Politik | Landesregierung

Das Ende der Koalition?

Der Parteiaustritt Carlo Vettoris ist nur der erste Schritt eines Planes, der zum Bruch der Koalition zwischen SVP und Lega und zu einer Regierungsumbildung führen wird.
Landesregierung 2019
Foto: LPA/Oskar Verant
Es ist meistens ein Schneeball, der eine Lawine auslöst.
Den Schneeball hat Carlo Vettori am späten Montagnachmittag geworfen. Um 17.28 Uhr verschickte der Lega-Fraktionssprecher im Südtiroler Landtag eine Pressemitteilung, in der er völlig überraschend seinen Parteiaustritt ankündigt. Vettori will als unabhängiger Abgeordneter sein Mandat im Landtag behalten.
Der Bozner Landtagsabgeordnete begründet seine Entscheidung mit „unüberbrückbaren politischen und persönlichen Differenzen“ innerhalb der Südtiroler Lega und vor allem mit dem ausufernden römischen Zentralismus innerhalb der Salvini-Partei.
Doch was derzeit noch als typischer Streit innerhalb einer Partei daherkommt, ist in Wirklichkeit das erste Grollen einer Lawine, die Südtirolers politisches System nachhaltig erschüttern wird. Denn Vettoris Parteiaustritt ist nur der erste Schritt eines konkreten Planes, den ein Teil der Südtiroler Lega seit längerem schmiedet. Und in Absprache mit maßgeblichen Exponenten der SVP jetzt in die Tat umsetzen will.
 
 
Dabei geht es nicht um den Austritt eines Abgeordneten, sondern um den Bruch der Koalition SVP-Lega auf Landesebene und eine personelle und politische Umbildung der Landesregierung.
 

Der Salvini-Flüsterer

 
Dass der Haussegen innerhalb der Südtiroler Lega seit langem mehr als nur schief hängt, pfeifen die Spatzen spätestens seit Anfang des Jahres vom Dach. Das Problem hat dabei einen Namen: Filippo Maturi.
Der ehemalige Bozner Gemeinderat der Lega hat im März 2018 völlig überraschend über den Wahlkreis „Lazio 2“ den Sprung in die Abgeordnetenkammer geschafft. Der 35-jährige Bozner Jurist und Unternehmer fühlt sich seitdem nicht nur als Chef der Südtiroler Lega, sondern er führt sich auch als solcher auf.
So war es Filippo Maturi, der im Spätherbst 2018 die Koalitionsverhandlungen der Lega mit der SVP anführte und selbst altgediente SVP-Unterhändler dabei an den Rand der Verzweiflung brachte.
 
 
Immer dann, wenn es um politische aber auch inhaltlich wichtige Fragen in der Landesregierung geht, grätscht der römische Onorevole ungefragt dazwischen. So war es Maturi, der alle Hebel in Bewegung setzte, dass Landesrat Massimo Bessone auf keinen Fall die Kompetenz der Krankenhausbauten an seinen Regierungskollegen Thomas Widmann abgeben sollte.
Dass Filippo Maturi innerhalb der Lega schalten und walten kann, gründet auch an seiner engen Freundschaft zu Andrea Crippa. Der um zwei Jahre jüngere Lega-Kammerabgeordnete aus Monza wurde im April 2019 von Matteo Salvini zum Vizesekretär der Lega ernannt. Crippa ist der Mann, der die eigentliche Parteiarbeit in der Salvini-Partei leistet und koordiniert.
 

Offene Verachtung


Der Umgang Maturis mit seinen Südtiroler Parteikollegen schwankt zwischen ausufernder Kritik und offener Verachtung. Der Einzige, mit dem Maturi wirklich kann, ist Giuliano Vettorato. Der italienische Kulturlandesrat ist auch einer der wenigen innerhalb der Lega, der über Maturi gut redet und dem Stahlhelm Salvinis noch die Stange hält. Es war vor allem Maturi, der durchsetzte, dass nicht Massimo Bessone Vizelandeshauptmann wurde, so wie es Arno Kompatscher wollte, sondern Vettorato.
 
 
Gegenüber Landtagsvizepräsidentin Rita Mattei und noch deutlicher gegen Landerat Massimo Bessone verbirgt Filippo Maturi seine Verachtung aber kaum. In Zusammenspiel mit Crippa hat er beide innerhalb der Lega völlig entmachtet. Nachdem er die Vizelandeshauptmannschaft für Bessone verhindert hatte, ließ er den Brixner Lega-Landesrat im März 2019 als Lega-Koordinator für Südtirol absetzen. Später nahm man Bessone auch noch die Koordination des Lega-Bezirkes Brixen, Sterzing, Bruneck. Dasselbe Schicksal hat auch Rita Mattei ereilt. Auch sie wurde von der Lega-Zentrale als Lega-Koordinatorin von Meran kurzerhand abgesetzt.
 

Der Kommissar

 
Vor allem aber hat es Filippo Maturi im Zusammenspiel mit Andrea Crippa geschafft, mit Maurizio Bosatra einen Kommissar für die Südtiroler Lega ernennen zu lassen, der ein kongenialer Partner in diesem Spiel der systematischen Erniedrigungen zu sein scheint.
Maurizio Bosatras Umgangsformen mit seinen Südtiroler Landesräten und Landtagsabgeordneten erinnert eher an den Tonfall auf einem Kasernenhof als an eine zivile, politische Auseinandersetzung. Bosatra gibt nicht Ratschläge, sondern Befehle. So gefällt es dem Lega-Kommissar seine Landesräte selbst am Samstag gegen 22 Uhr anzurufen. Antwortet einer dann nicht, erhält er bei der nächsten Aussprache eine energische Standpauke.
Vor allem aber zeigt und spricht Maurizio Bosatra immer wieder das offen aus, was er von seinen Landesräten und Landtagsabgeordneten hält: „Sono dei deficienti“. Und genauso behandelt der Lega-Kommissar die Landesräte und Abgeordneten dann auch. Auch hier gilt eine klare Ausnahme für Giuliano Vettorato.
 
 
Mehrmals hat sich Maurizio Bosatra auch außerhalb der Lega darüber echauffiert, dass „diese Idioten“ 8.000 Euro im Monat verdienen, während er nur 2.000 Euro bekomme. Alle diese Aussagen kamen den Angesprochenen natürlich zu Ohren und haben die Situation letztlich unerträglich gemacht.
Maurizio Bosatras Umgangsformen erinnert eher an den Tonfall auf einem Kasernenhof als an eine zivile, politische Auseinandersetzung. Er gibt nicht Ratschläge, sondern Befehle.
Über ein halbes Jahr lang waren vor allem Rita Mattei und Massimo Bessone die Zielscheibe dieser kontinuierlichen Attacken. Weil beide seit Wochen aber die Anrufe ihres Kommissars ignorieren, hat sich der Fokus inzwischen auf Carlo Vettori verschoben.
Vor diesem Hintergrund muss man dann auch die Aussagen Carlo Vettoris lesen.
 

Der Plan

 
Hat Carlo Vettori in diesem Klima die Nerven verloren und in einer Kurzschlusshandlung die Lega verlassen?
Keineswegs.
In Wirklichkeit ist dieser Austritt nur der erste Schritt eines Planes, den Carlo Vettori, Rita Mattei und Massimo Bessone seit Monaten ventilieren. Es ist eine Aktion, die - nach Informationen von salto.bz - auch das Wohlwollen des Landeshauptmannes Arno Kompatscher genießt und jenen Teils der SVP, der mit der Koalition mit Salvinis Lega von Anfang an Bauchweh hatte.
In den nächsten Tagen werden auch Landesrat Massimo Bessone und Landtagsvizepräsidentin Rita Mattei die Lega verlassen. Das Trio wird dann im Landtag eine eigene Fraktion und schon bald eine eigene politische autonomiefreundliche, neue Bewegung bilden.
Damit wird aber auch die Regierungskoalition SVP-Lega zerbrechen und es wird zu einer Regierungsumbildung kommen. 
 
 
Man geht davon aus, dass Giuliano Vettorato seinen drei Ex-Parteikollegen kaum folgen und in der Lega verbleiben wird. Deshalb dürfte Arno Kompatscher den Leiferer Landesrat auch aus dem Amt entlassen.
Die SVP wird dann jene neue Bewegung in die Landesregierung aufnehmen, die mit drei Landtagsabgeordneten die zahlenmäßig größte Vertretung der italienischen Sprachgruppe stellt. Es sind die drei ehemaligen Lega-Abgeordneten.
Massimo Bessone kann so auf seinem Platz bleiben und zum italienischen Landeshauptmann-Stellvertreter aufrücken. Als zweite italienische Landesrätin dürfte Rita Mattei dann neu in die Landesregierung einziehen.
Den dadurch frei werdenden Platz des Landtagsvizepräsidenten wird man dem PD-Abgeordneten Sandro Repetto zusprechen. Als mögliche Alternativen kommen auch Riccardo Dello Sbarba (Grüne) oder Diego Nicolini (M5S) in Frage.
Die Regierungsmehrheit verliert durch diese geplante Umbildung im Landtag nichts an Stärke. Zudem kann man mit dem PD eine römische Regierungspartei indirekt wieder in die Mehrheit holen.
Arno Kompatscher hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Koalition mit der Lega für eine Zweckehe hält. Er wird sich diese Chance kaum entgehen lassen. Vor allem dann, wenn es numerisch nicht anders geht.
Spätestens dann aber hat der Schneeball von Carlo Vettori seine Wirkung getan.