Politik | Landesregierung
Das Ende der Koalition?
Foto: LPA/Oskar Verant
Es ist meistens ein Schneeball, der eine Lawine auslöst.
Den Schneeball hat Carlo Vettori am späten Montagnachmittag geworfen. Um 17.28 Uhr verschickte der Lega-Fraktionssprecher im Südtiroler Landtag eine Pressemitteilung, in der er völlig überraschend seinen Parteiaustritt ankündigt. Vettori will als unabhängiger Abgeordneter sein Mandat im Landtag behalten.
Der Bozner Landtagsabgeordnete begründet seine Entscheidung mit „unüberbrückbaren politischen und persönlichen Differenzen“ innerhalb der Südtiroler Lega und vor allem mit dem ausufernden römischen Zentralismus innerhalb der Salvini-Partei.
Doch was derzeit noch als typischer Streit innerhalb einer Partei daherkommt, ist in Wirklichkeit das erste Grollen einer Lawine, die Südtirolers politisches System nachhaltig erschüttern wird. Denn Vettoris Parteiaustritt ist nur der erste Schritt eines konkreten Planes, den ein Teil der Südtiroler Lega seit längerem schmiedet. Und in Absprache mit maßgeblichen Exponenten der SVP jetzt in die Tat umsetzen will.
Dabei geht es nicht um den Austritt eines Abgeordneten, sondern um den Bruch der Koalition SVP-Lega auf Landesebene und eine personelle und politische Umbildung der Landesregierung.
Der Salvini-Flüsterer
Dass der Haussegen innerhalb der Südtiroler Lega seit langem mehr als nur schief hängt, pfeifen die Spatzen spätestens seit Anfang des Jahres vom Dach. Das Problem hat dabei einen Namen: Filippo Maturi.
Der ehemalige Bozner Gemeinderat der Lega hat im März 2018 völlig überraschend über den Wahlkreis „Lazio 2“ den Sprung in die Abgeordnetenkammer geschafft. Der 35-jährige Bozner Jurist und Unternehmer fühlt sich seitdem nicht nur als Chef der Südtiroler Lega, sondern er führt sich auch als solcher auf.
So war es Filippo Maturi, der im Spätherbst 2018 die Koalitionsverhandlungen der Lega mit der SVP anführte und selbst altgediente SVP-Unterhändler dabei an den Rand der Verzweiflung brachte.
Immer dann, wenn es um politische aber auch inhaltlich wichtige Fragen in der Landesregierung geht, grätscht der römische Onorevole ungefragt dazwischen. So war es Maturi, der alle Hebel in Bewegung setzte, dass Landesrat Massimo Bessone auf keinen Fall die Kompetenz der Krankenhausbauten an seinen Regierungskollegen Thomas Widmann abgeben sollte.
Dass Filippo Maturi innerhalb der Lega schalten und walten kann, gründet auch an seiner engen Freundschaft zu Andrea Crippa. Der um zwei Jahre jüngere Lega-Kammerabgeordnete aus Monza wurde im April 2019 von Matteo Salvini zum Vizesekretär der Lega ernannt. Crippa ist der Mann, der die eigentliche Parteiarbeit in der Salvini-Partei leistet und koordiniert.
Offene Verachtung
Der Umgang Maturis mit seinen Südtiroler Parteikollegen schwankt zwischen ausufernder Kritik und offener Verachtung. Der Einzige, mit dem Maturi wirklich kann, ist Giuliano Vettorato. Der italienische Kulturlandesrat ist auch einer der wenigen innerhalb der Lega, der über Maturi gut redet und dem Stahlhelm Salvinis noch die Stange hält. Es war vor allem Maturi, der durchsetzte, dass nicht Massimo Bessone Vizelandeshauptmann wurde, so wie es Arno Kompatscher wollte, sondern Vettorato.
Gegenüber Landtagsvizepräsidentin Rita Mattei und noch deutlicher gegen Landerat Massimo Bessone verbirgt Filippo Maturi seine Verachtung aber kaum. In Zusammenspiel mit Crippa hat er beide innerhalb der Lega völlig entmachtet. Nachdem er die Vizelandeshauptmannschaft für Bessone verhindert hatte, ließ er den Brixner Lega-Landesrat im März 2019 als Lega-Koordinator für Südtirol absetzen. Später nahm man Bessone auch noch die Koordination des Lega-Bezirkes Brixen, Sterzing, Bruneck. Dasselbe Schicksal hat auch Rita Mattei ereilt. Auch sie wurde von der Lega-Zentrale als Lega-Koordinatorin von Meran kurzerhand abgesetzt.
Der Kommissar
Vor allem aber hat es Filippo Maturi im Zusammenspiel mit Andrea Crippa geschafft, mit Maurizio Bosatra einen Kommissar für die Südtiroler Lega ernennen zu lassen, der ein kongenialer Partner in diesem Spiel der systematischen Erniedrigungen zu sein scheint.
Maurizio Bosatras Umgangsformen mit seinen Südtiroler Landesräten und Landtagsabgeordneten erinnert eher an den Tonfall auf einem Kasernenhof als an eine zivile, politische Auseinandersetzung. Bosatra gibt nicht Ratschläge, sondern Befehle. So gefällt es dem Lega-Kommissar seine Landesräte selbst am Samstag gegen 22 Uhr anzurufen. Antwortet einer dann nicht, erhält er bei der nächsten Aussprache eine energische Standpauke.
Vor allem aber zeigt und spricht Maurizio Bosatra immer wieder das offen aus, was er von seinen Landesräten und Landtagsabgeordneten hält: „Sono dei deficienti“. Und genauso behandelt der Lega-Kommissar die Landesräte und Abgeordneten dann auch. Auch hier gilt eine klare Ausnahme für Giuliano Vettorato.
Mehrmals hat sich Maurizio Bosatra auch außerhalb der Lega darüber echauffiert, dass „diese Idioten“ 8.000 Euro im Monat verdienen, während er nur 2.000 Euro bekomme. Alle diese Aussagen kamen den Angesprochenen natürlich zu Ohren und haben die Situation letztlich unerträglich gemacht.
Maurizio Bosatras Umgangsformen erinnert eher an den Tonfall auf einem Kasernenhof als an eine zivile, politische Auseinandersetzung. Er gibt nicht Ratschläge, sondern Befehle.
Über ein halbes Jahr lang waren vor allem Rita Mattei und Massimo Bessone die Zielscheibe dieser kontinuierlichen Attacken. Weil beide seit Wochen aber die Anrufe ihres Kommissars ignorieren, hat sich der Fokus inzwischen auf Carlo Vettori verschoben.
Vor diesem Hintergrund muss man dann auch die Aussagen Carlo Vettoris lesen.
Der Plan
Hat Carlo Vettori in diesem Klima die Nerven verloren und in einer Kurzschlusshandlung die Lega verlassen?
Keineswegs.
In Wirklichkeit ist dieser Austritt nur der erste Schritt eines Planes, den Carlo Vettori, Rita Mattei und Massimo Bessone seit Monaten ventilieren. Es ist eine Aktion, die - nach Informationen von salto.bz - auch das Wohlwollen des Landeshauptmannes Arno Kompatscher genießt und jenen Teils der SVP, der mit der Koalition mit Salvinis Lega von Anfang an Bauchweh hatte.
In den nächsten Tagen werden auch Landesrat Massimo Bessone und Landtagsvizepräsidentin Rita Mattei die Lega verlassen. Das Trio wird dann im Landtag eine eigene Fraktion und schon bald eine eigene politische autonomiefreundliche, neue Bewegung bilden.
Damit wird aber auch die Regierungskoalition SVP-Lega zerbrechen und es wird zu einer Regierungsumbildung kommen.
Man geht davon aus, dass Giuliano Vettorato seinen drei Ex-Parteikollegen kaum folgen und in der Lega verbleiben wird. Deshalb dürfte Arno Kompatscher den Leiferer Landesrat auch aus dem Amt entlassen.
Die SVP wird dann jene neue Bewegung in die Landesregierung aufnehmen, die mit drei Landtagsabgeordneten die zahlenmäßig größte Vertretung der italienischen Sprachgruppe stellt. Es sind die drei ehemaligen Lega-Abgeordneten.
Massimo Bessone kann so auf seinem Platz bleiben und zum italienischen Landeshauptmann-Stellvertreter aufrücken. Als zweite italienische Landesrätin dürfte Rita Mattei dann neu in die Landesregierung einziehen.
Den dadurch frei werdenden Platz des Landtagsvizepräsidenten wird man dem PD-Abgeordneten Sandro Repetto zusprechen. Als mögliche Alternativen kommen auch Riccardo Dello Sbarba (Grüne) oder Diego Nicolini (M5S) in Frage.
Die Regierungsmehrheit verliert durch diese geplante Umbildung im Landtag nichts an Stärke. Zudem kann man mit dem PD eine römische Regierungspartei indirekt wieder in die Mehrheit holen.
Arno Kompatscher hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Koalition mit der Lega für eine Zweckehe hält. Er wird sich diese Chance kaum entgehen lassen. Vor allem dann, wenn es numerisch nicht anders geht.
Spätestens dann aber hat der Schneeball von Carlo Vettori seine Wirkung getan.
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„Sono dei deficienti“ in
„Sono dei deficienti“ in Anbetracht der Tatsache, dass diese Leute alle samt freiwillig in die Lega eingetreten sind, kann man ihm da wirklich widersprechen?
Auf jeden Fall ist es schön, dass Maturi die Tradition der inneren Zerstörung von Rechtsparteien in Südtirol am Leben erhält, mal sehen ob er auch eine Laufbahn wie Frau Biancofiore hin bekommt.
Toller, sehr
Toller, sehr aufschlussreicher Artikel. Danke dafür!
Zentralistisch? Hat sich
Zentralistisch? Hat sich nicht die Lega selbst dem Föderalismus und der Dezentralisierung verschrieben?
Selbstverständlich ist die Frage rhetorisch gemeint, denn die Gruppierung offenbart - wie in den letzten 20 Jahren - nach einiger Zeit immer ihr wahres Gesicht. Und dass man mit der Sprache und den Bildern, die die Lega benutzt keine vernünftige europäische Politik machen kann, müsste jedem klar denkendem Menschen spätestens jetzt bewusst sein.
Es spricht nicht für die Intelligenz des Südtiroler Durchschnittswählers bzw. für die Südtiroler Gesellschaft, dass man solchen Personen das Vertrauen geschenkt hat. Und auch nicht für die Weitsichtigkeit der SVP bzw. für deren Exponenten, die sich für ein Zusammenspiel mit der Lega in Stellung gebracht haben.
Antwort auf Zentralistisch? Hat sich von Hans Hanser
Ach der arme Südtiroler
Ach der arme Südtiroler Durchschnittswähler!
Als er vor 20-25 Jahren noch brav mit 60% die SVP angekreuzt hat, wurde ihm auch schon vorgeworfen, es würde nicht für seine Intelligenz sprechen.
Und jetzt hat er endlich mal ein bisschen, bisschen anders gewählt(ob gut oder schlecht sie dahingestellt), und das Resultat, und die Intelligenz, ist das gleiche.
Ja was soll er denn machen der Gute?
Antwort auf Ach der arme Südtiroler von Manfred Gasser
Ein bisschen, bisschen anders
Ein bisschen, bisschen anders - Lega?!? Bei einer solchen Meinung fehlen mir die Worte...
Antwort auf Ein bisschen, bisschen anders von Hans Hanser
Vorher waren es halt die
Vorher waren es halt die Freiheitlichen, die sich als Alternative angeboten haben, zumindest für den deutschsprachigen Südtiroler Durchschnittswähler. Und wie das funktioniert hat, darüber muss man nicht unbedingt reden.
Und diesmal waren es halt die leghisti, und auch das wird sich wieder ändern, und ob man danach noch darüber redet, wie es funktioniert hat?
Ich weiss es nicht, aber Sie könnten inzwischen malmeine Frage vom letzten Kommentar beantworten.
Ja was soll er denn machen der Gute?
Antwort auf Vorher waren es halt die von Manfred Gasser
Als ich noch in Südtirol
Als ich noch in Südtirol gelebt habe, war es ein absolutes Unding eine italienische Partei zu wählen. Deutsche wählten deutsche Parteien, Italiener die ihrigen. Alexander Langer hat diese Grenzen sicher ein wenig verschoben, aber dass deutschsprachige Wähler rechtsnationale Parteien, die mit "prima gli italiani" auch noch Wahlwerbung machen, wählen, das erscheint mir schon als Gipfel der Dummheit.
Wie gesagt, früher war es so. Ich will und kann keine Wahlempfehlung abgeben, aber der deutschsprachige Wähler müsste doch, neben der Sammelpartei, noch genügend Alternativen im deutschen Spektrum haben, oder etwa nicht?
Im Übrigen sollten Sie Ihre Statistikkenntnisse ein wenig auffrischen, denn das letzte Mal, dass die SVP bei 60% lag, ist 35 Jahre (!) her (https://www.landtag-bz.org/de/datenbanken-sammlungen/ergebnisse-legisla…). Danach gings nur noch bergab...
Antwort auf Vorher waren es halt die von Manfred Gasser
@Gasser, ich mache mit Ihnen
@Gasser, ich mache mit Ihnen mal ein Ratespiel. Entweder Sie gehören selbst zu den deutschsprachigen Südtirolern, die Lega gewählt haben, dann erübrigt sich zwischen uns eh jedwede Diskussion.
Wenn nicht und Sie suchen nach Alternativen zum Edelweiß, könnten Sie es ja mit denen versuchen, die der SVP allem Anschein nach noch unbequemer sind als die italienischen Rechten. Meiner Meinung nach wären diese eine gute Wahl...
Antwort auf @Gasser, ich mache mit Ihnen von Hans Hanser
Und das wären die deutschen
Und das wären die deutschen Rechten?
Und der einzige Unterschied wäre halt der Name des grossen Idols.
Ironie an(damit Sie mich nicht falsch verstehen): Was deutsche Parteien betrifft, tu ich mich da ehrlich gesagt etwas schwer, Team K will doch auch die bösen Italiener ansprechen, die Grünen sowieso, die haben sogar einen italienischen Abgeordneten, soweit ist es zum Glück beim guten Paul noch nicht gekommen, ist aber leider alles nur eine Frage der Zeit. Was bleibt mir dann noch, ausser die oben zitierten? Ironie aus.
Und ich persönlich wähle aus Überzeugung Grün-Alternativ, und das schon lange, bevor es Friday for Future oder ähnliches gab.
Antwort auf Und das wären die deutschen von Manfred Gasser
Ach Gasser, wie einseitig Sie
Ach Gasser, wie einseitig Sie sowohl lesen als auch verstehen (wollen). Ich bin generell gegen Rechts, ob das deutsch, italienisch oder sonstwo ist. Aber gerade Sie in Südtirol haben einen hervorragenden charismatischen Politiker, da frag ich mich echt warum dem die Südtiroler nur begrenzt ihr Vertrauen schenken.
Dass seine Gruppierung auch die Tür für Italiener öffnet, finde ich sogar zukunftsweisend. Dass diese Tür nur für Italiener vom moderaten Lager offen steht, spricht für diesen Herrn. Denn mir wären moderate Italiener lieber als Lobbyisten von der Sammelpartei oder irrationale Nostalgiker von der Vergangenheitspartei.
Aus aktuellem Anlass jedoch noch ein wenig Nachhilfelektüre für Sie, Ihre Grün-Alternativ-Bewegung kann auf ein wenig rühmliches Kapitel verweisen, vielleicht ist Ihnen das in Ihrem Alternativ-Wahn entgangen (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/daniel-cohn-bendits-paedophi…).
Aber für mich ist und bleibt dies der Grund, dass die NIE meine Stimme bekommen! Das ist einfach abscheulich und damit wird sich unsere Diskussion auf das heutige Mal beschränken. Jetzt weiß ich wie Sie ticken.
Antwort auf Ach Gasser, wie einseitig Sie von Hans Hanser
Ach H. Hanser, wie schwach
Ach H. Hanser, wie schwach und unhaltbar ihre Argumente doch sind, dass die Grünen (in Südtirol) nie ihre Stimme erhalten würden! Man macht sie ja auch nicht für eine Straftat eines ihrer Verwandten haftbar oder setzt Sie deshalb denen gleich! Sie tun das aber, was völlig daneben ist und dazu noch niederträchtig und unglaubwürdig.
Dann wäre es doch mal an der
Dann wäre es doch mal an der Zeit, sich selbst aktiv einzubringen, anstatt immer nur von der Seitenlinie aus zu jammern. An der eigenen Kompetenz wirst Du wohl wenigstens nicht zweifeln? Oder doch?
noch lieber habe ich jene,
noch lieber habe ich jene, die nur predigen und gar nichts tun...."Dompfplouderer" nennt man solche bei uns in Eppan.
Antwort auf noch lieber habe ich jene, von Felix von Wohlgemuth
finde schon
finde schon
Antwort auf noch lieber habe ich jene, von Felix von Wohlgemuth
bei uns nennt man diese aber
bei uns nennt man diese aber Seelsorger.
doch doch. gelungen.
doch doch. gelungen.