Kultur | Salto Afternoon

Obszönes Manuskript

Der vor kurzem erschienene pornografische Roman „Weltpuff Berlin“ des in Vergessenheit geratenen Schriftstellers Rudolf Borchardt hat es in sich. Gerade an Weihnachten.
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Foto: Bildquelle: Rowohlt

Weltpuff Berlin

Den Namen Rudolf Borchardt (1877-1945) können wenige zuordnen. Dabei war Rudolf Borchardt einst ein angesagter Name in Literaturkreisen, vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts. Nun, über 70 Jahre nach seinem Tod, erschien ein verschollener 1000 Seiten-Roman – mit reichlich pornographischem Inhalt.
Weltpuff Berlin spielt im Berlin des Fin-de-siècle, wo Borchardt als junger Student zugegen war, seine Erlebnisse allerdings erst viele Jahre später aufschreiben wird. Um 1938/39 in der Toskana, wenige Jahre vor seinem Tod.

Rede mal mit Ausländern. Für die ist Berlin der Weltpuff, na Deutschland überhaupt. Paris nischt mehr dagegen.
[aus: Weltpuff Berlin]

Ein Erstdruck des freizügigen Manuskripts mit Rotlichtgarantie war von den Erben Borchardts viele Jahre zurückgehalten worden. Entdeckt wurde es von Borchardt-Herausgeber Gerhard Schuster, der es 2012 in Borchardts Nachlass fand.

Borchardt schildert in Weltpuff Berlin reale und eingebildete Erlebnisse als herumlungernder Student im Berlin der Jahrhundertwende. Es ist ein Roman mit körperlich wie geistig anspruchsvollen Abenteuern: in Wohnungen, Hotels, Restaurants, oder bei Ausflügen zu Landsitzen des Adels, mit einer Fülle an „erotischen und sexuellen Begegnungen mit dem Dienstpersonal, «Masseusen», Ladenmädchen, Künstlerinnen und Damen der besten Gesellschaft.“

Borchardt studierte Theologie, später klassische Philologie, Archäologie Germanistik und Ägyptologie. Ab 1901 setzte er seiner Universitätslaufbahn ein Ende, überwarf sich ein Jahr später mit seinem Vater und lebte ab 1903 mit Unterbrechungen in der Toskana, wo er eine Villa bei Lucca bewohnte.

Zu Mantua in Banden
Dräut uns ein offen Grab
...

Belegt ist ein Aufenthalt Borchardts in den Jahren 1904/1905 in Bozen. Er bewohnte das Posthotel Erzherzog Heinrich (heute Ecke Johann-Wolfgang-von-Goethe-Straße/Mustergasse), wo er am Text Bacchische Epiphanie arbeitete. Nicht belegt ist hingegen ein in der Sekundärliteratur überlieferter Aufenthalt Borchardts im Durchgangslager Bozen.

Weihnachtsgedicht

Im Spätsommer 1944 wurde Borchardt in Italien von der SS verhaftet und über Mantua und Verona direkt nach Innsbruck gebracht. Nachdem er und seine Familie dort freikommen, versteckten sie sich ab Ende Oktober 1944 im Trinser Hof, im Gschnitztal. Ausführlich dokumentiert sind diese letzten Jahre in: Anabasis, Aufzeichnungen, Dokumente, Erinnerungen 1943-1945. Herausgegeben von Cornelius Borchardt 
An Heiligabend schrieb Borchardt im Gasthof in Trins sein letztes Gedicht nieder. Es beginnt:

Wir haben keine Kerzen
Nur einen düstern Baum,
Und bringen es nur kaum
Zu weihnachtlichen Herzen
Bei Fiebern und bei Schmerzen
Im engen fremden Raum
Und doch, die Wahrheit spricht:
Die Nacht ist kurz, und unterwegs das Licht.

In einer der nachfolgenden Strophen heißt es: Zu Mantua in Banden / Dräut uns ein offen Grab / Wir sind draus ohne Hab / Lebendig doch entstanden. / Sind wir auch weltabhanden / Verdrängt vom Bettelstab, / Dennoch die Weihnacht heisst /Arm wohl die Nacht sein, reich den lichten Geist.

Wenige Tage nach der Niederschrift des Weihnachtsgedichts, am 10. Januar 1945, stirbt Borchardt im Trinser Hof. Mit dem bisher unbekannt gebliebenen Fin-de-siècle-Porno ist der vergessene Schriftsteller 2018 wieder in den Buchläden aufgetaucht. Vielleicht auch unter dem ein oder anderen Weihnachtsbaum.