„Wir sind alle Raver”
Als wir gestern, Mittwoch, 24. Mai, so gegen 19 Uhr, beim Klösterle in St. Florian bei Laag/Neumarkt eintreffen, ist entspannte Geschäftigkeit festzustellen. Vor dem Eingang wird an einer Theke gebaut, während der Innenhof „eingerichtet” wird, denn im Gegensatz zum letzten Jahr, wird er heuer eine andere Funktion haben, weil er genau zwischen den beiden Bühnen – die eine in der anliegenden Kapelle, die andere an vor dem Eingang – liegen wird. Das „Hospiz” ist ein Electronic-Festival, das an diesem Wochenende zum fünften Mal stattfinden wird. Wieder etwas größer, mit mehr Artists, wieder mit Kunst und mit einem achtsamen Blick auf Details, die eigentlich keine Details sind. Dazu gehört etwa eine besondere Art dessen, was gemeinhin als Security gesehen wird (mehr dazu weiter unten), dazu gehört ein thematischer roter Faden und dazu gehört, dass hier ein Kollektiv am Werke ist, das ganz konkret an einer gemeinsamen Vision arbeitet.
Unter den zehn, fünfzehn Leuten, die sich an den Vorbereitungen zu schaffen machen, sehen wir gar einige der Musiker/Musikerinnen, die im LineUp des Festivals stehen: Stefan „Rudi Ratte” Gabalin, Toni Telefoni von Steiner & Phonè, Samuel „DJ Fedl” Fedeli, Maximilian „DJ Nissan” Pichler, Francesca „FCANTASS” Cantele und Philipp Kieser, der am Freitag, 26. Mai 2023, 20 Uhr, das Festivals mit seinem ersten Auftritt als Shy Shy Boy eröffnen wird.
Kieser ist es auch, der uns einige Fragen beantwortet, die wir zum kleinen, fünfjährigen Jubiläum haben. Eine kleine Führung durch das Klösterle und um es herum, zeigt uns das Potential dieser Location, die ein weiteres Wachsen des Festivals durchaus zulassen würde. Dasselbe gilt für die verschiedenen Innenräume, die bereits für Kunstprojekte, Safer Space und, in der Kapelle, für eine weitere Bühne genutzt werden. Es ist eine modulare Angelegenheit, wenn man so möchte, die nach Bedarf erweitert werden kann, ohne dabei Verwirrung zu schaffen. Nach fünf Jahren ist die Struktur den Organisatoren bekannt und sie wissen sie nach ihren Bedürfnissen auch zu nutzen.
salto.music: Philipp, fünf Jahre Hospiz ... wird es einen Kuchen geben?
Philipp Kieser: (lacht verblüfft) ... mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet ... ähm, nein, wird es nicht geben.
salto.music: Beim Blick auf das umfangreiche Programm tauchte bei mir die Frage auf, wie ein derartiges Programm entsteht: Ist es einfach das Ergebnis des normalen Bookings, oder habt ihr eine Vorstellung davon, wie das Festival klingen soll und sucht euch dann entsprechend die Artists?
Philipp Kieser: Ich glaube schon, dass man von vorne herein festlegt, welche Stimmung man auf dem Festival haben möchte, sich überlegt, was das Hauptthema des Festivals sein könnte. Diesbezüglich haben wir uns überlegt, was in den letzten fünf Jahren passiert ist, es sind einige dabei, die bereits mehrmals aufgetreten sind, es sind einige neue Namen dabei, einige internationale Acts ... das widerspiegelt in etwa den Charakter der ersten vier Editionen. Gleichzeitig haben wir wieder versucht, alles etwas einzugrenzen und eine offene Fragestellung zu präsentieren, und zwar: Welchen Einfluss kann Kunst und Kultur auf die Gesellschaft haben? Hat sie überhaupt einen Einfluss und wenn ja, wie passiert das? Können wir dies in einem Setting wie dem Hospiz-Festival bemerken, feststellen oder zelebrieren? Damit kommt man dann zu einem Verständnis, wie das Klangbild und das künstlerische Bild sein muss.
Das mag schwer umsetzbar erscheinen, aber wir sind auch hier um zu experimentieren, das ist eine unserer Grundsäulen, dementsprechend schauen wir auch einfach was passiert, was sich daraus ergibt. Wir sind ein Kollektiv und wir versuchen nicht nur streng in eine Richtung zu schauen, was auch sehr befreiend ist, wenn man versucht, das Ganze offen zu halten. Jeder und jede von uns legt seine Ideen und Wünsche auf den Tisch und daraus versucht man ein Muster zu schaffen, das das Kollektiv widerspiegelt.
salto.music: Die Artists wissen also, worum es bei diesem Festival geht?!
Philipp Kieser: Sofern sie das Briefing durchgelesen haben, dann wissen sie es. Es liegt dann natürlich an ihnen, ob sie die Fragestellung oder das Grundkonzept interpretieren möchten oder nicht, die Tatsache, dass alles offen ist, dass man sich auch einmal anders präsentieren kann als zum Beispiel in einem Club, dass man auch experimentieren kann. Für mich und für uns ist es spannend zu sehen was entstehen kann, wenn jemand den Freiraum dazu hat. Und damit sind wir dann beim Thema, wie kann Kultur und Kunst Gesellschaft formen.
salto.music: Ich kann natürlich nur von dem kleinen, von mir wahrgenommenen Ausschnitt ausgehen, aber mein Eindruck ist, dass es in der elektronischen Musik allgemein etwas ruhiger, flächiger geworden ist, dass die vordergründige Energie etwas zurückgenommen wird. Befinden wir uns nach der Drum'n'Bass- und Dubstep-Hektik in einer Art Ruhepause?
Philipp Kieser: Das ist eine gute Frage. Ich finde, das muss man aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Zum einen haben wir die Entwicklung im Techno, die immer härter wird, auch flächiger, aber härter, kruder, minimalistischer, auf der anderen Seite haben wir aber auch immer mehr atmosphärischen Sound. Die Hektik aus Drum'n'Bass- und Dubstep-Zeiten ist vielleicht nur mehr unterschwelliger zu hören. Aber in der jungen Generation ist der schnelle Techno nach wie vor präsent. Bei uns hier vermischt sich alles: zwischen atmosphärisch, flächig, experimentell, verschroben, aber auch housig und groovig und Ambient ist alles dabei.
salto.music: Ihr hattet letztes Jahr einen Live-Schwerpunkt und auch heuer sind wieder Live-Acts dabei...
Philipp Kieser: Ich glaube es ist wichtig eine gute Mischung aus Live-Acts und DJs zu haben. Wir haben heuer versucht, das Vokale einzufügen, wie beispielsweise mit Kenji Araki & Anthea haben wir diese Verbindung von Stimme und experimenteller, elektronischer Musik. Dieses performative Element ist etwas, das wir in Zukunft weiter pushen möchten.
Ein Riesen-Highlight für mich ist, wenn Davide Piras, Alpi und D_Roots gemeinsam ein Live-Set spielen, wo vier von den interessantesten Köpfen des Landes zusammenkommen und mit all ihren Maschinen live spielen. Interessant wird es auch, wenn Steiner & Phonè das Instrumentelle mit Gitarren, Synthesizer, Drum-Machines etc. einbringen. Es ist schön zu sehen, dass durch einen Verein wie Hospiz solche Ideen lokal entstehen können.
salto.music: Wie sollte man ein Festival mit so vielen Artists eigentlich besuchen?
Philipp Kieser: Man kann sich vorher informieren, wer wann genau spielt und gezielt hingehen, aber das machen die wenigsten. Oder: Man geht einfach hin und lässt es auf sich wirken und schaut was passiert. Viele kommen auch nur zum Feten, und das passt definitiv auch, weil wir vom Hospiz sind nicht nur hier, um hochgradige Kultur zu schaffen, sondern wir sind alles Raver, wir kommen alle aus diesem Bereich, aber wir haben auch den intellektuellen Anspruch, der Hedonismus auf der einen Seite, aber das Experimentelle, das Kulturelle gleichzeitig auf der anderen. Das ist Hospiz. Hospiz ist nicht nur zeitgenössische elektronische Musik, sondern auch Spaß haben, eine gute Zeit zu haben, sich mit der Beschäftigung mit Kunst und Kultur und Musik und Performance fallen lassen zu können.
Die Küche, der Safer Space und die Security
Evelyn Geier gehört nicht zu den Artists, spielt aber gleichwohl eine sehr wichtige Rolle im Hospiz-Team, ist sie es doch, die nicht nur für die Küche zuständig ist: „Wir machen vegetarisches und veganes Essen, weil wir möchte, dass es für alle passt. Wir versuchen sogar lactosefreie und glutenfreie Produkte zu verwenden, weil eines unserer Hauptprinzipien bei diesem Festival die Inklusion ist und nicht die Exklusion. Aus diesem Grunde haben wir auch ein Awareness-Team, weil es uns natürlich wichtig ist, dass sich die Menschen auf diesem Festival wohl fühlen. Gerade bei einem Festival wie diesem, kommen Personen mit unterschiedlichsten Hintergründen zusammenkommen, wollen wir diesen einen geschützten Raum bieten, damit sie sich wohl fühlen. Jede Form von Grenzüberschreitung soll hier keinen Raum finden.”
Neben dem Awareness-Team gibt es auch die klassische Security, wobei Wert darauf gelegt wurde, dass auch Frauen Teil der Security sind, weil, wie Evelyn Geier betont, „Frauen das Recht haben, von einer Frau kontrolliert zu werden und Männer von einem Mann. Das war schwierig, weil es in Südtirol sehr wenige davon gibt.”
Jede, jeder im Awareness-Team ist mit einem gut erkennbaren Leucht-Band ausgestattet und wer Hilfe braucht kann sich auf dem Festivalgelände jederzeit an sie wenden. Zudem gibt es einen Saver Space, einen Rückzugsort mit ruhiger, angenehmer Atmosphäre, ohne Musik und ausgestattet mit Obst, Wasser und Safer Use_Materialien wie Tampons, Kondomen und Drogen-Präventions-Materialien, die vom Forum Prävention bereitgestellt werden.
Links:
„Hospiz 2023” alle Infos: https://hospiz.it/hospiz23/
Hospiz Facebook: https://www.facebook.com/groups/2226229197685113/user/100064814583732/
„Hospiz 2023” Facebook-Event: https://www.facebook.com/events/940544383630807
Ich hoffe, daß die Mauern
Ich hoffe, daß die Mauern einstürzen und alles unter sich begraben!