsten im Kino verbrachte. Nach Wien zurück kehrte die hier als Kind einer jüdischen Ärztin und eines nicht-jüdischen Lehrers Geborene und den Krieg und die Gräuel der Nazizeit versteckt Überlebende erst wieder in den späten 1980er Jahren. Andere Stationen waren Frankfurt am Main, wo sie im S. Fischer-Verlag als Lektorin arbeitete, Ulm, wo sie die Hochschule für Gestaltung mit aufbaute, Oberbayern und Großgmain bei Salzburg, wo sie zusammen mit ihrem Mann, dem Dichter Günter Eich, die Kinder Clemens und Mirjam großzog. Nach dem Tod von Günter Eich 1972 geht sie wieder für ein paar Jahre nach Frankfurt, dann nach Wien. Im Gepäck hatte sie damals, die 1948 mit dem vielbeachteten Roman „Die größere Hoffnung“ debütierte, den Band mit dem titelgebenden  Prosatext „Kleist Moos Fasane“, mit dem sie noch einmal zu den Orten und Menschen ihrer Kindheit zurückkehrt, um für das Unfassbare in ihrer Biografie als jüdische Überlebende Worte und Sätze zu finden. Was für Sätze! „In jedem Satz stellt sie Schicksal fest. Oft genug ein ganzes Schicksal in einem Satz“, wie Martin Walser über diese eigenwillig eindringliche Prosa schrieb.

Wer schon aus unnötigen Schulfächern gerne fortgeblieben wäre und am liebsten schon vor der Geburt verschwunden wäre, wird froh sein um dieses exterritoriale und unversnobte Gebiet.

Für Ilse Aichinger, die sich zeitlebens wünschte, aus der Welt zu verschwinden und dennoch lange blieb oder bleiben musste, länger als ihr Ehemann, länger als ihr Sohn, der 1997 an einem tragischen Unfall starb, länger als der Herausgeber ihrer Werke und ihr „Lebensmensch“ Richard Reichensperger, der ebenfalls jung und unerwartet starb, war es nach ihrer Rückkehr nach Wien das Kino, das ihr die Möglichkeit bot, sich in der Stadt neu zu orientieren.

„Wer schon aus unnötigen Schulfächern gerne fortgeblieben wäre und am liebsten schon vor der Geburt verschwunden wäre, wird froh sein um dieses exterritoriale und unversnobte Gebiet“, schrieb sie in ihrer unverwechselbaren Art, Tragisches ironisch umzumünzen in dem 2001 erschienenen Band „Film und Verhängnis“. Sie verknüpfte darin die Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts mit dem Verhängnis ihrer Familie und entwickelte daraus eine ganz neue Art der Autobiografie. Ins Dunkel des Kinosaals abzutauchen bei Filmen von Fritz Lang, Stan Laurel und Oliver Hardy oder Carol Reed bedeutete ihr in diesen Jahren, „übersehbaren Aussichtslosigkeiten fürs erste zu entkommen.“

Kein Zufall also, dass die Hommage an Ilse Aichinger, für die Literatur Lana neben der Schauspielerin Maria Hofstätter eine ganze Reihe hochkarätiger Namen aus der zeitgenössischen Literatur und Literaturkritik aufbietet, am kommenden Mittwoch und Donnerstag im Bozner Filmclub stattfindet. Kein Zufall auch, dass zum Abschluss der s/w-Thriller „The third man“ gezeigt wird. Zu diesem Film, der im Wiener Untergrund und Halbdunkel der Nachkriegszeit spielt und der u.a. den Urheber der Filmmusik, den Zitherspieler Anton Karas weltberühmt machte, war Ilse Aichinger jahrelang jeden Sonntag um 14.45 ins Wiener Burgkino gepilgert.

Programm:

„Was für Sätze“. Zu Ilse Aichinger (1921 – 2016)
Filmclub Bozen, Dr. Streiter-Gasse 8D

24. Mai, 20.00
Helmut Böttiger: Ilse Aichingers frühe Jahre
Sascha Michels: „Immer neu beim Text bleiben.“ Ilse Aichingers Ethik des Lesens
Josef Oberhollenzer: Auf der Suche nach dem Tannenzapfen
Anschließend: Ilse Aichinger: Ausgewählte Texte
Es liest: Maria Hofstätter

25. Mai, 20.00
Marlene Streeruwitz: Beim Lesen von „Findelkind“
Josef Winkler: Da flog das Wort auf
Anschließend: The third man (UK 1949, 104 Min., original mit ital. UT, Regie: Carol Reed, nach einem Drehbuch von Graham Greene, mit: Joseph Cotten, Alida Valli, Orson Welles, Paul Hörbiger u. a.)

The Third Man / Quelle: Filmclub