Gesellschaft | Chancengleichheit

„Rückschläge als Herausforung“

Elisabeth Tauber erklärt, wie mit der Event-Reihe „Ain’t I a Woman?“ inklusive Zukunftsgestaltung erdacht wird, ohne der aktuellen Alarmstimmung zu verfallen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Flyer von Ain't I a Woman? UNIBZ
Foto: © Freie Universität Bozen
  • „Bin ich etwa keine Frau?“ Ein Weckruf, mit dem die afroamerikanische Frauenrechts-Aktivistin Sojourner Truth in den 1850er Jahren gegen die Ungerechtigkeiten gegenüber afroamerikanischen Sklavinnen aufbegehrte. Damals ermutigte sie zum Kampf gegen Ausschluss, Gewalt und Diskriminierung, heute erinnert sie uns, dass dieser Kampf noch nicht vorbei ist! „Darauf müssen wir uns zurückbesinnen“, meint Prof. Elisabeth Tauber, Präsidentin des Beirats für Chancengleichheit an der unibz, die in Zusammenarbeit mit Dr. María Menéndez Blanco, die bevorstehende Veranstaltungsreihe „Ain’t I a Woman?“ entwickelt und organsiert hat. Ziel der Veranstaltungsreihe sei die Sensibilisierung für die Realitäten unterschiedlicher Geschlechter, ethnischer Hintergründe, sozialer Klassen, von Migration sowie das Erdenken von Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung. Im Gespräch erörtert Tauber ihre persönliche Leidenschaft zur Thematik, die wahre Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen und wie „Ain’t I a Woman?“ zu dieser Reflexion beiträgt.

  • Professorin Elisabeth Tauber wirkt als Präsidentin des Beirats für Chancengleichen und schildert "Ain't I a Woman?" mit. Foto: © Freie Universität Bozen
  • Sie haben einen aussagekräftigen Titel für die bevorstehende Veranstaltungsreihe gefunden.

    Die Reihe sowie deren Titel sind inspiriert von „Ain’t I a Woman?“, der berühmten Rede von Sojourner Truth. Truth war eine der Ersten, die sich sowohl aktiv gegen die Sklaverei einsetzten als auch betonten, dass sich der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit mit dem Kampf gegen die Sklaverei überschneidet. Ich denke, darauf müssen wir uns heute wieder rückbesinnen! Wir erleben gerade, dass die hart erkämpften Fortschritte im Hinblick auf Chancengleichheit in Frage gestellt werden. Aus anthropologischer Sicht ist das ein beträchtlicher Rückschlag für westliche Gesellschaften, die trotz ihrer dualistischen Denkmuster ein historisch-beachtliches Niveau an Chancengleichheit und Diversität erreicht haben. Ich denke, als Gesellschaft müssen wir uns diese Appelle aus der Vergangenheit dringend wieder für die aktuellen Umschwünge unserer Zeit ins Bewusstsein rufen, um gewisse Dinge nicht für selbstverständlich zu erachten „Ain’t I a Woman?“, blickt auf Problemfelder, die mit oder ohne die Rückschläge im aktuellen Diskurs bestehen. So etwa junge Menschen mit Migrationshintergrund der ersten und zweiten Generation, die jetzt an unsere Universität kommen; oder der Technologiesektor, ohne soziales und kulturelles Korrektiv geschlechtliche und ethnische Ungleichheiten reproduziert.

     

    Die Reihe erstreckt sich über drei bedeutende Tage: den internationalen Tag der Frau, den internationalen Tag der sozialen Arbeit und den internationalen Tag gegen Rassismus

     

    Und welche sind die konkreten Problemfelder, die „Ain’t I a Woman?“ anspricht?

    Nach der Eröffnung und Einführung von Universitätspräsidentin Prof. Ulrike Tappeiner starten wir am 7. März gleich in den Vortrag von Dr. Jelena Bakić. Frau Bakić gewann das prestigereiche Marie Curie-Fellowship und forschte mit Finanzierung der Provinz Bozen zwei Jahre lang an der unibz zu Frauen und deren Marginalisierung in der Renaissance. Ihre Erkenntnisse darüber sowie die Reflexion, welche Rolle die ersten Ausschlussdiskurse des „modernen Denkens“ für aktuelle Mainstream-Debatten spielen, sind die Themen ihres impulsgebenden Vortrages: „Hor non vedete l’eccellenza del nostro sesso?”. Am selben Tag wird die Ausstellung ‘I’d rather be a father’ von Dr. Katharina Hanglberger eröffnet. Sie thematisiert die Mutter-Kind-Beziehung in den ersten Lebensjahren und die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Dabei spürt sie künstlerisch sowohl die persönliche und sehr intime Dimension dieser Beziehung als auch deren kollektive gesellschaftliche Relevanz auf. Diese Ausstellung begleitet die Reihe bis zum Ende am 21. März. Am 11. März haben wir zwei Preisträgerinnen (2024) des Landesbeirats für Chancengleichheit zu unserem Runden Tisch eingeladen. Dr. Matilde Galli diskutiert ihre Forschung zu Frauen in Nachkriegsgesellschaften sowie das ignorierte Potenzial ihrer ungehörten Stimmen. Dr. Ingrid Kapeller thematisiert ihren Vergleich von Diskursen italienischer und österreichischer Qualitätsmedien zum Thema Femizide sowie deren Beiträge zur Stereotypisierung in der Gewaltzuschreibung.

  • „Die aktuelle Situation kennen wir alle und 'Ain’t I a Woman?' soll keine schnelle Analyse derselben sein“, so Elisabeth Tauber. Foto: © Dan Meyers/unsplash
  • Was ist der gemeinsame Nenner dieser Reihe? 

    Die kritische Reflexion zieht sich als roter Faden durch die gesamte Reihe! In diesem Sinne geht es auch am 12. März mit der Buchvorstellung von Dr. Marina Della Rocca weiter: „Beratung von Migrantinnen in Gewaltsituationen. Ethnographie der Frauenhausarbeit in Südtirol“. Im Gespräch mit Dr. Renate Seeber wird sie Einblicke in ihre Forschung geben. Sehr spannend wird auch die Podiumsdiskussion Talkin’ Bout MI-Generation am 13. März, bei der mit Studierenden mit Migrationshintergrund über deren Erfahrungen und Herausforderungen diskutiert wird. Eine wichtige Verknüpfung der Themenbereiche Intersektionalität, Chancengleichheit und aktuelle Entwicklungen in der Informatik wird die Veranstaltung am 17. März: „Femtech: Diversity, Equity, and Inclusion in Computer Science“, bei der Prof. Pernille Bjørn von der Universität Kopenhagen im Gespräch mit Dr. María Menéndez Blanco die Informatikbranche einer kritischen Analyse unterziehen. Den Abschluss der Veranstaltungsreihe bildet am 18. März das World Café: Intersectional Social Work in Crisis, abgehalten von Prof. Urban Nothdurfter, Experte für Sozialpolitik und Sozialarbeit. Hier wird ein kritisches Licht auf strukturelle Prozesse geworfen, die die Inklusion von Menschen mit weniger Chancen einzuschränken drohen.

     

    Wir können schlicht keine Gesellschaft aufrechterhalten, wenn wir nicht die Schwächsten bzw. die Benachteiligten mit reinholen können.

     

    Der März scheint ein symbolischer Monat für die Veranstaltungsreihe zu sein.

    Die Reihe erstreckt sich über drei bedeutende Tage: den internationalen Tag der Frau, den internationalen Tag der sozialen Arbeit und den internationalen Tag gegen Rassismus; es ist vor allem die soziale Arbeit, welche in westlichen Gesellschaften per Definitionem menschenrechtsbasiert agiert, die aktuell als Sektor mit großer Sorge darauf hinweist, dass die Ressourcen und Räume für die Inklusion und Chancengleichheit, immer kleiner werden. Ein dringendes gesamtgesellschaftliches Thema und eine Botschaft, die wir entsenden wollen! 

  • Als Forscherin der sozialkulturellen Anthropologie lernte Tauber "die eigene kulturelle Position zu verlernen und andere kulturelle Wahrnehmungen zu erlernen". Foto: © Freie Universität Bozen
  • Welche Forschungsperspektive bringen Sie in diese Thematik ein?

    Ich erfuhr in meiner Forschung als Forscherin und Mensch, was die Überschneidung bzw. Intersektionalität verschiedener Ungerechtigkeiten bedeutet. Die ethnographische Methode, die ich dabei anwandte, leitet an, die eigene kulturelle Position zu verlernen und andere kulturelle Wahrnehmungen zu erlernen. Das passiert in Form einer leiblichen/körperlichen Erfahrung und basiert auf der Kontextualisierung von Kultur in Raum und Zeit. Gerade in der komplexen Welt, in der wir leben, scheint mir das ein wichtiger Ansatz zu sein, den man auch in den Austausch mit anderen Forschungsdisziplinen einbringen kann.

     

    Gesetze können erst innerhalb spezifischer kultureller Kontexte überhaupt erst gedacht werden.

     

    Und in der Veranstaltungsreihe „Ain’t I a Woman?“ spiegelt sich diese Methodik wider?

    Mein wissenschaftlicher Hintergrund hilft mir natürlich dabei, eine Veranstaltungsreihe, wie „Ain’t I a Woman?“aufzustellen. JuristInnen etwa würden anders an das Thema herangehen, mit ihrem präzisen bzw. prägnanten Blick auf die Gesetzgebung sowie auf die Möglichkeiten, die die Gesetzgebung eröffnet! Mein Blick umfasst kulturelle Kontexte: Gesetze können erst innerhalb spezifischer kultureller Kontexte überhaupt erst gedacht werden. Aber für das Verstehen komplexer Phänomene braucht es, wie angedeutet, einen multidisziplinären Perspektivenaustausch! Das ist in der Forschung ungemein wichtig und genauso wird das in der kommenden Veranstaltungsreihe praktiziert!

  • Für eine gerechte Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung lohne es sich, auf die lebendigen und kritischen Debatten in der Wissenschaft zu schauen, so Elisabeth Tauber. Foto: © Mika Baumeister/unsplash
  • Aktuell kultivieren erstarkende rechte Parteien die Gender- und Diversitätsthemen als Feindbilder. Wie sehen Sie diese Entwicklung und ist es umso wichtiger, Impulse zur öffentlichen Diskussion dieser Themen zu geben?

    Wie zuvor erwähnt, weist die derzeitige politische Situation auf einen rückschrittlichen Wandel hin. Wenngleich es uns als Beirat für Chancengleichheit – neben der Sensibilisierung innerhalb unserer Universität – sehr wohl darum geht, Impulse zur Diskussion zu geben, grenzen wir uns doch bewusst von der Alarmstimmung im öffentlichen Diskurs ab. Darin erklärt sich auch der Untertitel der Veranstaltungsreihe: Intersectional Futures and the Power of Hope. Für eine gerechte Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung lohnt es sich, auf die lebendigen und kritischen Debatten in der Wissenschaft zu schauen, als Inspiration sozusagen. Die historische und die aktuelle Situation zeigen uns, dass Menschenrechte nicht selbstverständlich sind. „Ain’t I a Woman?“ soll keine schnelle Analyse der Gegenwart sein, sondern uns zusammenbringen, um darüber nachzudenken, wie wir das Erreichte sichern und das, was noch zu tun ist, in die Tat umsetzen können. Ich halte es für wichtig, dass wir wie mit einem Brennglas auf Diskriminierung und Ungleichheit blicken, um uns für langfristige Lösungen bereit zu machen.

    Wie wollen Sie diesen Ansatz in der Veranstaltungsreihe umsetzen?

    Wir haben eine Mischung verschiedener Formate vorgesehen, unterstützt durch die DozentInnen, die die einzelnen Veranstaltungen leiten. Das World Café, die Diskussionen, die Ausstellung und die Podiumsdiskussion bieten dem Publikum verschiedene Möglichkeiten der Interaktion. Diese wechseln sich ab mit klassischen Vorträgen. Es sollen sich immer alle dazu eingeladen fühlen, mitzudenken, mitzumachen und mitzudiskutieren, ob in- oder außerhalb der Universität. Es ist mir auch ein Anliegen, dass mit „Ain’t I a Woman?“ eine Brücke des Austausches zum Territorium geschlagen wird.

  • Auch wenn wir jetzt in einer Krise stecken, können wir die Rückschläge als Herausforderung sehen

     

    Könnten Sie nochmals die zentrale Frage zusammenfassen, die sich „Ain’t I a Woman?“ stellt?

    Geschlechtergerechtigkeit, Diversität, Chancengleichheit; das sind wichtige Konzepte für eine demokratische und gerechte Universität und eben auch Gesellschaft. Die zentralen Fragen, die wir uns alle stellen müssen, lauten: In welcher Gesellschaft wollen wir leben und wie wollen wir diese gestalten? Wenn wir nun wieder auf weltpolitische Ereignisse blicken, sehen wir ungeachtet aller Polarisierung und Feindseligkeit doch den Willen zu Vernetzung, Austausch, Allianzen und Diplomatie. Auch wenn wir jetzt in einer Krise stecken, können wir die Rückschläge als Herausforderung sehen, um es wieder besser zu machen! 

    Welchen Beitrag kann „Ain’t I a Woman?“ dazu leisten? 

    „Ain’t I a Woman?“, nimmt seinen Platz im Chor der vielen ein, die im Angesicht von Krisen und Orientierungslosigkeit die Ruhe bewahren, Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung erdenken und diskutieren und an der Gestaltung einer gerechteren Gesellschaft mitarbeiten wollen.

  • Die Veranstaltungen werden im Rahmen des GEP vom Beirat für Chancengleichheit der Freien Universität Bozen organisiert und in deutscher, italienischer und englischer Sprache abgehalten. Locations der Events sind das Hauptgebäude der Universität Bozen, (Universitätsplatz 1, 39100 Bozen) sowie am Universitätscampus Brixen (Regensburger Allee, 16, 39042 Brixen) statt. Die Veranstaltungen finden an sechs Tagen, im Zeitraum vom 07. bis zum 21. März statt:

    7. März:

    • 15:00 Uhr: Eröffnung von Präsidentin der Freien Universität Bozen Prof. Ulrike Tappeiner; Einführung von Präsidentin des Beirats für Chancengleichheit Prof. Elisabeth Tauber 
      • Ort: Eingang der unibz-Bibliothek
    • 15:30 – 17:00 Uhr: „Hor non vedete l’eccellenza del nostro sesso? Le voci femminili in difesa della parità di diritti nel Rinascimento italiano“ von Dr. Jelena Bakić
      • Ort: Campus Freie Universität Bozen, Raum D003

    7. – 21. März:

    • „I’d rather be a father“, Ausstellung von Dott.ssa Katharina Hanglberger
      • Ort: Eingang der unibz-Bibliothek, Campus Bozen/Bolzano

    11. März:

    • 10:00 – 12:00 Uhr: Runder Tisch mit den Preisträgerinnen 2024 des Landesbeirats für Chancengleichheit: 

    „Vom Krieg zur Nachkriegsgesellschaft: Die Abwesenheit von Frauen in Friedensverhandlungen und ihr ungenutztes Potenzial“, von Dott.ssa Matilde Galli, 

    „News on femicide. Ein sprachübergreifender Vergleich der Berichterstattung über Femizide in ausgewählten Qualitätsmedien“ von Dott.ssa Ingrid Kapeller;

    • Ort: Campus Bozen/Bolzano, Raum F6

    12. März:

    • 17:00 – 19:00 Uhr: „Beratung von Migrantinnen in Gewaltsituationen. Ethnographie der Frauenhausarbeit in Südtirol“, Buchpräsentation von Dr. Marina Della Rocca im Gespräch mit Dott.ssa Renate Seeber
      • Ort: Campus Brixen/Bressanone, Raum 2.14

    13. März:

    • 15:00 – 17:00 Uhr: „Talkin’ Bout MI-Generation“: Roundtable-Diskussion über (und mit) Universitätsstudierenden mit Migrationshintergrund. Mit Dr. Emilio G. Berrocal, Dott.ssa Ilse Giacomin Dia, Dott.ssa Fatima Zahra El Harch, Dott.ssa Alessia Formica, Dr. Hilary Solly, Dott.ssa Nivedhitha Prakash; Koordination: Prof. Dorothy L. Zinn; 
      • Ort: Campus Bozen-Bolzano, Raum D003

    17. März:

    • 14:00 – 16:00 Uhr: “Femtech: Diversity, Equity, and Inclusion in Computer Science”, Prof. Pernille Bjørn (Department of Computer Science, University of Copenhagen) im Gespräch mit Dr. María Menéndez Blanco
      •  Ort: Online und Campus Bozen/Bolzano, Raum D003

    18. März

    • 15:00 – 17:30 Uhr: “World Café: Intersectional Social Work in Crisis: Resisting Delegitimisation, Building Alliances, Advancing Care”, Koordination: Prof. Urban Nothdurfter
      • Ort: Campus Bozen/Bolzano, Raum F6