Politik | Meran

Kein Platz für Ganser

Daniele Ganser darf auftreten, wird aber geächtet: Die Meraner Gemeindepolitik distanziert sich klar. Vizebürgermeisterin Zeller will künftig klarere Grenzen für Events.
Kurhaus Meran
Foto: Othmar Seehauser

Der geplante Auftritt des umstrittenen Schweizer Historikers Daniele Ganser Anfang September in Meran ist nicht unbemerkt und unkommentiert geblieben. salto.bz hat am Montag über die Person Ganser und seine Arbeit berichtet. In Historikerkreisen, von Rechtsextremismus-Experten und von jüdischen Vertretern im deutschsprachigen Raum werden Gansers Thesen als hoch problematisch, Verschwörungserzählungen gleichkommend und Putin-affin eingeordnet. Auch habe er den Holocaust verharmlost und bemühe immer wieder “antisemitische Sprachbilder”, so die Analyse der Geschäftsführerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, Rebecca Seidler.

Ganser beschäftigt sich unter anderem mit der Rolle westlicher Staaten – allen voran der USA, die er meist als Schuldige sieht – und der NATO im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Darüber wird er am 6. September im Kurhaus von Meran referieren – obwohl er keinerlei Expertise besitzt, weder zur Ukraine noch zu Russland je geforscht oder publiziert habe, wie Berufskollegen aufzeigen. Die Veranstaltung wurde auch in den Veranstaltungskalendern der touristischen Marketingorganisationen IDM und Kurverwaltung Meran angekündigt. Die Berichte darüber haben vor allem auf Facebook zu heftigen Diskussionen geführt: Wie umgehen mit jemandem, der es sich zum Geschäftsmodell gemacht hat, Fragen zu stellen, die viele Menschen auch beschäftigen, und Antworten darauf bietet, die geschickt Emotionen triggern, einen vermeintlichen Opferstatus zementieren und “antisemitische und antidemokratische Hetze” schüren, wie es die Geschäftsführerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover bezeichnet? Der die Meinungsfreiheit dehnt, sodass seine Fangemeinde meint, alles habe darin Platz?

Verschwörungserzählungen sind keine Meinung, sondern spalten die Gesellschaft und greifen unsere demokratischen Grundwerte an (Rebecca Seidler auf die Frage, warum Daniele Ganser so gefährlich sei)

Leicht fällt das, zahlreichen deutschen, österreichischen und Schweizer Städten gleich, auch in Meran nicht. Doch einiges ist inzwischen in Bewegung gekommen.

 

Kritik und Distanz

 

Am Dienstag Abend melden sich die größte Meraner Oppositionspartei zu Wort. Grüne/Liste Rösch stellt mit zehn Räten die stärkste Fraktion – und distanziert sich in einer Aussendung deutlich von Ganser: “Ganser ist kein Unbekannter: Seine Thesen zu 9/11, zur Corona-Pandemie sowie letzthin zum Ukraine-Krieg geben Anlass für heftige Kontroversen. Einer Gemeinschaft von Ganser-Anhängern steht eine skeptische Öffentlichkeit gegenüber, die seinen wenig faktenbasierten, die Realität verdrehenden, oft abenteuerlichen Thesen nichts abgewinnen kann. Zu den Kritikern von Ganser und seinen Hypothesen zählt auch die Grüne Fraktion im Gemeinderat von Meran. Wir sind im Hinblick auf Folgen, Auswirkungen und Umgang mit der Corona-Pandemie zwar gleichfalls kritisch, lehnen aber die Ganser-Verschwörungstheorie ebenso ab wie seine Ursachenforschung zum Ukraine-Krieg.”

Die Grünen stimmen in den Chor von Geschichts- und Politikwissenschaftlern ein, die sagen: Man kann und muss sich auch kritisch mit den geopolitischen Interessen von USA und NATO auseinandersetzen – aber einen (wie) Daniele Ganser braucht es dazu nicht. Schon gar nicht, da “seine Vergleiche der Folgen der Corona-Pandemie mit dem Holocaust völlig inakzeptabel sind”, so die Grünen. Der Schweizer hat in einem Video den Holocaust als lokales Phänomen relativiert “und in seiner industriellen und genozidalen Dimension verharmlost”, erinnern die Meraner Grünen. “In einer Stadt wie Meran, deren jüdische Gemeinde nahezu vollständig verhaftet und ermordet wurde, ist ein Holocaust-Verharmloser wie Daniele Ganser fehl am Platz. Gewiss gilt das Prinzip der Meinungs- und Äußerungsfreiheit, die in diesem Fall auch seine Position zu Worte kommen lässt. Wir gehen aber zu seinen Aussagen und zu seinem nahenden Auftritt auf größtmögliche Distanz.”

Grüne Gemeinderatsfraktion Meran
Ächtung statt Auftrittsverbot: Die Gemeinderatsfraktion der Grünen/Liste Rösch Meran sehen in Meran keinen Platz für Personen wie Daniele Ganser. (Foto: Facebook/Lista Rösch Liste, Verdi Grüne Vërc)

 

Auftrittsverbot für Meran verlange man keines, so die Grünen um Fraktionssprecherin Madeleine Rohrer, fordere aber auch von der Mehrheit im Gemeinderat eine “scharfe Abgrenzung von Gansers Positionen, die in unserer Stadt fehl am Platz sind”.

 

Kaum Spielraum für Gemeinde

 

Zu dem Zeitpunkt, als die Grünen ihre Forderung an die Stadtregierung platzieren, hat sich diese bereits mit dem “Besuch” von Daniele Ganser in der Kurstadt befasst. Dafür gesorgt hat Vizebürgermeisterin Katharina Zeller (SVP), die als Stadträtin auch für Kulturfragen zuständig ist und gemeinsam mit Bürgermeister Dario Dal Medico (La Civica per Merano – Alleanza per Merano) im Verwaltungsrat der Kurverwaltung Meran sitzt. Diese ist für die touristische Vermarktung der Stadt zuständig und wird genauso mit öffentlichen Geldern finanziert wie IDM und der Stadttheater- und Kurhausverein, der das Meraner Kurhaus im Auftrag der Gemeinde führt. Gansers Verschwörungserzählungen seien “an der Grenze des Tolerierbaren – eine Grenze, die mit den Äußerungen zum Holocaust für mich überschritten worden sind”, erklärt die Meraner Vizebürgermeisterin im Corriere dell’Alto Adige. Dieses Statement teile die gesamte Stadtregierung, sagt Zeller auf Nachfrage von salto.bz. “Uns wäre es lieber, wenn gewisse Inhalte keine Bühne bekommen” – die Veranstaltung im Kurhaus abblasen sei aber “rechtlich schwierig”. Die studierte Juristin und Rechtsanwältin verweist auf ein Urteil des zuständigen Oberverwaltungsgerichts, das im März 2023 entschied, dass Ganser in Dortmund in einer öffentliche Veranstaltungsräumlichkeit auftreten darf – und eine entsprechende Absage für unzulässig erklärte. “Das Gericht begründet die Entscheidung damit, dass die Westfalenhalle eine öffentliche Einrichtung sei. Ein Verbot des Auftritts von Ganser würde gegen die Meinungsfreiheit verstoßen. Dass die Stadt Ganser Antisemitismus vorwerfe, reiche nicht für eine Absage der Veranstaltung.” So berichtete der WDR nach dem Urteil darüber.

Katharina Zeller
Will Konsequenzen ziehen: Vizebürgermeisterin Katharina Zeller peilt jetzt eine Änderung der Statuten des Kurhausvereins an. (Foto: Gemeinde Meran)

 

Wenn ein Gericht in Deutschland – “dort herrscht eine sehr große Sensibilität für die Themen Antisemitismus und Holocaust-Verharmlosung” – befände, dass Ganser nicht aus dem öffentlichen Raum verbannt werden dürfe, dann wäre ein zu erwartender Einspruch hierzulande, wenn ihm das Kurhaus verwehrt werde, wohl aussichtsreich, meint Katharina Zeller. Sie wäre “am liebsten drastischer eingeschritten, aber ich möchte auch nicht riskieren, so jemandem mit öffentlichen Geldern Schadenersatz zahlen zu müssen”.

 

Klare(re) Grenzen ziehen

 

Nach Informationen von salto.bz soll der Schweizer bzw. die Agentur, die seine aktuelle Tournee managt, heftig insistiert haben, einen Termin im prestigeträchtigen Kurhaus zu erhalten – trotz Versuche seitens des Kurhausvereins, ihn abzuwimmeln. Den Saal von vornherein nicht zu vermieten, auch dafür habe die Grundlage gefehlt, sagt Zeller: “Das Kurhaus ist eine öffentliche Einrichtung und sofern keine Probleme der öffentlichen Sicherheit bestehen, ist das sehr schwierig. Ein Privater ist da freier.

Jedenfalls sei sie im Gespräch mit Vereinspräsidentin Jutta Telser, man will die Sache zum Anlass nehmen, klare Grenzen zu setzen, betont Zeller – mit einer Statutenänderung: “Wir vertiefen die Möglichkeit, im Vereinsstatut Kriterien für die Inhalte von Veranstaltungen einzuführen.” Und noch etwas hat sich getan: Von der Webseite merano-suedtirol.com, auf der die Meraner Kurverwaltung Events in Meran ankündigt und bewirbt, ist der Abend mit Daniele Ganser verschwunden. “Auch darüber haben wir in der Stadtregierung gesprochen und veranlasst, dass die Veranstaltung gelöscht wird. Denn als Verwaltung distanzieren wir uns klar davon und wollen nicht damit in Verbindung gebracht werden – es soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir da als Gemeinde dahinterstehen.” Sie habe die Kurverwaltung Meran auch gebeten, mit der IDM in Verbindung zu treten, um das Event auch aus deren Veranstaltungskalender auf suedtirol.info zu nehmen, das von der IDM betrieben wird. Am Mittwoch ist das schließlich auch passiert.