Gesellschaft | Porträt

„Das schönste Fach der Welt“

Moderator, Liedermacher und seit 36 Jahren begeisterter Religions-Lehrer: Alfred E. Mair aus Gais versteht es, seine Zuhörer zu fesseln.
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Foto: Alfred E. Mair
„Seit 36 Jahren bin ich begeisterter Lehrer und es ist mir wichtig, diese Begeisterung weiterzutragen“, erklärt der passionierte Pädagoge hörbar stolz. Zurzeit unterrichtet der 60-Jährige in Vollzeit am Berufsbildungszentrum Bruneck und betreut alle Altersstufen von 14 bis zur Matura. Der gebürtige Pusterer war immer schon auf „mehren Schienen“ unterwegs: Stimm- und Rhetorik-Trainer, Seminarleiter und Musiker – unterrichten war aber immer dabei, wie er selbst sagt. „Es gibt nichts schöneres als am Puls der Zeit zu bleiben und den Weg gemeinsam mit den Jugendlichen zu gehen.“ Man merkt, dass der Unterricht für ihn mehr als nur ein Job ist und er „gesteht“ auch unumwunden: „Ja, für mich ist es eine Berufung! Der Unterschied zwischen Beruf und Berufung ist, dass man bei Berufung das Gefühl hat, am richtigen Platz zu sein.“ Dieses Gefühl habe er von Beginn an gehabt – obwohl er nicht danach suchte. „Ich habe nie vorgehabt, Lehrer zu werden und Religionslehrer schon mal gar nicht“, erklärt er.
 
Ja, für mich ist es eine Berufung!
 
Vor 40 Jahren hat er erste Erfahrungen beim Jugenddienst in Sand in Taufers gesammelt, anschließend folgte ein Praktikum bei „La Strada – der Weg“, was aber auch nicht ganz sein Weg war. „Ich habe viel ausprobiert und nebenbei noch ein Studium an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen absolviert, weil mich die Sinn- und Gottesfrage umgetrieben hat“, erklärt Mair. 1986 bekam er eine Anfrage, ob er sich vorstellen könnte, in der Mittelschule eine Supplenz-Stelle als Religionslehrer zu übernehmen. „Ich habe mich mit den Themen beschäftigt und habe mir gesagt, warum nicht? Mit meiner Gitarre und einer Tasche voll Liederbücher bin ich dann in die Klassen der Mittelschule Naturns marschiert und habe mich als neuer Religionslehrer vorgestellt, der sie für die nächsten drei Wochen begleiten wird. Geblieben bin ich dann bis heute – und das sind immerhin 36 Jahre.“
 
 
 

„Mehr Persönlichkeiten“

 

Dankbar ist er vor allem Dekan Georg Peer, der inzwischen leider verstorben ist, für das Aufzeigen dieses neuen Glaubensweges. Peer hat ihm die Kirche von einer völlig anderen Seite gezeigt bzw. ihm gezeigt, dass sie mitten ins Leben hinein gehört. Unterrichten ist jeden Tag ein Abenteuer, ein Lebens- und Glaubenstraining, in dem man den Jugendlichen zeigt, wie man Höhen und Tiefen bewältigen kann – das ist die wirkliche Hauptberufung. „Ich unterrichte 14- bis 20-Jährige durch sämtliche Berufssparten hindurch – vom Zimmerer und Elektriker bis hin zum Verkäufer und der Friseurin. Das ist eine ganz eigene Szene“, beschreibt Mair seine Unterrichtstätigkeit. Angesprochen auf die Veranstaltung des Forum 2050 zum Thema „Die Schulen der Zukunft“, bei der der engagierte Lehrer vor Kurzem als Gastredner teilgenommen hat, fordert er „mehr Persönlichkeiten“.
 
Der Unterricht muss für die Schüler ein Erlebnis sein.
 
„Der Unterricht muss für die Schüler ein Erlebnis sein, da muss etwas passieren in diesem Raum drinnen“, so Mair, der hinzufügt, dass es im Klassenzimmer ohnehin oft genug trocken zugehe. Diese Begeisterung versucht er auch an die jüngeren Kollegen im Rahmen der Lehrerausbildung weiter zu geben. So lautet einer seiner Lieblingssätze: „Du musst bereit sein, für die jungen Leute alles zu geben! Sie spüren nämlich, wenn du wirklich berufen und beseelt bist – dann springt der Funke über.“ Manchmal sind die Nachwuchslehrer damit überfordert, auch über das veraltete Schulsystem wird viel diskutiert. Mit vollkommenen Umbrüchen tut er sich allerdings schwer, erklärt Mair und zitiert dabei einen Ausspruch des bekannten TV-Moderators Peter Hahne: Der Schnee von gestern, kann das Wasser von morgen sein. „Ich interpretiere das so, dass wir das Gute behalten und das Restliche besser machen müssen“, erklärt der Religionslehrer und betont, dass er nicht der Freund von Aussagen sei, die alles schlecht redeten und und eine völlig neue Denke fordern. Dabei sei in diesem Zusammenhang interessant, dass die Vorschläge oft genau von jenen kommen würden, die noch nie unterrichtet hätten.
 
 
 

Die Kirche denkt in Jahrhunderten

 

„Wer ein wenig Einblick in das Bildungssystem hat, erwartet nicht, dass neue Ideen sofort umgesetzt werden. Das muss reifen. Ich bin als Religionslehrer von der Kirche – einem ‚Verein‘, der in Jahrhunderten denkt – entsandt und deshalb bin ich diese Langsamkeit gewöhnt“, meint der passionierte Lehrer, der sich selbst zu den wirklichen Kritikern innerhalb der Kirche zählt, „aber ich darf das auch sein, weil ich drinnen bin“. Man muss sich bewusst sein, dass – sei es Kirche, sei es Bildungssystem – diese Mühlen langsam mahlen. Hier braucht es Geduld und den Willen, in die Kompetenzen der Lehrpersonen zu investieren. Doch Mair ist auch der Ansicht, dass man innerhalb dieses Systems sehr viel erreichen und tun kann. In den Berufsschulen gebe es bereits viel von dem, was heute eingefordert wird, wie beispielsweise einen praxisbezogenen Unterricht mit viel Lebensbezug.
 
Von Außen kritisieren ist leicht.
 
„Von Außen kritisieren ist leicht – aber die Struktur von Innen her zu verändern, das muss mehr gefördert werden und dafür brauchen wir Persönlichkeiten, die das leben und vorzeigen.“ Mair tritt deshalb dafür ein, in erster Linie in die Ausbildung der Lehrkräfte zu investieren, denn hier sei „noch eine große Baustelle“. Die Lehrer müssen den Unterricht so gestalten, dass die jungen Leute gerne zuhören. „Wenn sie dir nicht zuhören, dann hast du keine Chance!“ Natürlich verfügt der eine über mehr Redetalent als der andere, aber dieses kann man trainieren. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Junglehrer, die nicht für die Aufgabe als Lehrer geschaffen sind. Das könne man bereits an der Antwort auf die Frage erkennen: „Magst du junge Leute, hast du sie gerne, oder gehen sie dir auf die Socken?“ Auch den Schülern begegnet er mit großer Ehrlichkeit und spricht sie unumwunden darauf an, wenn sie sich „daneben“ benehmen. Es sind die „greaschtn Riffl!“, die man aber einfach gern haben muss, so Mair scherzhaft. Die Jugendlichen befinden sich mitten in einem Entwicklungsprozess, da sind einfach noch „lavori in Corso!“
 

Ehrlichkeit

 

Begeisterung hervorrufen zu können, hat viel mit Authentizität zu tun. Im Rahmen der Stimmbildungs- und Rethorik Kurse bringt er den Nachwuchslehrern sicheres Auftreten, gutes Vortragen und eine klare Rede bei, aber das Geheimnis liegt in der Authentizität, Echtheit und Ehrlichkeit. So unterrichten am Berufsbildungszentrum Bruneck Lehrer, die von ihrer Werkstatt in das Klassenzimmer marschieren, die ihre gesamte Erfahrung, ihr Wissen und ihre Begeisterung an die Jugendlichen weitergeben. Apropos Begeisterung – wie Mair erzählt, benutzt er Rituale – „das ist genau das, was die jungen Leute heute brauchen.“ Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Jugendlichen wissen müssen, dass eine besondere Stunde beginnt, wenn er die Klasse betritt. Meistens beginnt er den Unterricht mit einem Gebet, einem Lied, mit Meditation oder Stille. An diese Regelmäßigkeiten gewöhnen sich die Schüler auch recht schnell, allerdings halten sie die Stille, wenn Mair beispielsweise eine Gedenkminute für die Menschen in der Ukraine oder in Syrien abhält, am Beginn einer Stunde kaum aus. Anschließend sind sie aber froh über diese tolle Erfahrung.
 
Herr Lehrer, wo ist meine Oma jetzt?
 
„Wir Religionslehrer haben das schönste Fach der Welt“, ist Mair überzeugt. Sie können über das Leben reden, über das, was einen erfreut und erfüllt. In diesem Fach gibt es keinen strengen Ablauf, einen Rahmenplan oder das Abarbeiten von Themen. Kein anderer Lehrer hat soviel Freiraum, sehr wohl spielen aber auch der klassische Inhalt des Religionsunterrichts und die Bibel eine zentrale Rolle. Eine gute Methode dabei ist zu warten, bis die Fragen kommen. „Wir machen oft den Fehler, dass wir viel zu viele Antworten im Vorhinein geben.“ Geht man den anderen Weg, also das Eingehen auf die Bedürfnisse und Fragen, dann sind die jungen Leute auch viel eher bereit zuzuhören.  Wenn beispielsweise ein Angehöriger eines Schülers stirbt und Mair sieht, dass nicht nur der Betreffende, sondern auch dessen Kollegen traurig sind, dann spricht er sie an und dann kann durchaus die Frage kommen: „Herr Lehrer, wo ist meine Oma jetzt?“ Wenn eine Frage kommt, ist es selbstverständlich, diese in der Klasse als Thema aufzugreifen, etwa nach dem Motto: Welche Hoffnung gibt es über den Tod hinaus. In diesen Momenten hören sie zu, denn es betrifft ein Thema, das sie alle beschäftigt. Die Kunst ist zu warten, bis es sozusagen auf der Tagesordnung steht. Anhand von dem, was in den Köpfen der jungen Leuten vor sich geht, gestaltet Mair seinen Unterricht, damit „habe ich eine ganz andere Basis“.
 
 

Auf der Suche nach Werten

 

Nicht fehlen darf in der Religionsstunde natürlich die Musik. „Eine Stunde ohne Musik und ohne Gitarre wäre für mich unmöglich“, sagt Mair und erzählt, dass er in neun von zehn Stunden Gitarre spielt. Gerade im Glauben nimmt die Musik eine wichtige Stelle ein. Großen Wert legt er auch auf die Bibel und darauf, den Schülern die Basis der christlichen Werte mitzugeben. Anders als viele Vorurteile insbesondere vonseiten der älteren Generation es vielleicht vermuten lassen, haben die heutigen Jugendlichen einen starken Drang nach Werten, beinahe eine Sehnsucht danach. „Ich staune manchmal, wie engagiert sich die jungen Leute bei den Vereinen einbringen, seien es nun Musikkapelle, Jungschützen, Volkstanzgruppen oder Feuerwehr.“
 
Ich staune manchmal, wie engagiert sich die jungen Leute bei den Vereinen einbringen.
 
Während seine Generation eher auf Demos und Protestveranstaltungen anzutreffen war und gegen das Althergebrachte revoltierte, sucht die junge Generation wieder verstärkt nach Werten, Heimatverbundenheit, Glauben und Halt im Leben. Mair kann ihnen solche Werte vermitteln, auch indem er von seinen eigenen Lebenserfahrungen berichtet. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie nach dem Tod unseres Sohnes mich eine Schülerin gefragt hat, wie ich noch an Gott glauben kann oder ob ich nie zweifle“, so Mair und erzählt, dass er der Schülerin zur Antwort gab, dass der Zweifel zum Glauben dazugehöre. Es sei normal, dass man in Zeiten von Krisen Fragen stellt. „Aber ich kann dir nur sagen, dass Gott mir die Kraft gibt, das alles zu ertragen.“ Der Glaube habe ihm bereits öfters aus den Krisen geholfen, obwohl es auch schon Zeiten gegeben habt, wo er sich dachte: „Jetzt kannt’s schun bold amol auhearn!“ Das ist ja auch menschlich – Zweifel darf man zulassen, man muss dann aber wieder ins Vertrauen gehen.