Du bist, was du schreibst

“Zu viel Freiheit kann weh tun.” mit diesen Worten eröffnete Haidi Romen am Mittwoch Vormittag die Tagung “Meiner Meinung nach…”. Zu dieser hatte der Landesbeirat für Kommunikationswesen und das Amt für Film und Medien der Südtiroler Landesverwaltung eingeladen. Aus unterschiedlichen Perspektiven sollte das Phänomen der Online-Kommentare beleuchtet werden und dadurch zur Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung beitragen. “Kommentare gelingen dann, wenn sich die Verfasser ihrer Rolle bewusst sind”, so die These von Jutta Kußtatscher.
Vom Leserbrief zum Online-Kommentar
Die Journalistin und salto.bz-Direktorin sprach über das Wesen der Onlinekommentare und wie sie sich von ursprünglichen Kommentaren wie etwa Leserbriefen unterscheiden. “Die größte Herausforderung heute ist, dass der Verfasser eines Kommentars im Internet keinerlei Kontrolle darüber hat, wer ihn liest.” Einmal im Netz, ist ein Kommentar gleich wie ein Blogeintrag einem unüberschaubarem Publikum zugänglich. “Mit dem Eintritt ins Internet betritt man öffentlichen Raum”, erinnerte Kußtatscher. “Es ist etwa so, als würde man sich mitten auf den Dorfplatz stellen und hinausschreien, was man zu sagen hat.” Zahlreiche User, und darunter vor allem Erwachsene, seien sich der Wirkung ihrer Kommentare nicht bewusst, so die salto.bz-Direktorin. “Diejenigen, die heute oft unbedacht Kommentare auf Onlineportale stellen, sind mit den Leserbriefen aufgewachsen. Die geradlinige Kommunikation, also vom Schreiber über die Redaktion zum Leser, hat sich durch das Internet aber geändert.” Kontrolle sei kaum möglich oder in vielen Fällen nicht vorgesehen. “Was es braucht, ist eine Schärfung der eigenen Rolle. Dann gelingen die Kommentare auch besser”, zeigte sich Kußtatscher überzeugt.
Weder rechtsfrei noch anonym
Der Rechtsanwalt Hans-Magnus Egger beleuchtete die Online-Kommentare aus rechtlicher Sicht. “Das Internet ist ein Raum des Rechts und kein rechtsfreier Raum”, rief Egger ins Gedächtnis. “Auch wenn das viele nicht so empfinden, aber ein jeder ist für den Inhalt, den er ins Netz stellt, selbst verantwortlich und muss eventuelle Konsequenzen tragen.” Der Strafbestand der Rufschädigung und Verletzung der Privatspähre “durch jegliches Mittel der Verbreitung” ist im Artikel 595 des italienischen Strafgesetzbuches festgelegt. “Dieser Artikel kommt regelmäßig bei rufschädigenden Äußerungen im Internet zur Anwendung”, wusste Egger zu berichten. Der Anwalt griff in seinem Vortrag die Eröffnungsworte von Haidi Romen auf: “Das Netz ist mittlerweile zum maßgeblichen Ausdrucksmedium für Meinungen geworden. Dies bringt aber zweierlei Folgen mit sich: Zum einen die grenzenlos anmutende Meinungs- und Ausdrucksfreheit. Zum anderen jedoch auch die Haftung.”
Wo Freiheit also auch Haftung. Und je mehr Freiheit, desto mehr Haftung. Bedeutet das dann auch mehr Regeln? “Die Spielregeln auf den Online-Portalen und Blogs können die Betreiber sozusagen als Hausherren selbst festlegen”, so Magnus Egger. Entsprechend müssten sie dann auch für deren Einhaltung sorgen. Für ‘fremde’ Beiträge, also User-Artikel und Kommentare könnten Online-Zeitungen nicht haftbar gemacht werden. Doch gibt es etwa in Deutschland ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das besagt, dass der Betreiber als Störer haftet, wenn er Rufschädigungen oder Ehrverletzungen ermöglicht beziehungsweise duldet. “In Italien herrscht bezüglich der Online-Medien und -Kommentare jedoch derzeit noch keine Rechtssicherheit”, betonte Egger.
Einen weiteren Punkt, den der Anwalt ansprach, war die Anonymität. Diese sei im Netz ein Wert, den es laut Egger zu verteidigen gelte. “Aber wir müssen uns bewusst sein, dass das Internet das unanonymste Medium überhaupt bleibt”, so die Analyse. “Die technischen Möglichkeiten von Postpolizei und Portalbetreiber erlauben es, in kürzester Zeit den Urheber von Kommentaren ausfindig zu machen.
Trennend statt verbindend
Das Schlusswort auf der Tagung hatte Pier Paolo Pasqualoni, Soziologe an der Universität Innsbruck. Er sprach über die Gruppendynamiken, die durch Online-Kommentare entstehen. “Was ich in meinen Beobachtungen feststellen konnte, ist, dass sich Gruppen auf Internetportalen und -foren schrittweise herausbilden.” Am Anfang stehen sich die Mitglieder, die User, mit Scheu und Vorsicht gegenüber. Der Blick ist auf den Moderator gerichtet. Nach und nach schaut man sich um, stupst sich gegenseitig an und beginnt, sich zu formieren. “Gruppendynamiken haben mit der Aushandlung von Rollen zu zun”, bestätigte Pasqualoni die These von Jutta Kußtatscher. “Auch im Internet.” Sind die Positionen in der Gruppe einmal bekannt, läuten sie die zweite, die “Kampfphase” ein. “Dabei geht es, Anerkennung und Gehör in der Gruppe zu finden. Jeder will eine Rolle spielen und es wird um zentrale Positionen gerungen.” Im Idealfall kommt es in einer dritten Phase zur Bildung von Regeln, die von allen Gruppenmitgliedern akzeptiert werden. “Erst dann wird eine Gruppe arbeitsfähig und kann sich inhaltlichen Auseinandersetzungen widmen”, schloss der Universitätsprofessor.
So weit käme es im Online-Format aber nicht. “Dort ist die Heterogenität der Teilnehmer sehr groß und ein Konsens ist kaum möglich, weil es immer wieder jemanden gibt, der dagegen schießt und die Regeln bricht”, so Pasqualoni. Sein Fazit: “Das Online-Format trennt mehr, als dass es die Menschen verbindet. Das Internet hat neue Gemeinschaften geschaffen, in denen aber die Mitglieder so verschieden sind, dass keine arbeitsfähigen Gruppen entstehen.”