Gesellschaft | Polemik

Keine Landeerlaubnis

Eine frei erfundene Geschichte. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind unbeabsichtigt.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Flugrettung
Foto: suedtirol Foto/Udo Bernhart

112. Notruf. „Valanga schsch monte nevoso schschsch  una vittima...“ Linie unterbrochen. Rückruf. „Il cliente da lei chiamato non è al momento raggiungibile“. “Sepp!” “Jo?” “A Verschütterter auf an schneereichen Berg...” “was!? Lass mich horchn!”. Aufgezeichneter Notruf wird erneut abgespielt. „‘Monte Nevoso‘, i glab, so hoaßt der Berg.“ „Jo, aber wellener Berg kannt des sein?“ „Boh, da muasch an Studiertn frogn.“ 

Das Handy klingelt bei Br.-Dr. (Brenner Doktor) Soncerto. „Franz, du bist gemischtsprachig. Welcher Berg ist der ‚Monte Nevoso‘?“ „Das ist das Ruthner Horn.“ „Danke, du hast ein Leben gerettet!“ Bergrettungsdienst wurde bereits alarmiert. Hundestaffel. Der Aiut Alpin Hubschrauber ist Gott sei Dank frei. Wie lange man denn bis zum Unfallort brauche? Ein Ruthner Horn ist dem Piloten nicht bekannt. Der mittlerweile eingetroffene Notarzt weiß: „Das ist die Schneebiger Nock“.

Die folgenden Szenen zeugen von unglaublicher Professionalität. Auf halber Höhe zum Gipfel wimmelt es nur so von Einsatzkräften. Lawinensonden überall. Ein Hund bellt. Der mit dem Barryvox empfängt ein Signal. Ein einzelnes. Deutlich. Eine Minute später ist das Loch gegraben, das Gesicht des Verschütteten freigelegt. Er atmet nicht. Ausgegraben. Wiederbelebt. Respekt! Die machen das nicht zum ersten Mal. Stabilisiert und ab in den Hubschrauber. 

Unter den zurückgebliebenen Bergrettern mischen sich Erleichterung, Stolz, aber auch Frust. Einen hört man sagen: „Diese Typen verwenden den Pieps wie einen Taxiruf. Und ich fühl mich grad als Touristentaxi.“ Es ist der, der den Verletzten zum Hubschrauber bringen geholfen hatte. Die Kollegen schauen betreten. Einer nickt. Keiner widerspricht. Ab ins Tal. Der Chef wartet.

Der Sanitäter im Hubschrauber, noch ganz unter Adrenalin, hat eine Sekunde, um den Geretteten zu betrachten. Ein Mann, Mitte 40, südländischer Typ. Ein ungepflegter Drei-Tages-Bart kaschiert das Milchbubigesicht. Oje, denkt er bei sich, dass solche Leute zu uns kommen müssen. Sich mit unseren Bergen und Gepflogenheiten gar nicht auskennen und leichtsinnig so eine gewaltige Bergeaktion provozieren. Bleibt doch dort, wo ihr herkommt, murmelt er leise, etwas verschämt, so dass es der Notarzt ja nicht hört. Er packt ihn noch wärmer ein und wundert sich, dass auf dem Pulli in großen Lettern ‚Polizia‘ steht. Seltsam die Mode, vor ein paar Jahren waren noch Militärmuster hipp.  

Kurz vor dem Brixner Krankenhaus bekommt der Pilot einen unerhörten Funkspruch: Keine Landeerlaubnis! Das hatte es noch nie gegeben. Das ist doch ein Rettungseinsatz! Bozen wird angefunkt. Bald ist man dort. Den Wiederbelebten auf die Bare gehoben und reingeschoben. Aber nein, die Tür geht nicht auf. Ein handgeschriebener Zettel klebt drauf: „Tenere le porte chiuse. Il ministero dell‘interno“. Das ist das Stichwort. Der Wiederbelebte ist plötzlich ganz bei Sinnen. Er lässt die Rettungsmannschaft gar nicht zu Wort kommen. Macht einen auf Alphatier. „Aprite la porta!“ schreit er. Es ist nicht der verzweifelte Schrei eines Hilfesuchenden. Es ist der Befehlston eines Capitano, der keinen Widerspruch kennt.

Hinter der Glastür erscheint ein Gesicht. Es bekommt die ganze Aggression ab. „Apra la porta!“. „Non posso. Ci hanno detto di tenere le porte chiuse.“ „I porti, non le porte, madonna”. Das Gesicht hinter der Tür denkt sich: „jatzt han i 12 Johr Walsch in dr Schuale ghobt, i bin mer ganz sicher, dass Porta weiblich isch“. Der da draußen brüllt in die bittere Kälte: „io sono sceso dal Vilminale...“  Der da drin im Warmen beim Versuch des Schönsprech: „Na, na, na, dich haben sie von der Schneebiger Nock heruntergeholt!“ „Parla l’italiano! Ma non sa chi sono? Quel ministero dell‘interno, eccoqui, lo sono io in persona! Avevo detto di chiudere i porti, non le porte.“  „Legge è legge” „Ma io sono in difficultà, ho bisogno di aiuto! Aprite!” 

Der da drin wendet sich etwas angewidert ab, geht ins Büro seiner Vorgesetzten. „Da draußen haben wir einen total durchgeknallten Marokkino, der behauptet, Porta wäre männlich und er sei der mistero dell’inverno“. „Besteht unmittelbare Lebensgefahr?" „nein" „Ist er mit dem Hubschraubertaxi gekommen?“ „ja!“ „Egal, Mensch bleibt Mensch. Wissen sie was? Wir pfeifen auf die Weisung aus dem Innenministerium. Reißen’s den Zettel runter und sperren’s die Tür auf. Er bleibt Mensch. Wir bleiben Menschen!“ „Und wenn die uns dann ganz übervölkern?" „Sie meinen, wenn wir hier im Bozner Krankenhaus nicht mehr Italienisch reden können? Jetzt gehen's schon!"