Gesellschaft | Betrug?

Reise ins Nimmerland

Dubiose Geschäftspraktiken eines Bozner Reisebüros lassen zahlreiche Urlaubsträume platzen. In der Europäischen Verbraucherzentrale herrscht der Ausnahmezustand. Was tun?
Gepäck
Foto: Pixabay

“Tragisch” ist das Wort, das Monika Nardo in der Viertelstunde, die sie sich für das Gespräch Zeit nimmt, am häufigsten verwendet. Seit Dienstag Nachmittag hat sie alle Hände voll zu tun, macht Überstunden – denn das Telefon an ihrem Arbeitsplatz läutet ununterbrochen. “Mindestens hundert Anrufe habe ich in der Sache bis jetzt erhalten”, sagt Nardo als sie salto.bz am Mittwoch Mittag erreicht. Die Sache, von der die Koordinatorin der Europäischen Verbraucherzentrale (EVZ) spricht, ist just am Dienstag Vormittag explodiert. In der Turinstraße in Bozen kam es zu tumultartigen Szenen, die darin gipfelten, dass die Inhaberin eines Reisebüros von der Polizei vom Ort des Geschehens eskortiert wurde. Aufgebrachte Kunden hatten sich vor dem Reisebüro zusammengeschart, um gegen die Geschäftspraktiken der Inhaberin zu protestieren. Denn die haben dazu geführt, dass zahlreiche Personen von ihrer Urlaubsreise heuer nur träumen werden.

 

Geplatzte Urlaubsträume

“Neverland” – zu deutsch “Nimmerland”, wie die Insel aus Peter Pan – heißt das Reisebüro in der Turinstraße, das vor allem dank Mundwerbung seit 2013 Urlaubsreisen verkauft. Reisen, die nun ins Wasser fallen. “All die Menschen, die uns kontaktieren, haben eine komplette Reise gebucht und sollten in den nächsten Tagen abreisen – können sie aber nicht, weil sie keine Unterlagen in der Hand haben”, erklärt Monika Nardo. Kein Wunder, denn wie sich herausstellte, hat die Inhaberin des Reisebüros die Reise entweder gar nicht gebucht oder aber gebucht, die Leistungen jedoch nicht bezahlt.

“Die Geschichten sind alle tragisch”, seufzt Nardo. Ein Familienvater, der eine Reise zur WM nach Russland gebucht hat und für seine Kinder bereits die Fußballtrikots gekauft hat. Vier Freundinnen, die nach Kuba aufbrechen wollten. Eine Mutter, die ihrem Sohn zum Uni-Abschluss eine USA-Reise geschenkt hat. “Alle haben mindestens 1.000 Euro hingeblättert, ich weiß von Fällen, wo 2.000, 2.600 Euro bezahlt wurden”, manche Medien berichten von bis zu 10.000 Euro – “das tut einfach weh”, versteht Nardo die Empörung, die sich am Dienstag auf der Straße entlud. Man freut sich auf die Ferienreise, spart dafür – und kann dann nicht fahren. “Außerdem ist es fraglich, ob du dein Geld wieder siehst”, spinnt die EVZ-Koordinatorin den Faden weiter.

 

Akribische Spurensuche

Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern, die sich dieser Tage alle fünf um den “Neverland”-Fall kümmern müssen, versucht Nardo, sich erst einmal einen Überblick zu verschaffen. “Ich sage den Leuten, dass es mir wahnsinnig Leid tut, aber ich muss erst einmal bei jedem Einzelnen verstehen, was Sache ist: Was wurde gebucht bzw. wurde, das, was gebucht wurde, vom Reisebüro bezahlt?” Reiseveranstalter, Hotels werden kontaktiert. Auf der Spurensuche treten immer neue Details zutage: “Ich habe Hotels in Apulien angerufen, die gesagt haben, dass es überhaupt keine Buchung gibt und man schon seit einem Jahr nicht mehr mit der Dame arbeitet und selbst noch Ausstände hat.” Eine Pensionistin, die sich an die EVZ gewandt hat, sei bei dieser Nachricht in Tränen ausgebrochen, sagt Nardo.

Einschlägige Erfahrung mit dem Reisebüro “Neverland” habe sie schon in der Vergangenheit gemacht, erinnert sich die EVZ-Koordinatorin. “Aber Reklamationen gibt es bei jedem Reisebüro irgendwann. Und auch im Falle von ‘Neverland’ haben wir die Fälle am Ende positiv gelöst – auch wenn die Art, wie mit Reklamationen umgegangen wurde, schon etwas anders war…”

 

Schwarzes Schaf

Abgesehen von der Kontaktaufnahme mit der Europäischen Verbraucherzentrale rät Monika Nardo Betroffenen, Anzeige bei der Polizei zu erstatten, “damit gegebenenfalls die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt, weil es sich hier vielleicht um einen Fall von Betrug handelt”. Außerdem bestehe für die geschädigten Kunden die Möglichkeit, sollte es zu einem Strafverfahren kommen, sich als Zivilpartei einzulassen. “Und da ist es etwas leichter, Geld zurückzubekommen als bei einem Konkursverfahren.” Ob ein solches eingeleitet wird, müsse sich erst noch zeigen, meint Nardo. Fakt ist, dass die Finanzwache am Dienstag sämtliche Unterlagen des Reisebüros beschlagnahmt hat, “und ich gehe davon aus, dass das Amt für Tourismus, das die Lizenzen für Reisebüros aushändigt, diese jetzt zumindest suspendiert”, so die EVZ-Koordinatorin.

“Wahnsinnig Leid” tut es Monika Nardo nicht nur für die geplatzten Urlaubsträume, sondern auch “für all die anderen Reisebüros, die auf eine völlig andere Art und Weise arbeiten, nämlich professionell”. Der “Neverland”-Fall werfe “ein ganz schlechtes Licht auf die Reisebüros”, die es wegen der Online-Konkurrenz ohnehin schon nicht leicht hätten, bedauert Nardo – “für gewisse Verbraucher und Kunden aber die einzige Möglichkeit sind, Reisen zu buchen, etwa weil sie keine Kreditkarte haben oder mit dem Internet nicht vertraut sind”.

 

Kaum Trost

Sie legt Wert darauf, festzuhalten, dass “Neverland” nicht Mitglied im Verband der Südtiroler Reisebüros ist, der beim hds angesiedelt ist. Ein schwarzes Schaf sozusagen, ein Einzelfall – “eine Ausnahme und ein Ausnahmezustand”, bringt es Nardo auf den Punkt.

Als sie von den Protesten vor dem Reisebüro in der Turinstraße erfahren hat, befand sie sich gerade auf einer Pressekonferenz, bei der die EVZ gemeinsam mit den Reisebüros im hds die neue EU-Pauschalreisenrichtlinie präsentierte. Noch ein Umstand, den Nardo kopfschüttelnd nur als “tragisch” abtun kann. Denn die neue EU-Richtlinie sieht unter anderem vor, dass Reisebüros den Kunden für alle Verträge Vorbuchungs-Standardformulare aushändigen muss. “Dort wird festgehalten, dass es sich um eine Pauschalreise handelt, welche Flug- und Hotelleistungen sie beinhaltet – und dass das Reisebüro eine Versicherung für Konkurs und Insolvenz bei der Versicherungsagentur XY abgeschlossen hat”, erklärt Nardo.
In Kraft tritt diese Richtlinie am 1. Juli 2018.

“Schon seit 2016 schreibt das Gesetz vor, dass Reisebüros eine Insolvenz- und Konkursversicherung abschließen müssen, die gerade Fälle wie diesen decken sollen, bei der ein Reisebüro in eine finanzielle Schieflage gerät”, erklärt Nardo. “Sollte das Reisebüro Konkurs anmelden, würde diese Versicherung den Kunden die bereits bezahlten Beträge erstatten. Nur ist es bis 30. Juni so, dass es keine wirklichen Strafen gibt, falls ein Reisebüro eine solche Versicherung nicht hat – und bislang wurde es auch nicht unbedingt transparent kontrolliert.” Mit 1. Juli soll sich das ändern – und die Südtiroler Reisebüros seien “wirklich bemüht, sich an die neue Gesetzgebung anzupassen und die Verträge anzugleichen”, betont Nardo.
Nur: Für die “Neverland”-Kunden ist es zu spät.