Politik | Nachruf

Opposition ist (nicht) Mist

Am Samstag ist der ehemalige Landtagsabgeordnete Gerold Meraner gestorben. Er war Unabhängiger, Liberaler, Unionist, und hauptsächlich: Opposition.
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Foto: STF
Ach, die Macht, und die sie nicht haben! In der Politik sind das die Oppositionellen. Die Geschichte Südtiroler Opposition ist gezeichnet von einer fatalen Schicksalshaftigkeit: Wer opponiert, dem geht’s über kurz oder lang wie Goethes „Fischer“ vor der Meerjungfrau: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin, / Und ward nicht mehr gesehn.“ Der nahende Landtagswahlkampf erinnert besonders daran. (Wähler-)Fischer stehen zahlreich wie nie an den Ufern, und alle, das ist diesmal das Neue - alle wollen sie mitregieren, alle an die Macht. Es ist 20 Jahre her, dass der damals neu gewählte SPD-Vorsitzende Franz Müntefering seine widerborstigen Sozialdemokraten mit dem Satz „Opposition ist Mist“ zu Vernunft und Realpolitik rief. Heute in Südtirol: Mehr Parteien als je zuvor raufen sich um die drei Dutzend Sitze, und keine mehr will sich morgen der (vermutlich weiterhin) regierenden SVP verweigern. Wie zehn kleine Münteferinge rufen sie: Opposition ist Mist!
 
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Das war nicht immer so. Opposition war einmal ein ehrbarer Stand, kein Wartezimmer. Einer mit besonders hoher Auffassung von Opposition ist diesen Samstag, 26. August, gestorben: Gerold Meraner. Der 1940 geborene Eppaner saß von 1983 bis 1993 als Abgeordneter im Südtiroler Landtag. Zwei Legislaturen lang. Er tat dies unter wechselnden Marken.  Von der Partei der Unabhängigen (PDU) zur Freiheitlichen Partei Südtirols FPS, einer Vorläuferin der heutigen „Die Freiheitlichen“, zur Union für Südtirol (damals mit Eva Klotz und später auch Alfons Benedikter), bis er zuletzt als „Unabhängige Fraktion“ allein sein Politikerdasein zu Ende administrierte. Zehn Jahre unter vier Fahnen! Liest sich nicht als weiß Gott welch geradlinige Politkarriere. Doch, es lag an den Zeiten. Und werden derlei Typen gern als Wendehälse verspottet, so traf dieser Vorwurf den zart gebauten, schon seinem Aussehen nach über jeden Verdacht der Bestechlichkeit erhabenen Gerold Meraner nie. Wenn sich etwas änderte, dann waren es die Parteien hinter ihm, aber doch nicht er. Er war immer „der Meraner“. Und in Opposition.
 
Opposition war einmal ein ehrbarer Stand, kein Wartezimmer.
 
Gerold Meraner war nicht einer von jenen, die irgendeine politische Welle irgendwann mit Glück in den Landtag schwemmte. Politisch war er lang vor seiner Karriere. Es war in den 1970er Jahren, ausgesprochen politische Jahre. Meraner, längst nicht mehr nur Student, war immer dabei, wenn die Hochschülerschaft oder andere Kulturorganisationen irgendeine Diskussion anzettelten. Die Initiativen damals waren eher links, und Meraner, der nie links war, mied keine Auseinandersetzung mit den Linken. Scheute auch nicht, mit diesen fallweise einer Meinung zu sein. Er gehörte zu den ersten Befürwortern einer Universität Bozen. Was ihn mit den radikaleren Studenten, aber auch mit Gewerkschaftern und sogar mit Italienern verband, das war: Opposition.
 
Zehn Jahre unter vier Fahnen! Liest sich nicht als weiß Gott welch geradlinige Politkarriere.
 
Opposition war für den intellektuellen Unternehmer (er studierte Jus und führte die Textilfirma Tendacor) ein moralischer Standpunkt, eine Lebensaufgabe. Die regierende Volkspartei wäre in Meraners Wertekodex nicht eine vollwertige politische Kraft gewesen,  hätte sie nicht (was sie seiner Auffassung nach nicht hatte) neben und gegen sich eine ernstzunehmende Oppositionspartei. So widmete er sich dieser Mission mit aller Kraft, ja Verbissenheit. Als Liberaler, der er war, fand er zunächst zusammen mit Hans Lunger in einer „Partei der Unabhängigen“ die geeignete Plattform, das SVP-Monopol aufzubrechen. Die beiden konnten nicht lang miteinander. Nicht nur dass der jüngere, wendigere, intellektuell überlegenere Meraner den Platzhalter Lunger bei der Wahl 1983 aus dem Landtag kegelte. Er hatte ein gänzlich anderes Verständnis von politischer Arbeit als der bäuerisch cholerische Lunger. Äußerlich ließ das Politpaar Lunger-Meraner an das berühmte Komiker-Duo Olio und Stanlio denken. Es endete, wie so manches Südtiroler Oppositionsgespann, im Bruch.
 
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PDU-Parteiblatt „Der Pfeil“: Wir sind nicht Bürger zweiter Kategorie“.
 
 
Meraner wandelte seine „Partei der Unabhängigen“ 1987, also noch vor seiner Wiederwahl in den Landtag im Jahr 1988, in die „Freiheitliche Partei Südtirols“ um und tat sich bald nach der Wahl (1989) mit Eva Klotz‘ „Union für Südtirol“ zusammen. Es war die wilde Zeit, da Luis Durnwalder die Macht im Land übernahm und Alfons Benedikter, den vorgeblich unverzichtbaren Architekt der Südtirol-Autonomie, aus der Landesregierung warf. Dieses „Zeitenwende“-Beben erschütterte damals die Opposition mehr als die SVP selber. Es kam zu dem schrillsten Oppositionstrio in der Geschichte Südtirols: Die Patriotin Eva Klotz, der Liberale Gerold Meraner und Autonomie-Isegrim Alfons Benedikter. Es konnte nicht lang gut gehen mit den drei Ungleichen in einer Union. Paragrafenritter Benedikter ätzte bald schon gegen „die Klotz“, er pflege „Politik zu machen mit dem Kopf, nicht mit dem Zopf“.
 
Es kam zu dem schrillsten Oppositionstrio in der Geschichte Südtirols: Die Patriotin Eva Klotz, der Liberale Gerold Meraner und Autonomie-Isegrim Alfons Benedikter.
 
Meraner verließ 1991 das Trio infernale, kehrte zurück in die ursprüngliche Unabhängigkeit, als Einmannfraktion ohne Partei. Jedoch Gentleman, der er war, ließ er weiterhin Höflichkeit und Hilfsbereitschaft vor jeder Parteiräson ergehen. Bis zum gemeinsamen Ende der Legislatur nahm der Eppaner den in Frangart lebenden und um seine Allmacht, auch den Dienstwagen, gebrachten Ex-Parteikollegen Benedikter im Privatauto mit zum Landtag nach Bozen. Und ein Letztes: Meraner kandidierte 1993 nicht wieder. Er trat aus der Politik zurück und trat nie, aber auch gar nie mehr nach. Es gab ihn politisch nicht mehr. Bis zur Todesnachricht.