Bühne | Neue Musik

„Haben 1 Gedicht im Kopf“

Ein audiovisuelles Konzerterlebnis zur Würdigung Friederike Mayröckers wurde Dienstagabend von Literatur Lana ins Bozner Museion gebracht. Ist digital denn besser? Viele bunt vermischte Eindrücke und flackernde Worte.
Friederike Mayröcker, mein herz mein zimmer mein name, Literatur Lana, Ensemble Chromoson, Museion
Foto: SALTO
  • Dreizehn Stücke zwischen 1:20 und 10 Minuten aus sechs Federn setzte das Ensemble chromoson um, um damit der seit 2021 zum Schweigen übergegangenen Wiener Poetin Friederike Mayröcker klanglich die Ehre zu erweisen. Am Samstag wäre sie 100 Jahre alt geworden und an die Stille von Friederike Mayröcker, die in den 50ern erste Grundsteine für ihr großes Lebenswerk setzte, müssen sich viele noch immer gewöhnen. Wobei die Texte Mayröckers weiter sprechen und auch Caroline Profanter, Gina Mattiello, Hannes Hölzl, Hannes Kerschbaumer und Danny Imson inspirierten die Gedichte und Texte für Kompositionsaufträge. Beat Furrer war mit seiner Komposition für Stimme und Flöte „auf tönernen füssen“ von 2001 der einzige Beitrag des Abends, bei dem es sich nicht um eine Auftragsarbeit aus diesem Jubeljahr handelt für „mein herz mein zimmer mein name - Musikalische Hommage zum 100. Geburtstag von Friederike Mayröcker“. Grund zum Jubel bieten in jedem Falle die Worte, deren Vortrag in der Hauptsache Gina Mattiello in einer etwas strengen Haltung vornimmt, welcher es am lakonischen Schmäh der Mayröcker fehlte. Eh klor. Anteil an den Worten hatte aber auch die Projektion von Texten, manchmal ganzen Gedichten und manchmal repetierenden Textauszügen. Selten zeigte man die Worte in Stillstand, sie flackerten, wechselten oder waren auf eine andere Weise bewegt.
    Den Anfang machte im Konzert Profanters Musik, mit „Was brauchst du?“ und „Lied ohne Worte“ wurden zwei der vier Musikstücke vorangestellt, die Stücke drei und vier der Komponistin zu „Dies dieses Entzücken“ und zur bekannten „Mohnblume“ sollten an Position fünf und sechs in den Schüttelreim des Abends einfließen. Nach einem Intro mit der Stimme vom Band von Friederike Mayröcker strapazierte Profanter gemeinsam mit Hannes Hölzl die Worte der Mayröcker und benutzte diese für kurze audiovisuelle Improvisationen.

  • ihr herz ihr zimmer ihr name: Zu Beginn des Abends schwiegen die Musiker:innen des Ensemble Chromoson um ihrer Stimme zu lauschen. Foto: SALTO

    Auch das „nUFO“ von Hannes Hölzl und Isak Han, das letztens die Produktreife erreicht und sich von einem einfachen Plastikteller mit Gyroskop weiterentwickelt hat, zu einem vollwertigen Musikinstrument, das auch in die verantwortungsvollen Hände Gina Mattiellos übergeben wurde. Die Improvisation am Noise-Instrument nahm weniger Raum ein als im Bunker H, wo ein Set am Mischpult mit Alberto de Campogestaltet worden war. Klangregisseur Hannes Brugger gliederte die Improvisation unter gesteckten Vorzeichen organisch in die dichte Abfolge ein, das Rauschen fand im Text Entsprechung.
    Weniger gut passte Beat Furrers Stück „auf tönernen füssen“, eine zehnminütige, langsame Studie, die textlich an einer Anapher entlang und an der Flöte mit mattem Atem und perkussiven Elementen arbeitet, in den Abend und die Geduld des Publikums ausreizte. Nach der wiederkehrenden Formel „Etwas wie…“ entstehen Bilder von gerade noch Greifbarem, die monotone Stimme Mattiellos überzeugt dabei eine Spur weniger, als es das Spiel der Soloflötistin Carolin Ralser später noch tut: Auch das lange Klingeln eines Mobil-Telefons während der Aufführung des der Musikerin gewidmeten Stücks „Hingahan“, einem der wenigen wortlos instrumentalen Stücke des Abends aus der Feder von Danny Imson, verunsichert nicht. Es wird am Ausweichstreifen zwischen zwei Phrasen abgewartet, bevor ohne weiteren Leerlauf in die Performance wieder eingestiegen wird. Den Südtiroler Komponisten und der Komponistin war Abwechslung im Abend dagegen wichtiger als Variationen auf einer sich nur graduell verändernden Struktur wie bei Furrer.
    Einen längeren Beitrag zum Abendprogramm leistete auch der dritte Hannes mit Anteil am Gelingen der Veranstaltung: Hannes Kerschbaumers „svart“, das auf das Gedicht „Ins Schwarze“ Bezug nehmen sollte. Kein subtiler Kontrast, sondern eine Gegenüberstellung mit ans Äußerste gereiztem Kontrast zwischen einer lakonisch-pessimistischen Sprache und Selbstreflexion, nebst Instrumenten, die in hohen Tönen flirren und der Ästhetisierung Mayröckers etwas Handfestes entgegenstellen.
    Gegen Ende des Abends sollte mit Reinhold Schinwald abermals ein österreichischer Komponist die Texte Mayröckers aushorchen: Sein Beitrag zu „brütt oder Die seufzenden Gärten“ bezeugte dabei auch, dass selbst eine Auseinandersetzung, bei der das Ausgangsmaterial nicht lyrisch ist, denselben Charakter aufweisen kann. Schinwald las sich das Gedicht quasi aus dem Roman heraus. „Sei immer ein Dichter, auch in der Prosa.“, so ein Ratschlag von Charles Baudelaire aus dessen Nachlass. Mayröcker hätte man dies freilich nicht zu sagen brauchen, poetisierte sie schließlich doch so gut wie alles, das sie umgab. Gleichzeitig ließ uns die Einarbeitung einer Schreibmaschine an Max Richters erfolgreichstes Album, „The Blue Notebooks“ denken, das eher in die Richtung des Neoklassischen ging. Am Ende hätte das Geräusch aber auch zur Vollständigkeit gefehlt, wenn hier nicht ganz analog in die Tasten geschlagen worden wäre. Zuvor hörte man zwar das Klickern einer wohl mechanischen Tastatur, das Mayröckers Texte skizzenhaft und voller Rechtschreibfehler in die Projektion übertrug. Es verschwimmt dabei bis zum Ende die Linie, die uns als Zuschauern klar sagt, was hier noch original ist und wo die Textfassung von Gina Mattiello und Christine Vescoli schon eine Form des Rewritings ist.
    Auch, weil sich Mayröckers eigene Sprache nie zu etwas Starrem, Formulaischen auskristallisieren sollte. „1 Leben“ und ähnliche Formulierungen hätte man sich, Schwarz auf „Weisz“ eher von der Generation Vong erwartet als von einer der rastlosesten Chronistinnen ihrer Zeit und doch steht auch das da und hatte im Œuvre der Autorin Präzedenzfälle. So wie auch die Sprache nicht stehen bleibt, tun es die wechselnden Lesearten nach dem Tod nicht … Hätte man also anders als ausgesprochen ergebnisoffen der Literatin begegnen können? Vielleicht nicht.

  • Tribut: Verneigung vor einer großen Stimme aus Wien und am Ende auch vor dem Publikum, das Ausgiebig Beifall zollte. Foto: SALTO