Der Pandemie zum Trotz
4.129 Betriebe haben, – so die Daten der Handelskammer –, im Jahr 2020 eine Neueröffnung in Südtirol gewagt. Laut den Schätzungen des Istituto di Ricerca Economica (IRE) sind 1.660 davon tatsächlich neue Betriebe; sie hatten vor ihrer Eröffnung in Südtirol keinen anderen Standort. Einige der Betriebe eröffneten im Ungewissen, was auf sie zu kommen würde (insgesamt 1.872 Neueröffnungen vor März 2020), andere trotzten Pandemie, Schließungen und fehlenden Perspektiven (2.257).
Im Vergleich zum Vorjahr sind die Neugründungen um nur zwölf Prozentpunkte gesunken; angesichts der konkreten gesamtgesellschaftlichen Situation ein kleines Wunder. Wie aber geht es den Unternehmerinnen und Unternehmern, die hinter den Zahlen stecken?
Salto.bz hat einige Einzelstimmen eingefangen.
Zwanzig Jahre lang war Manuel Staffler Gruppenleiter bei der Finstral, bis er sich mitten in der Pandemie dazu entschloss, sich gleich zweimal selbstständig zu machen: Am ersten Oktober eröffnet der Familienvater 'bee moo', eine Kläranlage für Bienenwachs – die erste und einzige dieser Art in Südtirol. Zudem öffnet er ein kleines Geschäft in dem er bienische Produkte verkauft: Honig, Bienenwachskerzen, aber auch Kosmetikprodukte. Sein Glück: Sowohl der Verkauf von Lebensmitteln als auch die Wachsverarbeitung konnten trotz der Pandemie weitergeführt werden. Der Start, den er schon seit einigen Jahren plante und der einen Umbau, den Ankauf von Maschinen sowie das Nachholen der Handelsschule mit knapp 40 voraussetzte –, war nicht einfach: "Ich hatte eine Fixanstellung, einen sicheren Job. Als Selbstständiger bin ich mit vielen Unsicherheiten konfrontiert: Ich weiß nie, was im nächsten Monat passieren wird." Zu diesen Schwierigkeiten gesellten sich – so Staffler – die ausbleibende Unterstützung des Imkerbundes und der öffentlichen Einrichtungen. Trotzdem würde Staffler den Schritt nicht rückgängig machen: "Ich habe zwar keine Vergleichszahlen, aber ich habe das Gefühl, dass aufgrund der Krise Menschen sich vermehrt regionalen Produkten zuwenden. Ob bewusst oder aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit, weiß ich nicht. Zu Weihnachten haben sich viele nach kleinen, lokalen Geschenken umgeschaut und schon jetzt konnte ich einige Stammkunden gewinnen, die regelmäßig bei mir einkaufen."
Die Eröffnungsfeier des Kosmetik- und Massagestudios Beautique, die für den 7. März 2020 geplant war, fiel ins Wasser. “Die Polizei hat mich kurz vorher kontaktiert und gebeten, die Feier abzusagen. Das habe ich dann auch gemacht”, erklärt Sophie Egger. Kurz darauf musste sie ihr Studio ganz schließen –, die ersten Kunden konnte sie erst im Mai empfangen. Vor allem während des ersten Lockdowns habe sie ihre Entscheidung, sich selbstständig zu machen, immer und immer wieder hinterfragt: “Die Situation war für alle neu, es gab niemanden, den ich hier um Rat fragen konnte. Auch finanziell war die Situation nicht immer einfach.” Jetzt, ein Jahr später, ist die Kosmetikerin von ihrer Entscheidung überzeugt: “In den Monaten, in denen ich arbeiten kann, arbeite ich sehr gut. Viele kommen zu mir, um den Kopf für eine halbe Stunde abschalten zu können. Viele möchten sich auch einfach etwas gönnen.”
“Eine Art optimiertes Sonnenlicht, das universell einsetzbar ist”, Alpgrow (Ritten).
Die Firma Alpgrow sollte am 14. März 2020 eröffnet werden. Tatsächlich wurde es der 26. Juni. Seitdem fabrizieren die drei Jungunternehmer im Nebenerwerb Lampen, die das Pflanzenwachstum fördern: “Eine Art optimiertes Sonnenlicht, das universell einsetzbar ist”, so Alpgrow. Das Produkt, das im Moment vor allem an Privatkunden verkauft wird, soll in Kürze auch für Gärtnereien und Baumschulen zur Verfügung stehen. Auch wenn sie noch nicht soweit seien, sich einen Lohn ausbezahlen zu können, bereuen die drei Jungunternehmer, – von denen zwei gelernte Elektriker sind und einer im Marketing Bereich tätig ist –, die Neueröffnung nicht. “Durch die Pandemie haben wir viel Zeit in unser Produkt investieren können.” Ihr Umfeld habe auf die Neueröffnung sehr positiv reagiert, unabhängig von Corona: “Damals dachte wohl kaum jemand, dass sich die Situation so lange hinziehen würde.” Obwohl einige im Moment vor größeren Investitionen wie den Alpgrow Lampen zurückschrecken würden, können die Unternehmer den Einschränkungen auch etwas Positives abgewinnen: “Während des Lockdowns hat unsere Werbung auf Social Media viel mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die meisten saßen wohl zu Hause und haben ins Handy gestarrt!”
Renate Federer hat nie von der Selbstständigkeit geträumt. Im Gegenteil: “Ich hatte eine gute Arbeit, bezahlten Urlaub, das wollte ich mir nicht nehmen lassen”, so die Grafikerin. Seit 1. Januar 2020 führt Federer trotzdem ihr eigenes Kleinstunternehmen: Tintenherz. Dafür illustriert sie vor allem Kinderbücher. Zudem fertigt sie auch Illustrationen für andere Medien an und verkauft einige Bücher im Eigenverlag. Die Krise spürt sie kaum: “Ich kann von zu Hause aus arbeiten und meine Dienste werden auch weiterhin gebucht.” Nur die Kaufkraft für jene Dinge, die nicht unbedingt gebraucht werden, – ihre Bücher im Eigenverlag –, sei etwas gesunken. Trotzdem bereut die Grafikerin den Schritt in die Selbstständigkeit nicht. “Ich kann von zu Hause aus arbeiten und mich somit gleichzeitig auch um meine Kinder kümmern. In einem abhängigen Arbeitsverhältnis wäre diese Flexibilität nicht möglich”.
Am 1. August 2020 hat Sarah Kofler eine Maßschneiderei für Baby- und Kinderkleidung eröffnet. Die Idee, sich selbstständig zu machen, hatte sich schon vor längerer Zeit in ihrem Kopf festgesetzt: “Immer wieder haben mich Freunde und bekannte gefragt, ob ich denn auch für ihre Kinder etwas nähen könnte. Das hat mich motiviert.” Dass sie den Schritt jetzt wagte, kam nicht von Ungefähr: Da sie von zu Hause aus arbeitet und Bestellungen über einen Onlineshop aufnimmt, konnte sie auch während der Pandemie immer weiterarbeiten. Zudem habe sie viel Unterstützung erfahren: “Viele haben angekündigt, ihre Kinderkleidung in Zukunft bei mir kaufen zu wollen. Vielleicht ist der Zusammenhalt auch aufgrund der Pandemie größer geworden. Bis jetzt läuft das Geschäft wirklich ganz gut!” freut sich die Schneiderin.
Martin Troi war jahrelang als Patissier im Gastgewerbe tätig. Am 24. Januar 2020 hat er sich als Patisserie-Coach selbstständig gemacht: Er bietet private Schulungen und Kurse für Hotel-Köche, Bäcker, Konditoren und andere Berufsgruppen an. So kann er neue Techniken in der Praxis weitervermitteln. Nur: Seine Auftraggeber, vor allem Hotels und Gastbetriebe, sind im Moment geschlossen. So muss er sich sein Einkommen in der Zwischenzeit mit der Produktion von Pralinen und kleinen Gussformen zu Hause verdingen. Für Troi ist die Situation kein Grund, die Selbstständigkeit an den Nagel zu hängen: “Ich hoffe, dass Hotels und Gastbetriebe bald wieder öffnen dürfen. Lange kann das nicht mehr dauern”, meint der Patissier zuversichtlich.
Nach einem Kurzurlaub in Südtirol beschließt der gebürtige Lombarde Alberto Bicenti sich in Sterzing selbstständig zu machen. Im Februar 2021 ist es soweit: Sein Friseursalon “Be Nice” wird eingeweiht. “Aprire un'azienda tutta mia era uno dei miei obbietivi di vita”, erklärt der langjährige Friseur. Die Tatsache, dass Friseure nach dem ersten Lockdown meistens arbeiten durften, hätte ihm den Mut zu diesem Schritt gegeben. Trotzdem war die Investition keine einfache Entscheidung: “Quello che mi ha spinto a questo passo era l’idea di poter' dare un po’ di gioia alle persone, coccolarle in un momento così difficile.” Und weiter: “Sentirsi in ordine coi capelli, ti fa sentire bene a livello morale. Questo mi ha stimolato.” Während die Kunden anfangs noch überrascht gewesen wären – “mi dicevano che ero molto corraggioso” – haben sich viele von ihnen schon jetzt zu Stammkunden entwickelt. “Cercando di dare positività, sempre col sorriso, i clienti sentono piacere anche solo a venirti a salutare.”
Was andere schon gewagt haben, steht Raffaela Plunger und ihrem Partner noch bevor. Am 12. April 2021 wollen sie in Barbian die Fitnesshalle "Labl" eröffnen. Dabei ist die Bezeichnung "Halle" treffend: Jedem Besucher, jeder Besucherin sollen 12 Quadratmeter zum Trainieren zur Verfügung stehen. Trainiert werden soll vor allem in Gruppen und mit dem eigenen Körpergewicht – Ausdauer, Beweglichkeit und Stärke. "Wir träumen schon lange davon, gemeinsam etwas Eigenes aufzubauen. Auf persönlicher Ebene war der Zeitpunkt genau der Richtige – wenn nicht jetzt, wann dann?", erzählt die Fitnesstrainerin. Dass sich die Pandemie so hartnäckig hält, ist für die Branche aber alles andere als ideal: Einige Fitnessstudios warten noch immer auf die Wiedereröffnung, andere mussten bereits ganz schließen. "Die Reaktionen auf unser Vorhaben fielen dementsprechend überrascht aus. Natürlich ist die Neueröffnung auch ein Risiko. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Menschen sich freuen, ihre körperliche Gesundheit wieder stärken zu können."