Kultur | Salto Afternoon

Vom Umgang mit dem russischen Film

Der Krieg ist ein allgegenwärtiges Phänomen und macht auch vor der Kultur nicht halt. Aktuell kann man die absurden Ausmaße gutgemeinter Zensurmaßnahmen verfolgen.
Ukraine
Foto: Ukraine

Der finnische Film „Abteil 6“, der im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes den Großen Preis der Jury gewann, wurde jüngst zumindest kurzeitig von der deutschen Kinokette Cinestar boykottiert. Grund war der Hauptdarsteller Yura Borisov, ein Russe, dem im laufenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eine unangenehme Rolle zufällt. Cinestar wollte den Film in Deutschland nicht zeigen, da ein Russe die Hauptrolle darin spielte. Es ist ein Versuch, jegliches Russische aus unserem, respektive dem Leben der Deutschen, zu tilgen. Es ist weiter ein Versuch, der möglicherweise gut gemeint ist – man möchte den russischen Film (und die damit verbundene Wirtschaft) in dieser Zeit nicht stärken. Dass es sich bei „Abteil 6“ um einen finnischen Film mit russischem Hauptdarsteller handelt, sei dahingestellt. Doch der vom Prinzip der Sanktionen bestimmte Gedanke der Kinokette schießt am Ziel vorbei. Denn ein Totschweigen russischer Kunst, beziehungsweise ein bewusstes, deutlich sichtbares Zensieren derselben führt nicht zu Aufklärung oder Verbesserung irgendwelcher kriegerischen Umstände, sondern lediglich zu einer Gewöhnung der Ablehnung. Russische Kunst, egal in welcher Disziplin abzulehnen, darf nicht zur Gewohnheit werden. Die Konsequenzen wären wachsender Hass und eine grundsätzliche negative Assoziation, die sich für viele Jahre halten dürfte. Die Kunst Russlands kann nichts für diesen Krieg. Wir müssen sie ideologisch von Putin trennen, sofern sie ideologisch Abstand von ihm nimmt. Ein Film wie „Abteil 6“ fördert das über-europäische Zusammenleben. Der Umgang mit ihm beschneidet es.


Doch auch die Ukraine selbst scheint unschlüssig zu sein, wie mit der Kunst des Nachbarn, aber auch der eigenen umzugehen sei. Die ukrainische Filmakademie warf den heimischen Filmemacher Sergei Loznitsa aus ihrem Verband – da er für ein Nebeneinander ukrainischer und russischer Filme bei einem französischen Festival ist, und da er sich als filmischen Kosmopoliten bezeichnet, nicht aber als streng nationalistischen Ukrainer. Ginge es nach der Akademie, müsste sich Loznitsa zur ukranischen Filmbranche, und nur zu ihr, bekennen. Er weigerte sich und wurde indes rausgeworfen. Loznitsa ist wohlgemerkt der aktuell berühmteste ukrainische Regisseur.


Man erkennt also auf beiden Seiten einen Umgang, der ins Nichts führt. Von der russischen Seite lohnt es sich nicht zu sprechen, da die Zensur des Kremls eine ernsthafte Diskussion ohnehin ausschließt. Die Ukraine hingegen muss erkennen, dass der Rückzug in die eigene Blase den Konflikt nicht beendet. Die Dämonisierung allem Russischen ist falsch, und ebenso die Zensur von Meinung im eigenen Land. Damit nähert sich die Ukraine den faschistischen Methoden Russlands an. Weltoffenheit ist gefragt, besonders da die Ukraine selbst die internationale Solidarität einfordert, zurecht natürlich. Es ist wichtig, nationale Identität zu erhalten, besonders in Zeiten, da ein Nachbarland jene Identität zerstören möchte. Doch man sollte sich vor dem Blick nach außen nicht verschließen. Das mag eine hohe Erwartung an ein Land im Kriegszustand sein, doch da die Filmakademie angesichts der prekären Lage anscheinend die Kapazitäten hat, über den Ausschluss eines ihrer Mitglieder nachzudenken, sollte die Forderung erlaubt sein. Nationalismus treibt den Krieg an, und Nationalismus ist jene Zutat, die die Kunst einschränkt. Sie von Leuten wie Loznitsa einzufordern, ist der falsche Weg. Wir als vom tatsächlichen Krieg unbehelligte Europäer*innen tragen die Verantwortung, einer zukünftigen, generellen Verurteilung des russischen Volkes, seiner Tradition und Kultur entgegenzuwirken.