Gesellschaft | Europawahl 2024

Der Wink mit dem Zaunpfahl!

Europa hat gewählt. Zwar hat sich der politische Schwerpunkt weiter nach rechts verlagert, der befürchtete politische Erdrutsch ist aber ausgeblieben. Trotzdem sollte man nicht zur Tagesordnung übergehen, denn die wichtigen Entscheidungen stehen noch an.
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frankreich
Foto: upi
  • Europa hat gewählt. Zwar hat sich der politische Schwerpunkt weiter nach rechts verlagert, der befürchtete politische Erdrutsch ist jedoch ausgeblieben. Trotzdem sollte man nicht zur Tagesordnung übergehen, denn wichtige Entscheidungen stehen noch an. Die zentrale Aufgabe des Parlaments ist es, eine Mehrheit zu finden, um die Gremien der EU zu bestellen. Hier spielen allerdings die Regierungschefs eine wichtige Rolle, und die Verschiebung des politischen Gleichgewichts in einigen Staaten wird diese Aufgabe erschweren. Ich denke an Deutschland, die Beneluxstaaten und insbesondere an Frankreich, wo es sogar zu Neuwahlen kommt. Daher ist der Ausgang dieser Wahl auch für Europa wichtig.
     

     Eine rechtsradikale Regierung in Frankreich würde Europas Entscheidungsprozesse zusätzlich erschweren.


    Das zentrale Thema bleibt jedoch die Zukunft Europas. Hier gilt es, neue Weichen zu stellen und den verunsicherten Bürgern endlich eine klare Perspektive für die Zukunft zu geben. Der notwendige Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit darf nicht von der Angst vor einem Abbau der sozialen Sicherheit geprägt sein. Die Sorge der Bürger, dass es durch die neuen ökologischen Auflagen zu einer Verminderung der gewohnten Lebensqualität kommt, darf nicht unterschätzt werden. Hier braucht es realistische Entscheidungen und die Vermittlung der damit verbundenen Vor- und Nachteile seitens der demokratischen Kräfte. Sonst überlässt man den Populisten kampflos das Feld.


    Soziale Sicherheit und Lebensqualität sind weite Begriffe und nicht immer leicht zu vermitteln, da die Bedürfnisse der Menschen unterschiedlich sind. Dabei geht es aber immer um Wesentliches. Es handelt sich nämlich nicht nur um jene öffentlichen Leistungen, die den Schwächsten in der Gesellschaft ein menschenwürdiges Auskommen ermöglichen. Es geht auch um öffentliche Dienstleistungen, die für unser gewohntes Dasein als notwendig erachtet werden. 

     

    Der Zugang zu Wasser und das Abwassersystem, die Abfallbeseitigung, insbesondere das Problem der Plastik, das Verkehrsnetz und der öffentliche Transport, bezahlbarer Wohnraum, Gesundheit und Pflege sowie das Bildungswesen sind für fast alle Bevölkerungsschichten wichtig.
    All diese Dienstleistungen sind im Zuge der Liberalisierungen und der Logik der Gewinnmaximierung ins Hintertreffen geraten. Das Europa des freien Marktes und der Freizügigkeit im Waren- und Kapitalverkehr wird ohne soziales Gegengewicht keinen Bestand haben. Die letzten Wahlen waren ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl. Ein Europa ohne Europäer wäre die Folge. Europa muss seiner Bevölkerung weiterhin gute Dienstleistungen zu erschwinglichen Preisen und angemessene Sozialleistungen anbieten und klarmachen, dass dies nur in einem geeinten Europa möglich sein wird.


    Die Welt ist im Umbruch. Die Machtverhältnisse verschieben sich immer mehr. 


    Indien, China und Brasilien, um nur einige zu nennen, haben endgültig die Weltbühne betreten und werden die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren immer stärker beeinflussen. Nur ein großer europäischer Wirtschaftsraum, der auch politisch geeint auftritt, kann sich in Zukunft behaupten. 

  • Foto: EU

    Eine Abschottung einzelner Staaten kann kurzfristig politisches Kapital erbringen, das Ende wird jedoch die Bedeutungslosigkeit auf der Weltbühne sein.

  • Abgesehen von den strategischen Überlegungen sind letztlich die Regionen und Gemeinden für die Erbringung der Dienste verantwortlich. Im Zuge der Liberalisierungen hat Brüssel die lokalen Institutionen übergangen. So hat man im Interesse des Binnenmarktes viele Regelungen durchgezogen und die Distanz zu den Bürgern vergrößert. Auch haben sich viele Versprechen nicht bewahrheitet. Höhere Preise gepaart mit Qualitätsverlusten waren teilweise die Folgen. Somit ist es leicht, gegen die Reglementierungswut der EU Stimmung zu machen.
    Nur ein Europa unter Einbeziehung der Lokalbehörden kann ein Gleichgewicht zwischen den Institutionen garantieren, da letztere die Krisen abfedern müssen. Will man beispielsweise die Klimakrise aufhalten, braucht es nicht nur die Bekämpfung des Klimawandels, sondern auch Maßnahmen sozialer Natur, um die vielen Menschen mitzunehmen, die sich neu orientieren müssen. Dazu braucht es auf allen Ebenen mehr Geld für Investitionen und keine wirtschaftsfeindliche Austerität. Nur auf Qualität, leistbare Preise und Zuverlässigkeit ausgerichtete Dienste und Leistungen geben den Menschen die notwendige Sicherheit. Der notwendige Umbau der Wirtschaft darf nicht allein zulasten der Menschen gehen. Hier ist die öffentliche Hand gefragt, die im Gegensatz zu den Privaten nicht die Gewinnmaximierung im Auge hat.


    Wir sind seit jeher für ein soziales Europa. In einer von multiplen Krisen bestimmten Zeit ist das Gründungsziel der Europäischen Union, die Völker in Europa durch Solidarität, Demokratie und gemeinsame Werte einander näherzubringen, relevanter als jemals zuvor. Ein soziales Europa, das den Bürgern Sicherheit gibt und Zukunftsängste abbaut, ist das einzige Bollwerk gegen Völkerneid, Nationalismus und Populismus.


    Ein Beitrag von Alfred Ebner