Kultur | Interview

Ist die Demokratie auf dem Rückzug?

In der Franzensfeste zeigt „Modes of Democracy – Formen der Demokratie“ was politische Teilhabe heute bedeuten kann. Ein Interview mit Co- Kurator Haimo Perkmann.

Wie kam die Ausstellung „Modes of Democracy“ zustande?

Haimo Perkmann: Es handelt sich bei „Modes of Democracy“ um Teil einer Ausstellungsreihe. Der Europarat veranstaltet diese Reihe nun seit mehr als zehn Jahren unter dem Titel „Verführung Freiheit“. Die Ausstellungen finden alle zwei Jahre an verschiedenen Orten in Europa statt. Stationen waren bis jetzt unter anderem Polen, Griechenland und Russland. Letztes Jahr war diese Ausgabe im Zentrum für zeitgenössische Kunst „Dox“ in Prag zu sehen. Die künstlerischen Projekte kommen aus aller Welt - Brasilien, Kolumbien und Bangladesch - um nur einige Herkunftsländer der Künstler_innen zu nennen. Auch zwei Regionen haben Zugang zur Ausstellung gefunden - Ústí nad Labem (Sudetenland) und Südtirol. Aufgrund ihrer besonderen demokratischen Konstellation. Die Sonderautonomie Südtirols fanden die Veranstalter in Prag besonders interessant und wir haben uns gedacht, es wär schade, wenn wir die Ausstellung nicht nach Südtirol bringen.

Das Kapitel der Ausstellung „Das Gleichgewicht wahren: Südtirol“ umfasst sowohl Dokumente aus der ideologischen Zeitgeschichte des Landes, wie z. B. den Dolomitenteufel von Peter Kaser, als auch zeitgenössische Arbeiten, wie die Fotografien der Alpini von Nicoló Degiorgis, oder seine Dokumentation islamischer Zentren in Italien...

H.P.: Es ist ein Querschnitt der Südtiroler Kunstproduktion, die sich mit der Realität der Provinz auseinandersetzt. Die Arbeiten thematisieren Linien und Brüche entlang von Identitätspolitiken. Ich denke es ist für das Südtiroler Publikum sehr interessant zu sehen, wie die Werke der Südtiroler Künstler_innen in den internationalen Kontext integriert sind. Die Ausstellung ist in 5 Sektionen unterteilt. Die Südtiroler Sektion erzählt eigentlich die ganze Geschichte der Demokratie in Südtirol aus der Perspektive der Künstler_innen, die vor allem 1968 Antagonisten zur herrschenden politischen Situation waren. Insgesamt sind 12 Künstler_innen ausgestellt. Es gibt Zeichnungen, Videos, Skulpturen und Collagen. Es ist wirklich großartig, dass wir es geschafft haben die Ausstellung in die Franzensfeste zu bringen. Als militärische Festung die nie genutzt wurde, bietet die Franzensfeste einen sehr passenden Rahmen, um die Frage nach Demokratie zu stellen.

Die Ausstellung betreibt also mit den Mitteln der Kunst Politik? Wie reagiert die Kunst auf aktuelle politische Entwicklungen wie beispielsweise, dass im Namen der Freiheit zusehends Bürgerrechte beschnitten werden?

H.P.: De facto ist der Zugang zur Ausstellung ein sehr philosophischer und politischer und weniger ein kunsttheoretischer. „Modes of Democracy“ stellt Fragen nach dem Verhältnis und der Auseinandersetzung, sowie der kritischen Distanz der Kunst zur Demokratie. Heute sind zwei Bewegungen festzustellen. Einerseits ist es durch die neuen Medien, vor allem das Internet möglich Leute flächendeckend zu überwachen. Deshalb heißt die erste Sektion in der Ausstellung auch „Überwachungsstaat“. Der US-amerikanische Künstler Trevor Paglen fotografiert und dokumentiert Überwachungszentralen und -einrichtungen der Geheimdienste in den USA. Er dreht den Spieß um. Gleichzeitig ermöglicht das Internet aber auch eine in dieser Form noch nie dagewesene partizipatorische Demokratie. Das stärkt die Zivilgesellschaft. Es gibt heute zwei sehr widerstrebende Momente.

Schlagwort Populismus: werden die zunehmend populistischen Tendenzen in den europäischen Gesellschaften thematisiert?

H.P.: Ja. Im Hintergrund lauert stets die Frage: ist die Demokratie auf dem Rückzug? Es ist eine Tatsache, dass es eine gewisse Enttäuschung gibt. Viele Leute haben den Eindruck die Politik kann die Probleme nicht mehr lösen. Das führt zum Aufkommen autoritärer und populistischer Bewegungen und das weltweit. Diese haben überall ein anderes Gesicht. Bei uns sind es eben die bekannten xenophoben, fremdenfeindlichen Bewegungen. Die verschiedenen Projekte in der Ausstellung zeigen aber das demokratische Prozesse wichtig und positiv sind. Z. B. das Projekt aus Island. 2008 war Island einer der ersten Staaten der von der Wirtschaftskrise getroffen wurde. Dort kam es zu einer Revolution, sozusagen. Die Isländer_innen haben nach argentinischem Vorbild auf Töpfe und Pfannen gehauen und solange protestiert, bis die Regierung gestürzt war. Dann hat sich eine Bewegung gegründet, in der alle Isländer - ca. 350.000 Menschen - sich selbst eine Verfassung erarbeitet und gegeben haben. Ein anderes Projekt, welches zeigt was gemeinschaftliches Handeln bewirken kann, stammt aus Brasilien. Lanchonete.org setzt sich mit der Gentrifizierung in Sao Paolo auseinander. Dort wurde das populäre Viertel Lanchonete plötzlich hip: die Mieten stiegen usw. Lanchonete.org ist ein Artist in Residence Projekt und zugleich ein genossenschaftlich geführtes Restaurant. Die lose Künstlergruppe hat dort ihr eigenes Fast Food Restaurant eröffnet, damit die großen Ketten erst gar nicht einziehen können und es ist zum Referenzpunkt für die Nacshbarschaft geworden, die hier politischen Entwicklungen bespricht und demokratisch diskutiert. Diese Projekte zeigen was die Zivilgesellschaft bewirken, verhindern und verändern kann.

Künstler_innen: Adham Bakry, Pavel Beneš Štepánka Bláhovcová, Libia Castro & Ólafur Ólafsson, Paolo Cirio, Jirí Cernický, Nicolò Degiorgis, Hannes Egger,  Ulrich Egger, Harun Farocki, Julia Frank, Thiago Gonçalves, Haukur Már Helgason, Siggi Hofer, Peter Holzknecht, Jakob De Chirico, Radek Jandera, Peter Kaser, Zdena Kolecková, Pavel Kopriva, Jan Prošek & Atelier Interactive media FUD UJEP, Daniel Latorre, Michaela Labudová, Todd Lester, Pavel Mrkus, Gabriela Oberkofler, Trevor Paglen, Franz Pichler, Laura Poitras, Ebadur Rahman, Jakub Szczesny, Felipe Targa,  Michaela Thelenová, Sofie Thorsen, Peter Tribus, Leandro Viana

Kuratoren_innen: Jaroslav Andel, Michal Kolecek & Zdena Kolecková, Daniel Latorre, Todd Lester, Haimo Perkmann

 

Ausstellung: 12/11/2015 – 27/03/2016

Öffnungszeiten:
Di–So:  10–16 h