Kultur | Salto Afternoon

Lan(a)dschaft verdichten

Ein Festival und ein Dichter aus Lana bespielen unabhängig voneinander einen zu Unrecht vergessenen Landstrich. Der Versuch einer Verbindung.
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Foto: Flyle

Val di Non

Südtirols bekanntester zeitgenössischer Lyriker ist zweifelsohne der aus Lana stammende Oswald Egger. Am 4. Juni wird er sein neues Buch Val di Non (Suhrkamp) in Neuss/Düsseldorf vorstellen, am 13. Juni in Berlin.
„Hoffentlich stellt Oswald Egger sein neues Buch auch einmal im neuen Museum im Bunker am Gampenpass vor“, sagt Marialuise Weiss aus St. Felix, die sich seit Jahren um eine kulturelle Aufwertung der Nonsberger Gegend kümmert. Die Eltern Eggers führten am Pass einst das Gampengasthaus. Der Dichter kennt deshalb viele Geschichten und beinahe jedes Detail entlang der Straße. Die Gegend hat ihn geprägt: „Ich beanspruche zwar, derjenige Autor zu sein, welcher Gampenstrasse und Gampenpass am besten kennt, aber gerade deswegen vielleicht habe ich etwas ziemlich anderes daraus entwickelt. Ich wollte der Sache auf den Grund sehen und vom Grat absehen.“ 

Während die einen noch auf eine Zusage des Lyrikers für eine Lesung im Bunker hoffen, stricken gegenwärtig weitere Künstler, von Lana ausgehend, verschiedene Zugänge zum "Gampen" und darüber hinaus.

Festivalbesuch bei den Nachbarn

Das Festival LanaLive, kuratiert von Hannes Egger, versucht seit Jahren mit Musik, Kunst, Literatur, Performance, Filmen, Wanderungen und Festen die Marktgemeinde mit einem breiten kulturellen Angebot zu versorgen.
Gestern (25. Mai) wurde etwa der Film Itaker projiziert, in welchem der Regisseur Toni Trupia zum Teil auch im Val di Non gedreht hat, geht es im Film doch um die Migration vieler Italiener in den 1960er Jahren nach Deutschland.
Vorher, um 1900, wanderten bereits viele aus dieser Gegend nach Amerika aus.
In Amerika ist die Gegend am Nonsberg aber vor allem wegen des Buches The Hidden Frontier: Ecology and Ethnicity in an Alpine Valley bekannt, geschrieben von den beiden Anthropologen John W. Cole und Eric R. Wolf.
Ihre Feldstudie genießt an vielen Universitäten und Akademien Kultstatus und bringt heute noch Wissenschaftler in diesen vergessenen Flecken Erde. Die Studie untersucht die beiden die Dörfer Tret und St. Felix, stellt sie gegenüber und findet auf knapp 800 Seiten viel Verbindendes und Trennendes. Heute Abend (26.5.) wird der Künstler Benjamin Tomasi, der als Artist in Residence bei LanaLive geladen ist, um 20 Uhr sein dazu passendes Kunstprojekt vorstellen.
Tomasi hat sich ebenfalls auf Spurensuche in St. Felix und Tret begeben. In Verbindung mit der alten Minderheitensprache im Val di Non, dem Nones, einer sehr frühen ladinischen Sprache, und dem Spiel Stille Post hat Tomasi die Bevölkerung animiert bestimmte Begriffe über die „unsichtbare, verborgene Grenze“ zu bringen - ein organsierter Sprachschmuggel sozusagen.

Geschichten auflesen

Entlang der Straße lud das Festival am Dienstag zu einem Liederabend mit der Sängerin Cygne. Im schmucken Stadel des Baumannhofes in Gfrill gab sie Balladen zum Besten und präsentierte ihr neues Album Let It Breathe, in welchem sie ihre Erlebnisse in Europa während der Flüchtlingswelle 2015 und 2016 verarbeitet. Cygne, die sich stimmlich im Bereich einer Regina Spektor bewegt, erntete großen Applaus für ihre Songs, die voller Poesie und Lebenserfahrung stecken.

Morgen (27.5.) treffen sich Kulturinteressierte und Wanderfreunde um 8.25 Uhr mit Markus Breitenberger am Busbahnhof in Lana. Angeboten wird ein Grenzgang, vom Gampenpass bis nach Fondo. Um 9 Uhr gibt es eine Führung und Besichtigung der Gampengallery im Bunker am Pass mit Maria Luise Weiss und Patrik Ausserer. Anschließend folgt ein gemütliches Hinunterwandern über alte Wege nach Unser liebe Frau im Walde, wo um 11 Uhr die Gruppe KasMilchButter aufspielen wird.
Am Nachmittag geht es weiter nach St. Felix, vorbei an Tret bis nach Fondo. Am Dorfplatz Fondos findet um 16.30 Uhr ein Konzert des aus der Val di Non stammenden Liedermachers Felix Lalù statt.

Die Landschaft, ein Gedicht

Ob Oswald Egger im Laufe des Sommers, als möglicher Oswald vom Gampenpass an den Ort seiner Kindheit zurückkehren wird (?), steht noch nicht fest. In jungen Jahren hat er "unten" in Lana den Verein der Bücherwürmer mitbegründet. Sein neues Buch ist eine Antwort auf seine Ursprünge, er siedelt es hoch an, oben am Pass.

Val di Non

Einstämmigere Erlen, die im Stehen
verdorrt sind, dort. Viehschellen
glocken und schmilzen, und
sie quinen. Paudel, mit Mengkorn
bollernde Knucke-Bolzen. Ein
schwarzes Bärlein peterte ins Tal.
Wie ein Hengst, der ein Elsternherz
verzehrt hat, mich verängstigt! Ich
schlafe in Minze und träume
Korallen. – Das Kuhhorn
glänzt durchs Stubenfenster.

"IN FONDO" sono tutti uguali?
Vom literarischen Standpunkt aus gesehen ist Oswald Egger an der Gampenpassstraße in bester Gesellschaft. Hier wurde 1979, beim Gasthof Tschengg, das Buch Das Versprechen/ La promessa von Friedrich Dürrenmatt verfilmt, ein Requiem auf den Kriminalroman.
Dürrenmatt zeichnet einen scheiternden Kommissar, "der in Schuld verstrickt ist, dessen Ermittlungen vom Zufall durchkreuzt werden, die seine auf Vernunft basierenden Pläne durchlöchern".
Im Film und im Buch Dürrenmatts gibt es feine Seitenhiebe auf den Boom an Kriminalromanen, die ja alle gleich aufgebaut sind, „...in fondo sono tutti uguali.“