Politik | Die Sicht von außen

Lästern über "Tarrol"

Südtirol, bzw. Tirol und die ganze Bergregion ringsherum sind oft Gegenstand liebevoll-hymnischer Betrachtung, wenn es um Naturschönheiten und Kulinarik geht - regelmäßig jedoch kriegen wir literarisch eins aufs Dach, und das bereits seit Heinrich Heine durch unser Land gereist ist.

Dieses Mal ist es ein Artikel im deutschen Satire-Magazin "Der Postillon". Die Online-Plattform in dem Klatsch neben Tratsch, Spaßiges neben "dreist Zusammengelogenem" steht, nimmt sich selbst und die Welt wenig ernst und lässt weder Putin, noch Mubarak oder Erdogan ungeschoren. Der Postillon widmet sich im Artikel "Wilde Bergstämme in deutsch-italienischem Grenzgebiet" den Völkern in den Alpen, bzw. den noch unentdeckten wilden Bergstämmen (sic!) zwischen Konstanz und Bozen. Der Verfasser (dpo) lässt sich aus über die Kehllaute der "Schwizr" und den einschläfernden Singsang der "Östreicher" aus und fordert die Einrichtung geschützter Reservate. Recht harmlos der Text, noch dazu werden die Südtiroler nicht einmal ausdrücklich erwähnt!

Da sind wir anderes gewohnt; mit uns fuhr bereits Heinrich Heine seinen Satire-Schlitten. In den Reisebildern beschreibt der Journalist und Kritiker die Tiroler als Zeitgenossen von "schöner, heiterer, ehrlicher, braver, und unergründlicher Geistesbeschränktheit." Hinterwäldlerisch und trotzdem geschäftstüchtig sind sie, diese Tiroler, schrieb Heine:

Der Tiroler hat eine Sorte von lächelndem humoristischen Servilismus, der fast eine ironische Färbung trägt, aber doch grundehrlich gemeint ist. Die Frauenzimmer in Tirol begrüßen dich so zuvorkommend freundlich, die Männer drücken dir so derb die Hand, und gebärden sich dabei so putzig herzlich, daß du fast glauben solltest, sie behandelten dich wie einen nahen Verwandten, wenigstens wie ihresgleichen; aber weit gefehlt, sie verlieren dabei nie aus dem Gedächtnis, daß sie nur gemeine Leute sind, und daß du ein vornehmer Herr bist, der es gewiß gern sieht, wenn gemeine Leute ohne Blödigkeit sich zu ihm herauflassen. 

Heines Reisebilder stammen aus dem Jahr 1828, etwa hundert Jahre später tat sich ein weiterer Literat darin hervor, das Wesen und Leben der "Tarroler" zu porträtieren. Carl Techet verfasste sein "Fern von Europa - Tirol ohne Maske" mit dem Untertitel "Kurze Geschichten aus finsteren Breiten" 1909 in einem Münchner Verlag. Der gebürtige Wiener begann seine Lehrerlaufbahn in Triest und wurde wegen seines kritischen Freidenkertums 1907 nach Tirol versetzt, eine Strafe, für die er sich revanchierte. Unter dem Pseudonym Sepp Schluiferer schrieb er seine Schmähschrift und rief damit einen veritablen Skandal hevor.

Eigenartig und geheimnisvoll wie die Natur ist das Liebesleben im Lande Tarrol; die sonderbaren klimatischen Verhältnisse sowie religiöse Anschauungen beeinflussen es mächtig. Sieben Monate herrscht der Winter, die anderen fünf Monate ist es kalt. Wenn sich die Eiskrusten langsam in Kot verwandeln und statt des Schnees Regen fällt, dann bedeutet dies Frühling, Sommer und Herbst.

Carl Techet musste nach der Veröffentlichung und seiner Enttarnung als Autor vor dem aufgebrachten Volk fliehen, nach München; er wurde vom Schuldienst suspendiert und strafweise nach Mähren versetzt. Anlässlich des Hofer-Gedenkjahres 2009 wurde das Büchlein von Carlo Romeo übersetzt, in "Tirolo senza maschera" kann man nun die Schluiferer-Lästerungen nachlesen auf Italienisch nachlesen.

Was aus den "Tarrolan" geworden ist, hat der Innsbrucker Autor Helmuth Schönauer recherchiert. In seinem Buch "Schluiferers Erben" erzählt er "von wahnsinnig gewordenen Transiteuren, von Golfplätzen, die am Friedhof errichtet werden, von sexuellen Ungustln im Jägersgewand und vom kompletten Gehirnschutz."

Und die Satire geht weiter. In den 1960er Jahren verbrachte der deutsche Schriftsteller und Autor Hellmut von Cube einige Zeit im Schnalstal, auf Sommerfrisch' am Finail-Bergbauernhof. "Mein Leben bei den Trollen" ist eine satirische Liebeserklärung an das Land Südtirol und gewährt einen Blick auf eine Zeit, die längst vergangen scheint, schreibt dazu Edition Raetia, wo die Prosaskizze neu aufgelegt wurde. Wahre Satire sticht und zeigt das Unter-den-Boden-Gekehrte auf krasse Weise, wo ist sie, die nächste Südtirol-Satire?