Kultur | Bibliophile Fragen

„Gewisse Bücher“

Die Autorin und Filmemacherin Astrid Kofler ist eine gute Zuhörerin und leidenschaftliche Erzählerin. Für SALTO hat sie den immer gleichen Fragebogen beantwortet.
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  • SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten? 

    Astrid Kofler: Da gab es das Buch eines südamerikanischen Schriftstellers, ich habe das Titelbild vor Augen und weiß auch noch, dass es bei rororo Junior erschienen war. Es handelte im Vorort-Slum einer Großstadt und erzählte von der Liebe eines Jungen zu einem Hund. Abgesehen vom Inhalt, der mich bewegte und mein Reisen prägte, werde ich die Widmung nie vergessen:  Der Autor hatte das Buch „den Lebenden“ gewidmet – und es folgte eine Reihe von Namen – und „den Toten, meinem Großvater und meinem viel zu früh verstorbenen Freund Pedro, der glaubte, dass sich das Leben nicht lohnt.“ Die Frage ging mir nie mehr aus dem Kopf, wann sich das Leben lohnt.
    Wenn ich jetzt, nach 50 Jahren an Auguste Lechners „Der Reiter auf dem schwarzen Hengst“, denke, treibt es mir noch immer die Tränen in die Augen. Es hatte so gar kein happy End, was wir damals gewohnt waren. Der Ritter Reinolt von Montalban muss auf Befehl des Königs seinen Hengst Bayard opfern, damit endlich Friede einkehrt, dreimal schafft es der Hengst die Stricke zu sprengen, die ihn in die Tiefe des Wassers ziehen, und den Blickkontakt zu seinem Herrn zu suchen. Als sein Herr weinend sein Gesicht in den Armen verbirgt, weil der Tod des Pferdes die Bedingung für Frieden ist, gibt der treue Hengst den Kampf auf, der Meinung, sein Herr habe ihn verlassen. Und damit ist nicht Schluss. Ganz nebenbei wird der Ritter dann auch noch von neidischen Handwerkern im Exil ermordet, und niemandem fällt dies auf. Ende.
    Dieses Buch war für mich – nachdem ich alle anderen Auguste-Lechner-Bücher so sehr geliebt hatte – ein Schock. Ich war darauf nicht vorbereitet. Ich werde mit einem sinnlosen Buch-Ende niemals zurechtkommen, das Ende muss kein gutes sein im Sinne von happy-End, aber ein trauriges Ende soll wenigsten Sinn haben, wenigstens für die (fiktive) Person selbst, die im Laufe eines Buches ans Herz gewachsen ist – auch wenn Leserinnen und Leser laut Zoderer die Hauptpersonen eben nicht lieb haben sollen, im Gegenteil. Arno Geigers Schlusssatz „Er winkt zum Abschied“. (Es geht uns gut) ist auch traurig, aber stimmig, für ihn einzig stimmig. 

    Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino? 

    „Schließlich, morgen ist auch ein Tag“, sagt Scarlett O'Hara trotzig, nachdem Rhett Butler sie verlassen hat. Ich wünschte und bilde mir ein, sie würde es auf ein selbstbestimmtes Leben beziehen und nicht nur darauf, ihn wieder für sich zu gewinnen. (Vom Winde verweht.)
    Ich liebe meine uralte Flohmarkt-Taschenbuch-Ausgabe von Im Westen nichts Neues (Erich Maria Remarque), das Ende hat sich mir eingeschrieben. „Er fiel im Oktober 1918, an einem Tag, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.« Ich vertraue darauf, dass wir, die Menschen, irgendwann daraus endlich lernen, dass dieses sinnlose Sterben nicht sein darf. 
     

    Ich würde den Außerirdischen fragen, wie das bei ihnen so sei, was sie lesen.

     

  • Astrid Kofler: Geboren 1965 in Bozen, Journalistin, Filmemacherin und Autorin. Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik in Wien, Journalistenausbildung in München, Berlin und London. Seit 1998 freischaffend tätig, vor allem mit Buchbeiträgen sowie Magazinsendungen, Porträts und Dokumentationen für Rai Südtirol. Foto: Privat

    Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen? 

    Jack Kerouac, Unterwegs. Ein Kultbuch, die Bibel für Hippies und Freigeister, war - vielleicht hatte ich mir einfach zu viel erwartet - eine Enttäuschung. Es gab wundervolle Passagen, weiß ich noch, aber ich fand es auch sehr anstrengend, dieses ständige Unterwegs sein, diese ständige Suche nach einem glückseligen Leben, Marihuana, Sex. Freiheit. Was für ein Stress. Vielleicht hätte ich es früher lesen müssen oder bin einfach zu spät geboren.

    Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis? 

    Ich würde um Verständnis bitten, dass wir menschliche Wesen manche Themen tabuisieren – das eigene Sterben beispielsweise -, aber hingebungsvoll lesen, - oder uns im Fernsehen und Kino ansehen – wie andere erstochen, erschossen, erdrosselt werden. Ich würde den Außerirdischen fragen, wie das bei ihnen so sei, was sie lesen. Und erklären, dass hier auf Erden manches nicht gut sei. Zumindest für mich nicht verständlich. Und dass ich fairerweise nichts sagen könne zur Commissaria oder zum Commissario, die in der Provinz – und nicht nur dort – so viel Aufmerksamkeit genießen, weil ich einfach nicht urteilen möchte über Dinge, die ich nicht verstehe. (Warum ich sie nicht verstehe? Ja weil ich mir noch nie die Muße nehmen wollte, mich damit zu beschäftigen). 
     

    Ich verreise prinzipiell nur mit guten Büchern, in die Lage unterwegs an ein mich unglücklich machenden Buches gebunden zu sein, weil es keine Alternative gibt, möchte ich nicht kommen.


    Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen? 

    Ich kaufe mir seit Jahren die Literatur-Sonderausgaben der Zeit, sammle sie und blättere immer wieder darin, ich lese gerne Literaturkritiken, auch online, „uneingeschränkt“ Vertrauen schenken ist – was Bücher betrifft – an sich schon schwierig, da Bücher-Geschmack persönlich ist wie die Vorliebe für einen Duft oder Musik oder die Wellenlänge zu gewissen Menschen eben. Über Sonderausgaben – die anlässlich der Frankfurter oder Leipziger Buchmesse oder Wien-Buch erscheinen, werde ich auf Bücher aufmerksam, die ich mir in ausgesuchten Buchläden (am allerliebsten in Wien im Leporello, Buchkontor, im Buchcafé Melange, im Morawa, in der Bücherecke BelleArti...) ansehe, da wird jeder Kauf zu einer Entdeckung, da ist es einfach schön in den ausgelegten Büchern zu stöbern (Neuausgaben von Klassikern, Neuerscheinungen), da gibt es wunderbare Beratung. Da kaufe ich auch immer viele Hörbücher fürs Auto.
    Für mich entscheidend – beim Kauf eines Buches - ist die Lektüre des ersten Absatzes oder der ersten Seite, da weiß ich: werde ich mögen oder nicht. Auch dem Klappentext vertraue ich nicht, der entspricht selten der Sprache des Autors. Die Sprache ist mir enorm wichtig. Ich bevorzuge auch gewisse Verlage, bei Kunstbänden, Fotobüchern oder Literatur.
    Was vegane Kochbücher, Kräuterwissen, Naturheilkunde-Bücher betrifft informiert mich meine Schwester Ulli, die in der Landesbibliothek Tessmann arbeitet. 

    Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen? 

    Ich verreise prinzipiell nur mit guten Büchern, in die Lage unterwegs an ein mich unglücklich machenden Buches gebunden zu sein, weil es keine Alternative gibt, möchte ich nicht kommen. Auch möchte ich nur ein gutes Buch zurücklassen, damit ich – sollte ich (wieder? selbst?) auf einer einsamen Insel stranden – auch ein gutes finde. (Alles kommt zurück.) Der Zauberberg und Joseph und seine Brüder von Thomas Mann, fast alles von Franz Kafka, Sten Nadolnys Entdeckung der Langsamkeit sind Bücher für die einsame Insel. Márquez Hundert Jahre Einsamkeit de Saint-Exupérys Der kleine Prinz, ein eigenes Zimmer von Virgina Woolf, Herta Müllers Atemschaukel, Regenwörter von Rose Ausländer und vieles mehr. Auf meiner letzten Reise hatte ich Pessoas Buch der Unruhe dabei. Ulisse von James Joyce würde ich mir – verbannt auf eine Insel – in den Koffer packen, um es endlich endlich in einem Zuge ohne Stolpern durchzulesen. Und was ich seit Jahrzehnten immer wieder liebe, ist Reiseliteratur von Frauen, Alexandra David-Néel, Isabell Eberhardt. 

    Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?  

    Ich besitze keinen E-Book-Reader. Ich lese mit einem Bleistift in der Hand, auch am Nachttisch liegen Stifte; ich unterstreiche beim Lesen, ziehe Striche, mache Notizen, notiere Gedanken, am ärgsten mitgenommen und zerfledert sind Albert Camus die Pest und Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941–1943.

    Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen? 

    Empfehlen ist immer schwierig. Gewisse Bücher möchte ich in meinem Schrank nicht missen, die passen immer für Empfehlungen: Anita Pichlers Haga Zussa, die Zaunreiterin, Schnittbögen von Helene Flöss, Tumlers Das Land Südtirol. Luis Stefan Stechers Korrnrliadr in Vintschger Mundart. Letzthin verschenkt habe ich Julian Peter Messners soeben erschienenen Aufzeichnungen Wörtersammeln und Stichwörteln, und da fällt mir natürlich Georg Paulmichl ein, Ich habe Glück gehabt, dass es mich gibt. Anfang der 90er bekam ich ein Buch geschenkt, Franz Tumler, Volterra. Wie entsteht Prosa. Ein wundervolles Geschenk.