Kultur | Salto Afternoon

Vergönnt der Kunst ein Plätzelein

Seit 1922 steht dieser Kunstplatzhalter-Satz im Gästebuch des Hofes Mayr-Unterganzner in Kardaun. Grund genug um das „Plätzelein“ mit einem Wein-Projekt zu besetzen.
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Foto: Daniel Mazza/BAU

Wein und Kunst
Der Wein und die Rebe haben in der Kunstgeschichte eine lange Tradition, ob im sakralen Kontext, in der Literatur oder in der Musik. Wein und Reben sind allgegenwärtig für Winzer, Händler, Gastwirte, Genießer, die ihre beruflichen und privaten Zugänge finden. Dazu erzählen sich Menschen Weingeschichten mit Nebenwirkungen, verewigen auf Fässern, Gläsern und Leinwänden Weingottheiten, von Bacchus bis Urban. Wein ist Inspiration und Absturz.

WeinBAU
Auf einer Erinnerungstafel im Eingangsbereich des alten Bauernhauses steht es in unverrückbaren Lettern: „An dieser Stelle stand das alte und bedeutend größere Unterganznerhaus, wahrscheinlich schon im 16. Jahrhundert. Am 8. April 1945 um 11 Uhr wurde es von mehreren amerikanischen Fliegerbomben vollständig zerstört. Die Bomben galten der nahegelegenen Brücke.“ Die Bomben trafen das Haus, welches 1950 nach den Plänen des Architekten Erich Pattis wieder aufgebaut wurde.
Auch BAU baut auf, setzt über ein halbes Jahrhundert nach Pattis auf Weinanbau, gemäß den ursprünglich gedachten Richtlinien einer zeitgenössischen Künstlerin. Die Initiative für künstlerische Produktion in Südtirol (BAU) gibt es seit 2014. Sie wurde von Simone Mair, Lisa Mazza und Filipa Ramos gegründet und lädt in unregelmäßigen Abständen Kuratoren und Künstler in speziell geschaffene Künstlerresidenzen. BAU bietet Workshops , Filmvorführungen, Wanderungen und Ausstellungen, sucht nach einem bunt gemischten Publikum, setzt auf kollaborative Arbeitsmodelle und schärft den Blick auf abwechslungsreiche „Zusammentreffen von künstlerischen Praktiken und ländlicher Kultur“. Die Arbeit von BAU ist vergleichbar mit einem guten Cuvée, es ist eine Mischung aus feinsten Zutaten.

Terratorium
Die international erfolgreiche britische Künstlerin Emma Smith, BAUjahr 1981, hat sich bei der Traubenernte am Erbhof Mayr-Unterganzner landwirtschaftlich und künstlerich eingebracht. Gemeinsam mit BAU und den Bauern erarbeitete sie einen erlesenen Jungwein, den sie nun mit dem zahlreich erschienenen Publikum verkostete.
Produziert wurde ein äußerst ortsbezogener Barrique Lagrein. Die selbstgezogenen Reben am Unterganznerhof ließen Trauben reifen, die geerntet und manuell entrappt wurden – ein langwieriger (Kunst)Prozess in schnelllebigen Zeiten. Das Holz des Fasses stammt von der Flaumeiche, die in unmittelbarer Nähe wächst.
Die Künstlerin entwickelt häufig Projekte, bei welchen sie Fragen an den Ort stellt, etwa: Gibt es einen ortspezifischer Geschmack? Gibt es noch weitere Orte, die ähnliche Voraussetzungen haben, wie hier am Mayr-Unterganzner, und ähnliche Geschmacksrichtungen hervorbringen?

Emma Smith - Terratorium, von BAU

Wie ist der Ort an dem wir jetzt sind nach außen verbunden?

Mit den Fragen der Künstlerin beschäftigten sich auch Geologen, Meteorologen und Weinkenner. Aus den vielen Antworten hat Smith drei geologische Karten entstehen lassen, die die Vielfalt an „Entstehungsorten“ aufzeigen, die in ihrer Arbeit zu neuen, alten „Verbindungsorten" heranreifen, wie ein guter, alter Wein.
Eine dieser Karten zeigt beispielsweise die Reise des Weines, von Georgien, über Mesopotamien, Nordafrika nach Europa. Ähnlichkeiten zu aktuellen Karten die Migrationsbewegungen zeigen sind frappant.

Präsentiert wurde letztlich ein Jungwein, der nach einer schleppenden Angärung – klarerweise ohne Reinzuchthefen – eine beeindruckend schöne Farbe und viele Geschmacknoten bekommen hat. Auch der Essigsäuregehalt hielt sich für einen Wein in diesem frühen Stadium in Grenzen. Am Ende soll der Wein "die Essenz des Ortes destillieren".