Umwelt | Verkehr

„Nun braucht es verbindliche Fristen“

Was die Bozner heute unglücklich macht, war eindeutig vorherzusehen, sagt der ehemalige Bozner City Manager sowie Gemeinderat und heutige SAD-Berater Helmuth Moroder.
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Foto: Valentino Liberto

Salto.bz: Herr Moroder, im Jahr 2017 spricht sogar schon die SVP-Wirtschaft von einem Bozner Verkehrskollaps. So geschehen bei einer Informationsveranstaltung in Eppan vergangene Woche, bei der Sie eingeladen waren, um die Überetscher Bahn vorzustellen. Ist die Situation in der Landeshauptstadt wirklich so schlimm?
Helmuth Moroder: Wenn wir uns die Daten ansehen, ist die Verkehrsbelastung in Bozen eigentlich seit gut 15 Jahren ziemlich konstant geblieben. Was sich verändert hat, ist die Sensibilität der Menschen, die Einstellung zum Verkehr. Man akzeptiert heute nicht mehr so viel Verkehr, empfindet ihn als Störfaktor. Das sehe ich schon auch positiv. Vor allem nachdem sich die Boznerinnen und Bozner selbst ja heute sehr nachhaltig verhalten, was Mobilität anbelangt.

Inwiefern?
Die Einwohner von Bozen selbst legen nur mehr 25 Prozent der täglichen Bewegungen mit dem Auto zurück. Je 30 Prozent bewegen sich mit dem Fahrrad bzw. zu Fuß vorwärts, der Rest mit Bussen und Motorrädern. Das sind Zahlen, um die wir in ganz Europa beneidet werden. Bozen gilt unter Europas Verkehrsplanern als Modellstadt, die studiert wird, weil viele Städte genau dorthin möchten. Das sehe ich auch in Bologna, wo ich seit Juli die Mobilitätsagentur leite. Hier fahren weniger als 10 Prozent der BürgerInnen mit dem Fahrrad, 20 Prozent gehen zu Fuß und noch über 50 Prozent, also doppelt so viele wie in Bozen, fahren mit dem Auto.

Den BoznerInnen, die in Gries gegen die Verkehrsbelastung auf die Straße gehen, wird das wenig Trost sein.
Eben, es gibt neben dem vorbildhaften stadtinternen Verkehr auch eine andere Seite. Bozen ist schließlich  auch Landeshauptstadt und gut die Hälfte der Autos, die in der Stadt zirkulieren, kommen von auswärts. Dagegen kann die Stadt alleine nicht viel tun. Das ist ein übergemeindliches Problem, das man mit den Nachbargemeinden und mit dem Land lösen muss.

Man könnte auch sagen: das schon längst mit den Nachbargemeinden und mit dem Land gelöst hätte werden sollen.
Ja, diesbezüglich hätte schon längst etwas getan werden müssen. Versäumnisse, die man immer gerne den Boznern in die Schuhe geschoben hat. Da hat es immer  geheißen: Ihr wisst eben nicht, was ihr wollt, ihr müsstet Euch nur mal endlich entscheiden. Doch das ist eine Mär – denn spätestens seit 2010 wusste Bozen ganz genau, was es wollte. Ich würde sagen, so klar wie kaum eine andere Gemeinde in Südtirol. Ich kann das auch deshalb sagen, weil ich von 2005 bis 2010 im Bozner Gemeinderat saß und dort auch Vorsitzender der Verkehrs- und Umweltkommission war. In dieser Zeit wurde in Bozen ein Mobilitätsplan verabschiedet, der sehr klare Vorgaben machte. Ziel war eine Verkehrsberuhigung, die vor allem dadurch erreicht werden sollte, dass durch die Wohnviertel kein Durchzugsverkehr mehr zugelassen wird.

Wie soll das funktionieren?
Indem nur mehr der Ziel- und Quellverkehr in die Stadt darf. Wenn ich aus Meran komme und in die Altstadt muss, darf ich nicht mehr über die Drususstraße und die Talferbrücke fahren, sondern müsste um die Stadt herumfahren. Also von der MeBo unterhalb der Industriezone in den Umfahrungstunnel von Bozen fahren, der dann bis Kampill führt.  

Sie sprechen von der geplanten Fortsetzung des Leiferer Umfahrungstunnels...
Genau. Von dort würde man dann über den Eisack zum Bahnhofsareal gelangen, wo man parken muss, wenn man in die Stadt will. Vom Bahnhofsareal würde man dann auch über einen anderen Tunnel ins Sarntal kommen. 

"Ich behaupte, es war absolut falsch zu sagen, eine Überetscher Bahn ist zu teuer und es reicht auch ein Metrobus."

Den Hörtenbergtunnel, über den ebenfalls schon seit Jahren diskutiert wird.
Nicht ohne Grund. Man muss sich vorstellen, dass der gesamte Verkehr von Sarntal und Jenesien durch die Wohnstraßen von Bozen fährt. Das gibt es in keinem Dorf in Südtirol mehr. Vor allem müssen wir uns vor Augen halten, dass es im Sarntal und in Jenesien auch wichtige Gewerbezonen gibt. Das heißt, auch der gesamte Schwerverkehr, der dorthin muss oder von dort kommt, fährt durch die Bozner Wohnviertel. Das ist eigentlich schon unanständig.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass Sarntal und Jenesien selbst Umfahrungsstraßen haben – wie mittlerweile sehr viele andere Südtiroler Gemeinden. Warum bekommt ausgerechnet die Landeshauptstadt keine?
Das Land hat immer gesagt, wenn wir die Verlängerung für die Autobahnkonzession bekommen, dann können wir einen Teil der Gelder für die Bozner Umfahrungsstraßen verwenden. Diese Bedingung hat aber für alle anderen Umfahrungsstraßen im Land nicht gegolten. Jede Gemeinde hat ihre Umfahrung bekommen – und in Bozen muss man auf die Verlängerung der A22 warten.

Die ja nun endlich unter Dach und Fach zu sein scheint.
Umso wichtiger ist es nun, verbindliche Fristen zu setzen und das Ganze seriös anzugehen.

Sie haben zuletzt als Berater der SAD aber neben der Dolomitenbahn auch an ein weiteren Projekt mitgearbeitet, das Teil des Mobilitätsplans ist: der Überetscher Bahn, die nun durch den Metrobus ersetzt wird.
Für diese Entscheidung habe ich wirklich kein Verständnis. Ich behaupte, es war absolut falsch zu sagen, eine Überetscher Bahn ist zu teuer und es reicht auch ein Metrobus. Bei der Machbarkeitsstudie, die wir nun mit Professor Hüsler für die SAD gemacht haben, hat sich noch einmal gezeigt, dass diese Bahn effektiv extrem interessant  wäre. Noch dazu, wenn sie, wie nun auf Anregung Hüslers geplant, auch noch am Krankenhaus vorbeiführen würde. Damit würde das ganze Überetsch direkt ans Krankenhaus angeschlossen und die Stadt natürlich auch. Und wir müssen auch sehen, dass das Überetsch das einzige Gebiet ist, das noch nicht mit einem guten und modernen öffentlichen Verkehrssystem erschlossen ist.

Doch 200 Millionen Euro sind eben kein Pappenstiel.
Schauen Sie, das Land hat richtigerweise auch sehr viel für den Ausbau der Eisenbahn im Vinschgau und im Pustertal investiert. Und die Überetscher Bahn würde man laut unseren Schätzungen  im Verhältnis sechs bis zehn Mal so viele Fahrgäste pro Bahnkilometer transportieren wie im Vinschgau oder im Pustertal. Aus dem Grund dürfte eine Investition von 200 Millionen Euro kein Thema sein. Denn diese Bahn ist für Eppan und Kaltern sehr wichtig und noch viel wichtiger für die Lebensqualität in Bozen. Das wäre eine Win-Win-Situation für alle und ich kann wirklich nicht verstehen, warum man so etwas abgelehnt hat.

Die Landeshauptstadt soll ja laut Mobilitätsplan überhaupt zwei Straßenbahnen bekommen.
Ja, neben der Bahn ins Überetsch, die von der Rittner Seilbahn über den Bahnhof und die Drususstraße fahren würde, wurde bereits in meiner Zeit im Gemeinderat im Mobilitätsplan eine innerstädtische Straßenbahn projektiert. Die sollte vom Bahnhof über die Altstadt, die Talferbrücke und die Italienallee bis zur neuen Haltestelle in Kaiserau führen. Diese Straßenbahn wäre auch ein Grund, wieso es für Autos immer unattraktiver wäre durch die Stadt zu führen.

Warum?
Es war zumindest damals nicht unbedingt geplant, den Durchzugsverkehr durch Verbote aus den Wohngebieten zu verbannen. Man kann die Straßenplanung auch so gestalten, dass die Autofahrer zunehmend die Lust verlieren, durch die Stadt zu fahren. Zum Beispiel, wenn auf der Drususstraße eine Straßenbahn fährt, die ein bis zwei Fahrspuren besetzt und immer Vorrang hat. Denn wenn sich der Platz für Autos durch eine Straßenbahn oder auch Radwege reduziert, kommen sie immer langsamer vorwärts.

"Man muss sich vorstellen, dass der gesamte Verkehr von Sarntal und Jenesien durch die Wohnstraßen von Bozen fährt. Das gibt es in keinem Dorf in Südtirol mehr. Vor allem müssen wir uns vor Augen halten, dass es im Sarntal und in Jenesien auch wichtige Gewerbezonen gibt. Das heißt, auch der gesamte Schwerverkehr, der dorthin muss oder von dort kommt, fährt durch die Bozner Wohnviertel. Das ist eigentlich schon unanständig."

Wie groß sehen Sie die Chance, dass nun definitiv Bewegung in all das kommt, was schon 2010 geplant war?
Ein wenig optimistich bin ich schon. Denn ich sehe, dass Bürgermeister Caramaschi auf dieselben Projekte setzt wie der damalige Mobilitätsplan. Das ist klug von ihm, denn jetzt wieder alles zu ändern, würde heißen, von Null zu beginnen. Und nachdem er in seiner bisherigen Arbeit ein großes Durchsetzungsvermögen bewiesen hat, denke ich, er müsste imstande sein, mit der Landesregierung handelseins zu werden, wenn er sagt: Das braucht die Stadt und das fordern wir. Auch wenn es dann natürlich dauert.

Wie lange?
Sicher fünf, wenn alles umgesetzt wird zehn Jahre. Doch wenn man nicht beginnt, dauert es unendlich lange. Und man muss schon sagen: Was die Bozner heute unglücklich macht, war eindeutig vorherzusehen. Aus dem Grund wurde 2010 auch der Verkehrsplan so erstellt.

Wenn die Überetscher Bahn heute schon funktionieren würde, hätten wir heute weit weniger Verkehr am Grieser Platz - genauso wie in vielen anderen Bereichen der Stadt...
Vielleicht kann man auch darüber streiten, wie unerträglich die Verkehrsbelastung auf dem Grieser Platz ist. Doch ich habe Verständnis für diese Menschen. Sie sagen, wir gehen zu Fuß, wir fahren mit dem Fahrrad, aber trotzdem sind wir fast nicht mehr imstande, eine Straße zu überqueren. Das steht irgendwann in keinem Verhältnis mehr. Und man kann den Boznern auch nicht sagen, Ihr müsst noch weniger Auto fahren, damit wir in der Stadt Platz für die Autos frei machen, die von außen kommen.

Doch auch die Ankündigung, in Zukunft die Zufahrt nach Bozen für Pendler einzuschränken hat gleich Entrüstung hervorgerufen. Also, es gibt auf beiden Seiten Irritationen...
Freilich, doch irgendwann muss Caramaschi sagen, wenn uns keiner hilft, müssen wir uns selber helfen. Aber es ist klar, ich brauche zuerst attraktive Alternativen, um sagen zu können: Jetzt ergreifen wir richtig strenge Maßnahmen, damit Ihr mit dem Auto weniger leicht in die Stadt hineinkommt. Wir müssen uns nur mitteleuropäische Städte wie Wien anschauen. Dort braucht man eigentlich kein Auto mehr, und vor allem junge Menschen haben keines mehr. Denn dank massiver Investitionen in das öffentliche Verkehrsangebot ist man dort auch ohne Auto mobil. Und ich würde sagen, in Bozen sind wir davon nicht weit entfernt.

Sie meinen, auch in Bozen braucht es kein Auto mehr?
Ja die Stadt selbst ist klein, alles ist gut mit Rad, zu Fuß oder mit Bussen zu erreichen. Das öffentliche Verkehrsangebot für das restliche Land ist recht gut und wenn man doch mal ein Auto braucht gibt es Car Sharing.  Für junge Menschen sind solche Voraussetzungen ein Argument, wo zu wohnen oder hinzuziehen. Das ist heute mitteleuropäischer Standard, das verlang man fast. Und wir könnten ihn auch nach Eppan oder Kaltern bringen.

Wie?
Wenn es eine Bahn ins Überetsch gibt, die bis Mitternacht in kurzen Intervallen in die Stadt fährt. Dann könnte man auch dort ohne Auto mobil sein, und das würde diese Dörfer attraktiver machen. In diesem Fall sollten wir das Gute von der Stadt in die Peripherie bringen. Denn ein Leben ohne Auto bringt Qualitäten,und es ist vor allem günstiger. Wir sollten mehr Geld für Kultur, Reisen oder auch im Gasthaus ausgeben statt für das Grundbedürfnis, uns zu bewegen.

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Klemens Kössler Sa., 25.11.2017 - 08:29

Das ewige Gequasselt rund um die Überetscherbahn ist mit daran Schuld dass nichts verbessert wird, seit Jahren wird die Forderung nach einem Halbstundentakt von den Dörfern Girlan, St.Pauls, Missian, (insgesamt über 4000 Einwohner) mit der Aussage "dann kriegen wir die Bahn nie" blockiert. Diese Dörfer liegen aber sowieso außerhalb des Bereichs der überschätzten Lösung Straßenbahn ins Überetsch. Genau so liegt das Krankenhaus abseits der geplanten
Strecke, es gibt also keine Verbindung zum Krankenhaus. Anstatt lange zu Träumen würde das Problem mit Halbstundentakt und mehr Bussen schon sehr gut verbessert.

Sa., 25.11.2017 - 08:29 Permalink