Wirtschaft | Willkür?

Der Trick mit dem Datum

Sind Tricksereien beim Mindesthaltbarkeitsdatum auch in Südtirols Milchwirtschaft ein Thema? Eine Spurensuche.
Milchkannen
Foto: Südtirolfoto/Helmuth Rier

“Davon habe ich bei uns noch nie gehört.” Michael Strickner ist nicht der einzige, der sagt, dass ihm Praktiken, wie sie jüngst in Österreich aufgedeckt wurden, unbekannt sind. “Über solche Absprachen weiß ich nicht Bescheid”, schüttelt Silke Raffeiner den Kopf. “Null Kenntnis” hat auch Robert Zampieri von derartigen Vorgängen: Österreichische Molkereien legen laut Greenpeace die Mindesthaltbarkeitsdaten ihrer Produkte oft rein willkürlich fest – häufig auf Wunsch des Handels.

Michael Strickner winkt ab. Nicht der Handel, sondern “der Hersteller entscheidet über das Mindesthaltbarkeitsdatum”. Strickner muss es wissen. Seit 25 Jahren arbeitet er am Milchhof Sterzing, ist dort als Laborleiter für die Qualitätssicherung zuständig. Wie aber wird das Mindesthaltbarkeitsdatum, kurz MHD, festgelegt? “Die Betriebe müssen garantieren, dass das Produkt unter den angegebenen Bedingungen wie Temperatur oder Lagerung bei Erreichen des MHD mikrobiologisch, chemisch und sensorisch in Ordnung ist”, fasst Annemarie Kaser zusammen. Informationen darüber, wie die einzelnen Milchhöfe beim Festlegen des MHD vorgehen, liegen der Direktorin des Sennereiverbandes jedoch nicht vor.

Wachsam in den Becher

Nachfrage in Sterzing. Bereitwillig gibt Laborleiter Strickner Auskunft. Am Beispiel Joghurt erklärt er: “Es gibt rechtliche Vorgaben. Um ein Joghurt als solches deklarieren zu dürfen, müssen laut italienischem Gesetz am Ablauftag in Summe 10 Millionen lebende Milchsäurebakterien im Becher enthalten sein.” Dazu kommt, dass es sich bei Joghurt um ein Frischeprodukt handelt, “wo die die Qualität auch ein wenig von der Technologie und der Hygiene im Betrieb abhängt – und den Zusätzen, die ins Joghurt gegeben werden.”

Bevor ein Produkt auf den Markt gebracht wird, würden Langzeitstudien durchgeführt. “Anhand dieser Daten wissen wir, wie lange wir das MHD ansetzen können, damit die Qualität gewährleistet ist”, so Strickner. “In der Regel geben wir bei Joghurt eine maximale Haltbarkeitsdauer von 50 Tagen an.” Vor 20 Jahren seien es noch höchstens 30 Tage gewesen, erinnert sich der Laborleiter: “Technologien und Maschinen wurden inzwischen aber derart weiterentwickelt, dass wir diese 50 Tage garantieren können.” Mit Konservierungsstoffen könnte die Mindesthaltbarkeit verlängert werden. “Aber die verwenden wir nicht”, lässt Strickner wissen.
Dasselbe gelte für seinen Betrieb, beteuert Robert Zampieri. Er ist Geschäftsführer Südtirols größter Milchgenossenschaft Milkon und betont: “Beim MHD halten wir uns nur an das, was in Italien gesetzlich vorgeschrieben ist.”
Gerade weil ohne Konservierungsstoffe gearbeitet werde, stoße man bei Frischeprodukten wie Joghurt  bei der Haltbarkeit “natürlich irgendwann an Grenzen”, sagt Zampieri, “wir sind bei den klassischen 35 bis 40 Tagen”.

“Für die Tage, die wir angeben, müssen wir gewährleisten, dass das Produkt in einwandfreiem Zustand ist – auch am letzten Tag noch.”
(Michael Strickner, Laborleiter am Milchhof Sterzing)

Was den Unterschied ausmacht

Ein waches Auge auf Lebensmittelhersteller und mögliche Tricksereien hat die Verbraucherzentrale Südtirol (VZS). “So sind zum Beispiel bei Produkten, die im Ausland hergestellt wurden, Zweifel aufgetreten, ob das MHD wirklich voll vertrauenswürdig ist”, berichtet VZS-Geschäftsführer Walter Andreaus. Vereinheitlichte MHD, wie sie Greenpeace Österreich fordert, sehen die Verbraucherschützer allerdings skeptisch. “Gerade bei Frischeprodukten macht es Sinn, dass jeder Hersteller das MHD selbst festlegt, denn er muss ja für die unveränderten Eigenschaften bis zum Ablauftag einstehen”, meint die Ernährungsexpertin der VZS, Silke Raffeiner.

Warum es durchaus vorkommt, dass nicht für alle Joghurts aus derselben Produktionsstätte auch dieselbe Haltbarkeitsdauer angegeben wird, wie Greenpeace für Österreich aufgezeigt hat, erklärt Laborleiter Strickner: “Ein Joghurt, das nur natürliche Zutaten und keine Aromen oder Stabilisatoren enthält, kann durchaus weniger lange haltbar sein. Denn die natürlichen Zutaten bauen sich mit der Zeit ab und das Joghurt schmeckt irgendwann nicht mehr so wie es sollte.”

Dass auf unterschiedliche Verpackungsgrößen für das ein und dasselbe Produkt unterschiedliche MHD aufgedruckt werden, wie es in Österreich der Fall sein soll, hält Strickner für beinahe ausgeschlossen: “Bei uns zumindest passiert das nicht.” Was sehr wohl auf den Verpackungen abweichen könne, obwohl sich das idente Produkt darin befindet, sei die Lagertemperatur, präzisiert Zampieri. Und zwar auf jenen Produkten, die für den Export bestimmt sind: “In Österreich etwa herrschen andere Vorgaben für die Lagertemperaturen als in Italien, die wir zusammen mit dem MHD auf der Verpackung angeben müssen.” Wenig sinnvoll, findet der Milkon-Geschäftsführer: “Bei den Kühltemperaturen sollte wirklich eine EU-weite Vereinheitlichung stattfinden.”

“Wenn Konsumenten mehr auf Eigenverantwortung setzen würden, könnte viel weniger weggeworfen werden.”
(Robert Zampieri, Milkon-Geschäftsführer)

Weg damit?

In einer Frage sind sich Wissenschaftler, Verbraucherschützer und Hersteller einig: Muss ein Lebensmittel nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums umgehend weggeworfen werden? “Nein”, heißt es von allen drei Seiten.
Bei einer Untersuchung im Juli hat Greenpeace Österreich festgestellt, dass ein Joghurt auch sechs Monate nach Ablauf der Haltbarkeit unbedenklich war. “Nur weil das Datum abgelaufen ist, wird ein Joghurt nicht automatisch ungenießbar”, betont Silke Raffeiner.
Die Verbraucherschützer appellieren in erster Linie an die Eigenverantwortung der Konsumenten. “Es kommt häufig vor, dass Lebensmittel einfach am aufgedruckten Ablauftag weggeworfen werden. Das verursacht mehr Müll und verschwendet Ressourcen”, erinnert Walter Andreaus. “Ewig schade”, “eine Katastrophe”, stimmt Robert Zampieri zu. Am MHD kommt ein Hersteller nicht vorbei, “weil wir als Unternehmen ja Garantien abgeben müssen”, so der Milkon-Geschäftsführer. “Aber das Idealste wäre, wenn der Konsument seinen Hausverstand einschaltet, das Produkt mit den eigenen Sinnen testet. Und wenn die Kühlkette eingehalten worden ist, kann man ein Joghurt auch zwei Monate später noch essen.”