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Zweifelhafte Landesmeisterschaft

Wer ist Südtirols beliebtester Poetry-Slammer? Das gilt es bei der diesjährigen Landesmeisterschaft zu ergründen – unter neuen Umständen, unter neuem Stern.
Morgenstern
Foto: Morgenstern

Es war einmal im Jahr 2010. Die Südtiroler Landesmeisterschaft im Poetry Slam wurde gegründet, und damit der Grundstein für eine mittlerweile jahrelange Tradition dieses international sehr populären Formats. Seither ist viel geschehen, die Veranstaltung wurde größer und größer, und nun ist es anscheinend Zeit für einen Umbruch. Der Corona-Pandemie geschuldet ist der Slam in seiner eigentlichen Form, sprich vor anwesendem Publikum, nicht möglich. Stattdessen findet er in diesem Jahr auf dem Radiosender Südtirol 1 und in Videoform auf dessen Onlinekanälen (Website & Facebook) statt. Das Literaturportal Lipo, das den Slam in den vergangenen Jahren mitorgansierte, ist nicht mehr mit von der Partie. Johanna Ortner von Lipo gibt dafür private Gründe an. Deshalb wandert das Zepter nun zur Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung (SAAV). Die Veranstaltung wächst, und mit ihr offenbar auch der Anspruch der Veranstalter, große Reichweite zu generieren. Dass man sich nun ausgerechnet den OE3-Verschnitt Südtirol 1 dafür ausgesucht hat, ist wohl nur mit der Sehnsucht nach größerer Aufmerksamkeit zu erklären. Die SAAV äußert sich dazu wie folgt:

„Südtirol 1 ist unser Kooperationspartner für die Poetry Slam-Landesmeisterschaften. Das Medium hat eine hohe Reichweite und ist bei Jugendlichen beliebt. Südtirol 1 war von dem Projekt begeistert und wollte das digitale Format unterstützen – kostenlos. Weder bekommt Südtirol 1 Geld von der SAAV, noch die SAAV von Südtirol 1.“

Dass das Radio in Zeiten von Spotify & Co. im Alltag der Jugendlichen eine besonders große Rolle spielt, ist zu bezweifeln. Und ob man unter der sonstigen Hörerschaft von Südtirol 1 begeisterte Slam-Fans findet, bleibt ebenso abzuwarten. Im besten Fall werden ältere Generationen auf das Format aufmerksam. Thomas Rainer, Co-Initiator der ursprünglichen Landesmeisterschaft von 2010, zeigt sich von der Kooperation wenig begeistert:

„Als Mitbegründer und Organisator der Landesmeisterschaft würde ich diese Form von Zusammenarbeit und Vereinnahmung ablehnen.“

Immerhin scheint die Kooperation auf reiner Nächstenliebe zu basieren – Geld fließt laut der SAAV keines.

Wer die Veranstaltung in den letzten Jahren auch nur ansatzweise verfolgte, dem dürfte die Abwesenheit des Namens Morgenstern bei der diesjährigen Ausgabe nicht entgangen sein. Der Slam wurde damals nach dem Dichter Christian Morgenstern benannt – ein durchaus respektabler und prestige-trächtiger Pate. Nun fehlt er, stattdessen bleibt der relativ ideenlose Titel Landesmeisterschaft. Ob mit dem Wegfallen Morgensterns auch ein bewusster Rückschritt in Sachen Anspruch passiert, sei dahingestellt. Von Seiten der SAAV spricht man hierzu von „professioneller Kulturarbeit“, die „Begriffe sehr bewusst“ einsetze, sowohl im „Wording, als auch in der Entwicklung von Formatbegriffen“. Vielleicht hat es aber auch einfach damit zu tun, dass die verantwortliche Projektleiterin Lene Morgenstern, bürgerlich Helene Delazer, nicht den Eindruck erwecken möchte, der Slam wäre der ihre.

Nun ist eine Namensänderung aber sicher keine große Sache. Anders sieht es mit der Mehrsprachigkeit aus. Thomas Rainer äußert sich zur ursprünglichen Idee des Südtiroler Poetry Slams wie folgt:

„Uns war es immer wichtig, dass die Mehrsprachigkeit Teil des Slams sein kann. Das heißt niemand wurde aus sprachlichen Gründen ausgeschlossen, es wurde oft mit italienischen bzw. im Sprachenmix geslammt.“

Das bleibt auch weiterhin so, keine Sorge. Sieht man sich die Teilnehmerliste, so findet man darauf in erster Linie deutschsprachige Namen. Auch das ist nicht Neues, doch mehr als in den Jahren zuvor muss man die Frage nach dem Warum stellen. Wie wird versucht, die italienisch- bzw. ladinischsprachige Slam-Gemeinschaft zu erreichen? Man könnte es beispielsweise über eine dreisprachige Ausschreibung probieren. Über eine dreisprachige Kampagne, die die Veranstaltung bewirbt. Über eine dreisprachige Veranstaltung als solche. Auf einem dreisprachigen, oder zumindest zweisprachigen Radiosender, wie etwa Radio Tandem. Nun, nichts von alldem wurde versucht. Die Ausschreibung und alle weiteren Informationen zum Slam, zu finden auf der Website von Südtirol 1, sind in deutscher Sprache verfasst. Natürlich wird in den Reglements angemerkt, dass Texte in allen Sprachen willkommen sind, doch angesichts der öffentlichen Bewerbung in deutscher Sprache auf einem deutschsprachigen Sender, ist das doch recht heuchlerisch. Die SAAV kann dafür nichts, so zumindest die offizielle Aussage:

„Auf die Art und Weise der Bewerbung durch unseren Medienpartner haben wir keinen Einfluss.“

Es ist dennoch nicht von der Hand zu weisen, dass der Slam auch im Namen der SAAV über die Bühne geht. Einer Vereinigung, die sich die Mehrsprachigkeit immer wieder betont auf die Fahne schreibt. Zumindest auf deren Facebookseite wirbt man im (kurzfristig abgeänderten) Banner zweisprachig für die Veranstaltung.

Ein Teilnehmer des diesjährigen Slams, nennen wir ihn aus Gründen der Anonymität salopp Christian Morgenstern, sagt dazu:

„Man hätte ruhig auf die dreisprachige Bevölkerung eingehen können. Selbst wenn Südtirol 1 natürlich in erster Linie deutschsprachig ist, hören doch auch anderssprachige Menschen zu. Sie sollten auf jeden Fall dabei sein. Mehr gibt es nicht zu sagen.“

Wie konnte man sich denn nun für die Veranstaltung bewerben? Vier kurze Zeilen per Video an Südtirol 1 genügten. Man wurde nominiert und fand sich mit etwas Glück in einer der vier Vorrunden wieder, die schließlich, am Ende des Monats März, in einem Finale münden. Es wird spannend zu sehen, inwiefern das Format Poetry Slam ohne die Interaktion mit dem Publikum funktioniert. Das ist schließlich nicht unerheblich, es gibt Wertungen ab und reagiert unmittelbar auf die Texte – starke Reaktionen des Publikums, auf Texte und nicht zuletzt auf die vergebenen Wertungen machen schließlich einen großen Reiz des Formats aus. Gevotet wird dieses Mal online, über die Südtirol 1-App.

Die erste Vorrunde findet am 26.02. statt. Weitere Termine sind der 05.03., 12.03., 19.03., bis schließlich am 26.03. das große Finale stattfindet. Die Siegerin oder der Sieger darf sich dann ein Jahr lang Landesmeister*in nennen. Ob im nächsten Jahr eine Rückkehr zum gewohnten Ablauf stattfinden kann, hängt natürlich vom Spielverderber Covid ab. Es ist nicht nur ein Wunsch der Slam-Poeten, sondern auch der des Publikums und all jener, die dem Format weiterhin tief verbunden sind. In diesem Sinne soll Thomas Rainer als ursprünglicher Co-Initiator des Slams das letzte Wort gestattet sein.

„Ich hoffe dass die Slams wieder auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zurückkommen, das Publikum im Saal begeistern, dass dieses direkt voten kann und dass die Landesmeisterschaft eine für alle bleibt, sowie dem Namensgeber Christian Morgenstern wieder gerecht wird.“