Gesellschaft | Spielzeiten

Uterus und Avantgarde

Der Kindergarten „Sissi“ in Meran wird erweitert. Nicht nur die „Bienenkorb“-Räume für die Begegnung zwischen Deutsch und Italienisch sind ein Novum. Auch eine Nabelschnur spielt bei der Erweiterung eine gewisse Rolle.
Kinder spielen im Kindergarten mit Spielzeugautos
Foto: Symbolbild/Unsplash
  • Spielzeiten

    Spielzeiten ist der Name unserer kleinen Reihe, die das Spielen von Kindern in den Mittelpunkt stellt.

  • Was zunächst als Erweiterung des Kindergartens „Sissi“ in Meran gedacht war, entwickelte sich unter Stadtbaumeister Wolfram Haymo Pardatscher zu einem architektonischen Novum. Statt in die Höhe zu bauen, so Pardatscher, entschied man sich, einen Neubau direkt gegenüber zu errichten, der mit der alten Struktur über eine „Nabelschnur“ verbunden sei, wie Pardatscher erklärt. So könne der neue Trakt bereits in Betrieb gehen, während der alte abgerissen wird. Nicht nur darum erscheint der geplante Kindergarten in der Schießstandstraße 22 als bemerkenswertes Bauprojekt. Die Direktorin des Deutschsprachigen Kindergartensprengels Meran, Renate Kollmann, erklärt, dass mehrsprachige pädagogische Konzepte in Bienenkörben besonders gut umsetzbar sind – räumt jedoch auch ein, dass andere Projekte dringlicher wären.

  • Kindergarten Sissi: Uterus und Nabelschnur. Organische Formen bestimmen die Architektur des geplanten Kindergarten Sissi. Foto: Wolfram Haymo Pardatscher
  • Preisträchtig und überschwemmungssicher

    Der Kindergarten bricht bewusst mit Gewohntem, so der Stadtbaumeister. Statt rechte Winkel und starre Kanten zu wiederholen, entschied er sich in Zusammenarbeit mit dem Architekten Stansilao Ferro für runde, bienenkorbartige Baukörper. Eine Form, die auf dem ersten Blick irritiert, sich aber „organisch in die Umgebung einfügt”, wobei organische Formen für Kinder auch eine emotionale Komponente bergen würden, so Pardatscher. Er erklärt dies wie folgt: „Das Empfinden eines Kindes ist dem mütterlichen Uterus näher als den Philosophen Schopenhauer, Kant und Adorno.“ Dieser Satz brachte ihm im Technischen Landesbeirat erst Stirnrunzeln, dann Zustimmung – und schließlich die Genehmigung für das Projekt. Ähnlich verhielt es sich auch im Gemeinderat. Seinen Stolz auf das Projekt kann Pardatscher kaum verbergen und träumt bereits vom Südtiroler Architekturpreis.

    Seine hohen Erwartungen scheinen berechtigt: Trotz der unkonventionellen Formen liege das Projekt preislich unter vergleichbaren Neubauten, so Pardatscher. Zudem spiele Nachhaltigkeit bei der Planung eine primäre Rolle. Der Kindergarten wird als Klimahaus errichtet und kein einziger Baum soll gefällt werden, trotz der Gebäudeerweiterung. Auch Regenwasser soll nicht verloren gehen, sondern auf natürliche Weise in den Boden zurückkehren – ganz im Sinne einer „Schwammstadt“, so Pardatscher.

    Das Grundstück liegt in der blauen Überschwemmungszone – ein Umstand, der das Projekt besonders anspruchsvoll, aber auch nützlich für die umliegende Wohnzone mache, betont Pardatscher. Eine ringförmige Barriere soll den Kindergarten schützen und zusammen mit dem Amt für Wildbachverbauung werde die Erhöhung der Ufermauern zur Etsch geplant, um das gesamte Maria-Himmelfahrt-Viertel künftig gegen Überschwemmungen zu sichern. Für Pardatscher ist das mehr als eine technische Maßnahme: „Es hat keinen Sinn, nur einen Kindergarten zu schützen, wenn das ganze Viertel versinkt.Der Stadtbaumeister schätzt, dass im Jahr 2027 mit dem Bau begonnen werden kann.

  • Avantgarde für Kinder?

    Es gehe aber bei weitem nicht nur um Provokation mit neuen Formen und Winkeln. „Es soll eine neue Haltung zum öffentlichen Bauen zeigen, die emotionale Intelligenz fördern will“, betont Pardatscher.

    Renate Kollmann, Direktorin des deutschsprachigen Kindergartensprengels, führt aus, was Pardatscher andeutet. Der Kindergarten „Sissi“ bietet mit seinen gemeinsamen Räumen – von denen die Bienenkorb-Konstruktionen besonders sichtbar sind – neue Möglichkeiten der Begegnung. „Wir stärken die deutsche Sprache und integrieren zugleich die Erstsprachen aller Kinder. Allerdings ist diese Mehrsprachigkeit kein Novum – das leben wir seit Jahren“, erklärt Kollmann. Dennoch ergebe sich mit dem neuen Kindergarten eine neue Form der Annäherung von deutschen und italienischen Kindergärten, die historisch unterschiedliche pädagogische Kulturen haben. Das pädagogische Konzept werde nämlich in enger Zusammenarbeit mit dem italienischen Kindergartensprengel, insbesondere dessen Direktorin Segala Paola. Kollmann führt dies aus: „Wir integrieren klare Schnittstellen durch gemeinsam genutzte Räume und professionelle Begleitung.“ 

    Die Herausforderung liege dann noch in Ausstattung, Sicherheit, Wartung und der kontinuierlichen Umsetzung des pädagogischen Konzepts – trotz Personalwechsels. Der Kindergarten „Sissi“ soll ein gemeinsamer Kindergarten in zwei Systemen werden.

    Kollmann verweist zugleich auf den Sanierungsbedarf an anderer Stelle: Der Kindergarten Meran Stadt (Galilei-Straße) habe „seit Jahren höchste Priorität“. Komplexe juristische und bürokratische Verfahren würden jedoch die Umsetzung der Renovierung verzögern, betont Kollmann.