Gesellschaft | Frauenmorde

"Durch die Trennung verlieren sie alles"

Der Psychiater und Psychotherapeut Roger Pycha im Interview über die Ursachen hinter Frauenmorden, was die Gesellschaft tun kann, und was Männer von Frauen lernen können.
Roger Pycha
Foto: Foto: Salto.bz
salto.bz: Vor wenigen Tagen wurde Alexandra Riffesser von ihrem Ehemann ermordet - bereits der vierte Frauenmord in diesem Jahr. Ist das Zufall oder gibt es immer mehr solche Vorfälle?
 
Roger Pycha: Mit Sicherheit waren die Gattenmorde vor der Möglichkeit der ehelichen Scheidung häufiger. Damals war das die einzige Möglichkeit, den Partner oder die Partnerin loszuwerden.
Inzwischen gibt es aber sehr viele Trennungen und Scheidungen. Und die verursachen Männern oft mehr psychischen und sozialen Stress als Frauen.
 
Warum?
 
Frauen halten schwierige soziale Situationen besser aus als Männer. Sie holen sich Beratung und sprechen mit FreundInnen über ihre Schwierigkeiten. Männer versuchen in Stresssituationen, ihr Problem allein zu lösen, und erhoffen sich, dadurch bewundert, beachtet und gesehen zu werden. In extremen Spannungszuständen lassen sich Männer oft nicht beraten, sondern sind blind handlungswillig.

Partner müssen begreifen, dass Trennungen immer eine hohe Stressbelastung bedeuten und sollten das Ende möglichst behutsam herbeirufen.

Spannungszustände, die zum Beispiel durch Eifersucht entstehen?
 
Genau. Wenn sich Frauen trennen wollen, vermuten Männer oft einen anderen Mann hinter der Sache. Die Eifersucht macht sie blind handlungsbereit. Und weil der „andere Mann“ nicht so einfach zu fassen ist - vielleicht gar nicht existiert, richtet sich die Wut auf ein „Übergangsobjekt“, das einzige, das zur Verfügung steht, in dem Fall die Frau.
 
Wie können solche Situationen entschärft und zukünftige Taten vielleicht vermieden werden?
 
Diese Männer müssen lernen, mit Aggressionen anders umzugehen. Und Partner müssen begreifen, dass Trennungen immer eine hohe Stressbelastung bedeuten und sollten das Ende möglichst behutsam herbeiführen. Das geht dann in der Wirklichkeit oft nicht.
Aber wir wissen, wenn jemand ein paar Monate Anpassungszeit hat, in denen eine Ahnung entsteht, dass die Beziehung schwierig wird, vielleicht nicht mehr zu halten ist, dann ist der Stress geringer.
Gerade für Männer ist die Bedrohung durch eine Trennung sehr groß. Sie verlieren auf einen Schlag alles: Nicht nur die Frau, sondern oft auch ihr soziales Netz - in vielen Fällen haben Männer vor allem über ihre Frau Freundschaften - und bei der jetzigen Rechtsprechung häufig auch den Kontakt zu den Kindern. Diese drei Verlusterlebnisse sind massiv: Sie stellen eine schwerere Verwundung dar als besipielsweise der Verlust der Partnerin durch den Tod.

Durch Trennungen verlieren Männer auf einen Schlag alles: Nicht nur die Frau, sondern oft auch ihr soziales Netz und die Kinder.

Haben die Frauenmorde etwas mit der sich verändernden Gesellschaft zu tun? Die Frauen werden immer freier, und die Männer kommen damit nicht zurecht?
 
Ja, der moderne Mann kommt damit nicht zurecht, dass Frauen sagen können: Nein, ich mag nicht mehr. Auf solche Schicksalsschläge sind Männer oft schlecht vorbereitet. Am besten wäre es, wenn beide Partner in solchen Fällen Hilfe in Anspruch nehmen würden. Von Freunden, bei denen man immer wieder über dasselbe Problem sprechen kann, bei denen man auch jammern kann. Männer sind dafür oft zu stolz. Sie wissen nicht mehr ein und aus, sammeln ihre ganze Wut und richten sie auf die Partnerin, nach dem Motto: Wenn du mir alles nimmst, dann nehme ich dir auch alles.
 
Kann man als Privatperson im Einzelfall etwas gegen solche Taten tun - wann ist es sinnvoll, bei Streitigkeiten, die man auf der Straße oder bei Nachbarn mitbekommt, etwas zu unternehmen?
 
Das ist schwierig - das Sprichwort: "Tra moglie e marito non metterci il dito" stimmt ganz bestimmt. Die eheliche Gemeinschaft ist das Intimste überhaupt, da soll man nicht von außen hereinrühren. Innerhalb der Partnerschaft kann ein guter Umgang helfen: Wenn man sich in guten Zeiten mit Respekt und Höflichkeit begegnet, ist das eine bessere Voraussetzung, wenn die Zeiten schlechter werden.

Wir haben Frauenhäuser, wir bräuchten auch Männerhäuser.

Was können die Gesellschaft als Ganzes und die Politik gegen Frauenmorde tun?
 
Wir haben Frauenhäuser, wir bräuchten auch Männerhäuser. Auch Beratung in Internetforen ist sehr wichtig. Leider gehen Männer nicht gerne in Beratung. Deshalb ist es wichtig, ganz niederschwellige Angebote zu machen.
Man darf nicht von Therapie sprechen, weil Männer niemals krank, niemals schwach sein wollen. Wenn es um „Gespräch“ und „Problemcoaching“ geht, lassen sich Männer eventuell einfangen.
Und die Berater müssen lernen, dass Männer zuerst nur die Spitze des Eisbergs zeigen und erst nach einigen Kontakten wirklich sagen, wie schlecht es ihnen geht. Dann erst sprechen sie beispielsweise von Tötungsphantasien. Dass es diese in solchen Situationen gibt, ist ganz klar, nur tabuisieren und beherrschen wir sie normalerweise.
 
Was ist der Grund dafür, dass Männer und Frauen so unterschiedlich reagieren? Ist das angeboren oder verändert sich das mit der Gesellschaft?
 
Ein Teil wird schon angeboren und hormonell sein. Aber wir sind in der modernen Gesellschaft dazu angehalten, das zu tun, was klug ist, nützlich, hilfreich und friedfertig. Die Sprache der Gewalt war früher auch in der Erziehung Alltag - inzwischen ist Erziehung friedlicher, versöhnlicher und einfühlsamer geworden.
Diesen Weg sollte die Menschheit weitergehen. Das heißt, dass Männer tendenziell von Frauen lernen sollten: Natürlich nicht, mit intriganten Mitteln und auf schleichenden Umwegen Konflikte auszutragen , sondern, dass das Gespräch, die vorsichtige Planung und auch die Angst vor einer konkreten Situation etwas Hilfreiches ist.
Wer sich selbst und die eigene Gefährlichkeit ernst nimmt, kann vermeiden, sich überhaupt in bestimmte Situationen zu begeben. Denn gefährlich sind in manchen Situationen alle - ganz besonders wir Männer.