Politik | Salto Arts

Der ästhetische (Ausnahme)zustand

Zum Auftakt möchte Salto Arts Reflexionen über unsere von anhaltender Gewalt und kriegerischen Konflikten geprägte Gegenwart anstoßen.

"Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg." - Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1935

"Perché la nostra vita e dominata dalla scontentezza, dall'angoscia, dalla paura della guerra, dalla guerra? - Pier Paolo Pasolini, La Rabbia, 1963

Hundert Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkriegs erinnern unzählige Kunstinstitutionen wie zum Beispiel das Mart in Rovereto mit einer kürzlich eröffneten Ausstellung an die sogenannte Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, ebenso nimmt das Haus der Kulturen der Welt in Berlin das Gedenkjahr zum Anlass, kriegerische Konflikte aus heutiger Sicht zu untersuchen.

Am Ende des 1.Weltkriegs befanden sich drei Viertel der Weltbevölkerung im Kriegszustand und mehr als 17 Millionen Menschen starben. Viele europäische Künstler und Intellektuelle, so auch Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Franz Marc und Georg Trakl meldeten sich freiwillig zum Dienst an der Waffe und riefen öffentlich zur Kriegsbeteiligung und -unterstützung auf. Etliche von ihnen, allen voran die italienischen Futuristen überhöhten die Kriegsmaschinerie von noch nie dagewesener Größenordnung. Nur wenige Mutige brachten ihre Abscheu zum Ausdruck. Der dezidierte Kriegsgegner und Künstler Helmut Herzfeld legte 1915 seinen deutschen Namen ab und nannte sich fortan John Heartfield. Seine Anti-Kriegs-Collagen gelten zu Recht als Meisterwerke der modernen Kunst.

Kriege geben Anlass zur Produktion von Wissen und Bildern. Der 1. Weltkrieg war in vielerlei Hinsicht ein Entwicklungssprung in der Geschichte des modernen Völkerschlachtens. Wissenschaft und Industrie steigerten gleichsam das militärische Destruktionspotential und erstmals wurden auch Fotoapparate und Filmkameras systematisch auf das Schlachtfeld gerichtet. Die Medien griffen in die Realität des Krieges ein und konstruierten diesen als visuellen Kampfplatz.

Heute ergänzt der mediale Krieg der Bilder den materiellen Krieg der Waffen. Bilder sind immer auf Prozesse des Entschlüsselns und auch erneuten Verschlüsselns angewiesen, um Bedeutung zu produzieren. Ihre Vieldeutigkeit muss reduziert und nutzbar gemacht werden. Als wichtige Katalysatoren im medialen Geschehen sprechen Kriege die künstlerische Kompetenz für das Sehen und das Sichtbare an. Indem Künstler_innen nach den Eigenschaften und Eigenheiten des visuellen Materials fragen, dieses untersuchen, kritisieren und anzweifeln, stellen sie andere Lesarten zu Verfügung. Der im Sommer verstorbene Künstler Harun Farocki hat sich in vielen seiner Werke diesen Lektüren gewidmet.

Hinsichtlich der Veränderungen in der Kriegsberichterstattung besetzt der zweite Golfkrieg eine Schlüsselposition. Noch während der Luftangriffe durch Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Januar 1991 beschreibt Paul Virilio den Wandel sozialer Wahrnehmung vermittelter und mediatisierter Konflikte:„ (...) wir sind eingetreten in die Maßlosigkeit eines neuen Krieges: der Krieg der Echtzeit, der Allsichtbarkeit, der Allgegenwärtigkeit, (...). Als erster totaler elektronischer Krieg wird der gegenwärtige Konflikt im Golf nicht mehr auf den Frontlinien eines gegebenen geografischen Horizonts ausgetragen, sondern zuallererst auf den Monitoren, den Kontrollbildschirmen von Fernsehgeräten auf der ganzen Welt.“ Auch der Euphemismus des "chirurgischen Krieges" ging aus den Fadenkreuzbildern der „Operation Desert Storm“ im Irak hervor. Sie wollten glauben lassen, ein Krieg sei nicht mehr als ein technischer Vollzug. Seitdem haben satellitengestützte Nachrichtenübertragungen, das Internet, die flächendeckende Durchsetzung von Mobiltelefonen, die von den Medien produzierten und in Umlauf gebrachten Bilder deutlich gewandelt. Bildkompetenz ist heute gefragter denn je. Militaristische Ikonographie und Pop-Kultur sind verschmolzen. Erneut schlägt die Kriegsbegeisterung hohe Wellen und zeigt sich gleichzeitig als blinder Fleck im Unverständnis gegenüber der schier endlosen Gewaltbereitschaft.

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Oskar Egger Mi., 19.11.2014 - 07:09

Die gewaltvolle Vernichtung des Gegners, an zweitletzter (niederster) Stelle in der Pyramide der Konfliktbewältigungsstrategien, gleich nach der Flucht, ein Relikt aus der frühesten Menschheitsgeschichte und Ohnegleichen im Tierreich: nie überwunden, immer anziehend und faszinierend. Ein Buch, dass dieses psychlogische Absurdum erklärt und Wege aus diesem verhägnisvollen Hamsterrad aufzeigt: "Der Krieg die Lust, der Frieden die Macht" vom leider viel zu früh verstorbenen Michael Lukas Moeller.

Mi., 19.11.2014 - 07:09 Permalink