Kultur | Salto Afternoon

Windstille Schwesterngeschichte

Die in Klausen aufgewachsene Nancy Camaldo ist nach ihren Jahren der Filmausbildung in München mit ihrem Debüt "Windstill" nach Südtirol zurückgekehrt.
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Foto: Elfenholzfilm

Windstill beginnt mit einer großen Hundeschnauze und idyllischen Aufnahmen am Reschensee. Ida, eine der beiden Hauptprotagonistinnen setzt zum Kitesurfen an, driftet dann vom Wind getrieben über das Wasser. Heile, geile Welt, mit scheinbarer Traumkulisse. Der Turm im See ragt passend in Szene gesetzt aus dem Wasser, auch wenn es um ihn und seine Geschichte in Windstill nie gehen wird, wie auch nicht um die Verortung des Films im windigen Vinschgau.


Windstill ist das Spielfilmdebüt der jungen Regisseurin Nancy Camaldo. Sie ist in Klausen aufgewachsen und besuchte nach der Matura die Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München. Mit dem Kurzfilm Haut machte Camaldo erstmals 2018 auf sich aufmerksam. Ihr Langfilm Windstill – gedreht 2019 – ist gleichzeitig auch ihre HFF-Abschluss-Arbeit. Mit Barbara Krzoska, Giulia Goldammer und dem hervorragenden Thomas Schubert (bekannt aus dem Film Atmen, dem Regiedebüt von Karl Markovics) ist auch der Sänger Anselm Bresgott am Windstill-Set und gibt einen Berliner Großstadtflüchtling, der in den Bergen nach dem Sinn des Lebens sucht.

Lara ist spurlos verschwunden und am Telefon nicht erreichbar. Nur erziehungsdienliche Hinweise hat sie als Sprachbotschaft hinterlassen.

Um Sinnsuche geht es allen Protagonist*innen in dieser Schwestern-Geschichte. Lara etwa führt ein vermeintlich hoffnungslos überlastetes Leben, mit der kleinen, knapp einjährigen Olivia, (ständig) an der Seite. Ihr Partner, der Koch Jacob, ist überarbeitet und mit seinem Alltag gleich unzufrieden wie Lara, die obendrein in jeder freien Minute auch noch Taxi fährt. Wie beide ihren Alltag dennoch zu meistern versuchen, sich durchwursteln und immer wieder scheitern, vermag der Film – vor allem dank der schauspielerischen Leistung – eindrucksvoll zu schildern. Auch die Flucht von Lara aus dem grauen Alltag wird dramaturgisch mit einer nicht alltäglichen Szenenabfolge erzählt: Jacob bleibt nämlich mit seiner kleinen Olivia (im Kinderwagen abgestellt) im Gasthaus seines Arbeitgebers zurück. Lara ist spurlos verschwunden und am Telefon nicht erreichbar. Nur erziehungsdienliche Hinweise hat sie als Sprachbotschaft hinterlassen.


Lara entflieht zu ihrer Schwester Ida in das heimatliche Nest, aus welchem sie gut zwei Jahre vorher entflohen war. Unangekündigt und sturzbetrunken steht sie vor der Tür und stößt bei Ida auf wenig schwesterliche Gegenliebe. Die beiden bekommen ihr Leben nicht auf die (gewünschte) Reihe: Laras Studienpläne zerplatzen, Idas Wunsch von der Karriere als Schriftstellerin liegt in weitester Ferne. Ihre persönliche Sinnkrise behalten beide Schwestern für sich, keine der beiden sucht nach dem klärenden, wohltuenden Gespräch mit der Schwester. Dabei hätten sie sich so viel zu erzählen.


Sinnsuche und Kindsuche laufen im Film parallel aneinander vorbei. Nach 90 Minuten taucht der Vater der kleinen Olivia am Hof auf und versucht eine Rückholaktion der Mutter. Der Film hat bis zu diesem Zeitpunkt so einiges aufgestaut und lässt für den Schluss der Geschichte alle Charaktere erschöpft und aussichtslos zurück. Die kleine Olivia bleibt der einzige Lichtblick im destruktiven Konstrukt der jungen Erwachsenen. Manchmal mag man es kaum glauben, wie sie durch die minimale Handlungsfähigkeit eines kleinen Säuglings vollkommen natürlich und mit einer doch sehr reifen schauspielerischen Leistung aufwarten kann.

 

In einem der windstillen Dialoge, zwischen dem jungen Berliner (der mit Ida am Hof liebt und lebt) und Jacob, wird die Frage zum Turm im See angesprochen, alsbald aber mit dem Satz „Muss man googeln“ abgetan. Dieser kleine Hinweis mag auch für das Motto einer ganzen Generation stehen, der alle Türen und Tore offen stehen und die dennoch orientierungslos durch den Alltag taumelt und alle Antworten auf das Leben er-googeln möchte. Bei unausgesprochenen (mitunter windstillen) Gegebenheiten ist aber auch Google ratlos.