Politik | Wahlgesetz

Die Reform-Uhr tickt

Um politische Instabilität in Bozen künftig zu vermeiden, muss ein neues Wahlgesetz her. Es gibt zahlreiche Ideen. Ohne Zustimmung des Trentino geht allerdings nichts.

Politische Zustände beziehungsweise Stillstände wie sie in den vergangenen Monaten in der Landeshauptstadt herrschten, darf es nicht mehr geben. Darüber sind sich inzwischen durch die Bank alle – Mehrheit und Opposition im Bozner Gemeinderat sowie im Landtag – einig. Bereits nach dem knappen Wahlausgang am 10. Mai und der wackligen Wiederwahl Luigi Spagnollis zum Bürgermeister zwei Wochen später wurden immer mehr Stimmen laut, die Änderungen forderten. Abhilfe könnte nicht zuletzt die Reform des Wahlgesetzes für die Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohnern schaffen. Nun ist sich auch Landeshauptmann Arno Kompatscher sicher: Es führt kein Weg vorbei an einem neuen Wahlgesetz für die Gemeinden der Provinz Bozen.

Im Rahmen der anstehenden Änderungen am Autonomiestatut wird bekanntlich auch eine Übertragung der Zuständigkeiten für die Gemeinden von der Region an die beiden Provinzen Bozen und Trient überlegt. Das zumindest sieht ein Verfassungsgesetzentwurf, den Karl Zeller Hans Berger und Francesco Palermo (der mittlerweile seine Unterschrift darunter zurückgezogen hat) im Februar ausgearbeitet hatten. Dadurch könnten künftig die beiden Provinzen unabhängig voneinander Gemeindewahlordnungen erlassen. Doch die Zeit drängt. Will man bereits vor den Neuwahlen in Bozen im kommenden Frühjahr ein neues Wahlrecht, darf man nicht auf die Kompetenzübertragung warten. Einerseits würde man es zeitlich wohl kaum hinbekommen – der entsprechende Tagesordnungspunkt, der vergangenen Mittwoch auf der Tagesordnung des Regionalrats wurde vertagt. Andererseits ist es kein Geheimnis, dass die Trentiner skeptisch auf den Vorschlag der SVP-Senatoren schielen.

Daher wird das Wahlgesetz in der Region überarbeitet werden müssen. Nur dann sei Frühjahr 2016 ein realistischer Zeitraum, bis wann nach neuen Regeln neu gewählt werden könnte. Das ließ Regionalassessor Sepp Noggler bereits Ende Juli verlauten. Und genau das scheint nun der Plan zu sein. “Ich hoffe, dass wir im November die Debatte im Regionalrat beginnen können”, verrät Arno Kompatscher im Gespräch mit Rai Südtirol, “und dass wir dann eine Mehrheit finden, um dieses neue Wahlgesetz für Bozen zu verabschieden.” Denn es habe keinen Sinn, zu den Urnen zurückzukehren, bevor das Wahlgesetz nicht geändert wurde, wiederholte Kompatscher in den vergangenen Tagen mehrmals: “Ansonsten haben wir in sechs Monaten wieder dieselbe Situation, nämlich die Unregierbarkeit der Landeshauptstadt.” Der Trentiner Landeshauptmann Ugo Rossi hat bereits seine Zustimmung gegeben, das Anliegen der Südtiroler im Regionalrat zu unterstützen.

Ideen, wie das neue Wahlgesetz ausschauen könnte, gibt es mehrere. Kompatscher kann sich wie viele andere auch einen Mehrheitsbonus für die Koaltion vorstellen, die den Bürgermeister stellt. “Dieser darf aber nicht bei weniger als 40 Prozent vergeben werden”, warnt Francesco Palermoim selben Bericht der Rai. Diese Zahl sei das Minimum an Stimmen, die eine Koalition erhalten muss, um in den Genuss des Mehrheitsbonus zu gelangen. Andernfalls sei der Bonus “zu stark und zu minderheitenfeindlich”, so Palermo. Im Gegensatz zu Klaus Ladinser, der dem Mehrheitsbonus eine Absage erteilt hat, weil er die Vertretung der sprachlichen Minderheiten im Gemeinderat gefährde, sieht Palermo ihn für autonomiepolitisch zulässig. Auch wenn es für ihn durchaus andere und bessere Vorschläge gebe.

Denkbar sei für den Senator und Verfassungsrechtler etwa eine 3-Prozent-Hürde für den Einzug in den Gemeinderat. Außerdem könne man sich überlegen, die Direktwahl des Bürgermeisters abzuschaffen und ihn stattdessen vom Gemeinderat ernennen zu lassen. Denselben Vorschlag hatte bereits im Sommer Alessandro Urzì gemacht. Urzì hält gleich wie Palermo nicht viel von einem Mehrheitsbonus. Ein weiterer etwas unerwarteter Vorschlag kommt indes vom Landeshauptmann: “Ich bin überzeugt, dass es in Zukunft weniger Gemeinderäte in Bozen sein sollen. 35 Landesräte regieren das gesamte Land, daher wären 35 und nicht 45 Räte für Bozen leicht genug.” Dann allerdings müsste auch anderswo die Anzahl der Gemeinderäte deutlich reduziert werden – derzeit hat etwa der Meraner Gemeinderat 36 Mitglieder. Weniger Gemeinderäte für mehr politische Stabilität? Ob die Gleichung Anklang findet, wird sich zeigen. In Bozen selbst dürfte man über den Vorstoß Kompatschers nicht erfreut sein. Und Francesco Palermo gibt zu bedenken: “Es ist eine Illusion, wenn man glaubt, über ein Wahlgesetz stabile politische Verhältnisse schaffen zu können.” Aber – und darüber dürften sich nun wirklich alle einig sein – um eine Reform wird man nicht umhin kommen.