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„Good Clothes, Fair Pay”

Eine Bürgerinitiative fordert Gesetze für faire Arbeitsbedingungen in der Kleidungsindustrie. Es brauche nicht nur Öko-Standards, sondern auch existenzsichernde Löhne.
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Foto: Fair Wear Foundation
Am 19. Juli, also vor mehr als einem Monat inmitten dieses trockenen und heißen Sommers, ist in Brüssel die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Good Clothes, Fair Pay“ gestartet. Sie fordert Rechtsvorschriften für existenzsichernde Löhne für die Menschen ein, die unsere Kleidung herstellen.
 
 
Lanciert wurde sie von der Bewegung Fashion Revolution und der Fair Wear Foundation, unterstützt von NGOs, politischen Entscheidungsträger:innen und Expert:innen für existenzsichernde Löhne. Für die einjährige Kampagne werden mindestens eine Million Unterschriften von EU-Bürger:innen benötigt, um die Europäische Kommission aufzufordern, Gesetze zu diesem Thema zu erlassen. In Italien will Fashion Revolution 71.000 Unterschriften sammeln, bis jetzt haben die EBI in der EU knapp über 20.000 Bürger:innen unterschrieben – in der EU leben insgesamt 447,7 Millionen Menschen.
Die Bürgerinitiative fordert EU-Gesetze, die Unternehmen der Kleidungsindustrie dazu verpflichten, Maßnahmen für existenzsichernde Löhne in ihren Lieferketten zu ergreifen. Marken und Einzelhändler sollen gesetzlich verpflichtet werden, die Löhne in ihren eigenen Lieferketten zu bewerten, Pläne zur Schließung der Lücke zwischen den tatsächlichen und den existenzsichernden Löhnen zu erarbeiten und ihre Fortschritte öffentlich bekannt zu geben. Die Bürgerinitiative kann auf www.goodclothesfairpay.eu unterzeichnet werden.
 

Globale Kleidungsindustrie

 
Zurzeit verdienen die meisten Menschen, die unsere Kleidung herstellen, einen Hungerlohn, während die Markenhersteller weiterhin riesige Gewinne machen. Als größter Importeur von Kleidung in der Welt und als einer der größten Verbrauchermärkte für Mode - mit einem erwarteten Umsatz von über 260 Milliarden Euro im Jahr 2022 - soll die EU gegen dieses unfaire und ausbeuterische Modell vorgehen.
 
 
Kirsten Kossen, Senior Advisor Human Rights bei der ASN Bank, die die EBI initiiert hat, und Mitglied des Bürgerausschusses der EBI, sagt: „Zu lange haben Marken versprochen, das Richtige zu tun. Meistens haben sie es nicht getan. Wir können nicht länger auf freiwillige Maßnahmen warten. Als EU-Bürger:innen haben wir die Macht, dies zu ändern und den Bekleidungsarbeiter:innen einen angemessenen Lohn für ihre harte Arbeit zu geben. Um einen echten, branchenweiten Wandel zu erreichen, müssen die Modeunternehmen zur Rechenschaft gezogen werden.“
In der EU gibt es einige Länder wie Deutschland oder Frankreich, die bereits Gesetze für die Achtung der Menschenrechte in den globalisierten Wertschöpfungsketten, ein sogenanntes Lieferkettengesetz, erlassen haben. Auch die EU hat im März 2022 im Rahmen des Green Deal eine Strategie für nachhaltige Textilien vorgestellt. Während diese EU-Verordnung bei ökologischen Kriterien durchaus punkten kann, kritisieren NGOs, dass sie wichtige Menschenrechtsaspekte vernachlässigt und den Wert der Arbeitskräfte in der Branche nicht anerkennt.
 

Armutslöhne betreffen alle

 
Die meisten der Menschen, die unsere Kleidung herstellen, verdienen keinen existenzsichernden Lohn. Die Arbeiter:innen in der Bekleidungsindustrie, meist Frauen, verdienen im Durchschnitt 45 Prozent weniger, als sie für sich und ihre Familien benötigen. Trotz zermürbender Arbeitszeiten haben die meisten von ihnen Mühe, gesunde Lebensmittel auf den Tisch zu bringen, in angemessenen Wohnungen zu leben, Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten oder sogar ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die derzeitigen gesetzlichen Mindestlöhne in der Branche, die von den Regierungen der Bekleidungsherstellerländer festgelegt werden, reichen nicht zum Leben aus.
 
 
Armutslöhne sind in der globalen Bekleidungsindustrie leider an der Tagesordnung. Die Modeindustrie beschäftigt weltweit mehrere zehn Millionen Menschen und 1,5 Millionen in der EU - die meisten von ihnen erhalten keine existenzsichernden Löhne. Die Situation hat sich durch die Covid-19-Pandemie noch verschlimmert. Hunderttausende von Arbeitnehmer:innen wurden für ihre Arbeit nicht bezahlt, als große Markenhersteller Aufträge für bereits produzierte Waren stornierten. Dies hat zu einer schweren humanitären Krise geführt, da die Arbeitnehmer:innen ohne soziales Sicherheitsnetz zurückgelassen wurden, um für Lebensmittel, Gesundheitsversorgung und Unterkunft zu sorgen.