Kultur | Fotografie

Formalästhetische Verführungen

Anja Manfredi zeigt im LUMEN analoge Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit unterschiedlichen Assoziationen zum Begriff Atlas. Es ist eine Fotoreise über Raum- und Zeitgrenzen hinweg
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Foto: Theresa Wey

salto.bz: Wie würden Sie den fotografischen Zugang beschreiben, den Sie für Ihre Fotoarbeiten am Kronplatz gewählt haben?

Anja Manfredi: Mit meiner künstlerischen Arbeit möchte ich einen Bildatlas zur Geste, zur Bewegung des Körpers - mit Rückgriffen auf historische Konzepte bis zu gegenwärtigen Inszenierungen - herstellen und nach dem Performativ des Körpers fragen. Meine Begriffe sind Geste, Atlas und Bilderatlas, und dies in Verbindung mit dem Medium der analogen Photographie.


Warum Schwarz-Weiß-Aufnahmen?

Es ist die anhaltende Faszination an der analogen Photographie: der Kameraverschluss öffnet sich für einen Sekundenbruchteil, und ein Lichttransfer findet statt. Jetzt schreibt sich das Licht in das lichtempfindliche Material ein. Und in diesem Sekundenbruchteil während der Belichtungszeit darf die Photographie ganz Photographie sein, jegliche Codes setzen aus. Ein Schnitt durch Raum und Zeit erfolgt, dieser Moment wird im medialen Raum festgehalten und fixiert. Dabei arbeite ich auch sehr gerne mit Schwarz-Weiß Aufnahmen, so kann ich in der Dunkelkammer experimentieren und kleinere Formate entwickeln, vergrößern.

Sie bot mir die Leitung der Photoschule an und ich willigte sehr gerne ein.

Sie haben 1998/99 die Schule Friedl Kubelka für künstlerische Fotografie besucht und deren Leitung 2010 übernommen. Wie kam es zur Rochade von der Studentin zur Leiterin?

Meine Studienzeit an der Schule für künstlerische Photographie war für mich äußerst wichtig und entscheidend für den weiteren Werdegang, später studierte ich an der Akademie der bildenden Künste und arbeitete im kuratorischen Kollektiv der Fotogalerie Wien mit, mit Friedl Kubelka bin ich über all die Jahre und natürlich bis heute in Kontakt geblieben. Sie bot mir die Leitung der Photoschule an und ich willigte sehr gerne ein.

Wann ist Fotografie Kunst?

Wenn eine Photographie formal ästhetisch verführen kann und inhaltlich relevante Themen und Fragestellungen verhandelt. 

 

Was verbindet Sie mit dem Begriff Atlas? Wie war ihre persönliche Annäherung an diesen Begriff?

Ein Atlas ist eine visuelle Form des Wissens, eine wissende Form des Sehens. Der Bilderatlas als Werkstatt des Nachdenkens über die Bilder und Ihre Schicksale. Ein Bilderatlas als visuelles Poem. Und so führte mich eine Reise ins Atlas-Gebirge nach Marokko (2019). Ich wollte die Berge sehen die nach dem Titan benannt sind und mehr noch - den Atlas direkt darstellen sollen. Die Figur des Atlas verwandelt sich zum Berg. Aus dem Atlasgebirge habe ich einen besonderen Stein mitgenommen und damit weitergearbeitet. Für die Ausstellung im LUMEN sind unter anderem diese Gebirgslandschaften zu sehen. Und ein textiles Objekt. Für mich ist der Bilderatlas eine wichtige Methode, um dadurch die vielschichtigen Migrationen des Körpers und Formen luzide zu machen.

Diese Beschäftigung hat auch einen biografischen Hintergrund, ich bin in einer Südtiroler Siedlung in Lienz aufgewachsen.

Die gezeigten Arbeiten betiteln Sie mit "Kapitel I". Was ist an nachfolgenden Kapiteln zu erwarten?

Es folgen weitere Ausstellungen zu diesem Themenkomplex – in Frankfurt und in Wien – die weitere Aspekte dazu aufschlagen werden.


2021 haben Sie sich fotografisch dem Thema Südtiroler Siedlung genähert. Nicht nur den Häusern, sondern auch den Vögeln und Pflanzen. Was war der Antrieb für Sie aus dieser Geschichte eine Fotoserie zu machen?

Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Covid 19 Pandemie sehen wir das Wechselverhältnis von Körper und Raum, von Fleisch und Stein (R. Sennett). Gesten werden aber nicht nur durch den Körper, sondern auch durch Ihre Hüllen erfahrbar: 1. Architektur, 2. Kleidung, 3. Haut. Es ist mir ein Anliegen diese unterschiedlichen Kategorien zu untersuchen, 2020 und 2021 habe ich dazu drei Künstlerinnen-Bücher gemacht. Ein Teil beschäftigt sich mit Historie/Geschichte und einer spezifischen Erzählung – Die Südtiroler Siedlung oder das Gedächtnis der Häuser, der Pflanzen und der Vögel. Diese Beschäftigung hat auch einen biografischen Hintergrund, ich bin in einer Südtiroler Siedlung in Lienz aufgewachsen, meine Großeltern – mütterlicherseits und väterlicherseits – waren Optanten, die aus unterschiedlichen Motiven die Option nutzen.