Das Anderssein der Anderen
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Wenn über Schule gesprochen wird, dann geht es meistens um Hausaufgaben, Notendruck oder Prüfungen. Aber es gibt ein Thema, das immer wieder für Diskussionen sorgt und oft unterschätzt wird: die Kleidung von Schülerinnen und Schülern.
Mädchen kleiden sich angeblich zu freizügig mit bauchfreien Tops, engen Leggings oder kurzen Hosen. Jungs sollen zu „respektlos“ und zu „lässig“ sein - mit Kapuzenpullis, Caps oder zerrissenen Jeans. Aber wer legt das eigentlich fest, was zu viel, zu wenig oder gerade noch „angemessen“ ist?
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Schüler sagen, was sie denken
Wir reden zwar oft über Schule, lassen aber selten Schülerinnen und Schüler zu Wort kommen. SALTO ändert das mit seiner Mini-Serie Klassenkämpfe. In dieser Reihe kommen Schülerinnen und Schüler zu Wort, sprechen über ihre Hoffnungen und Ängste und auch darüber, ob es um das Schulsystem wirklich so schlecht steht, wie viele sagen.
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Eine Schule, viele Menschen, viele Stile
Ich besuche eine Landesfachschule, an der Menschen zwischen 14 und 55 Jahren lernen. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Kleidung wider. Während die jüngeren Schülerinnen oft modisch experimentieren, bevorzugen ältere Studierende meist praktische, schlichte Outfits.
An einem ganz normalen Schultag sehe ich zum Beispiel:
Eine Schülerin mit weitem Hoodie, lockerer Jogginghose und Crocs, Einen Schüler mit Hemd, Stoffhose und Sneakers, Eine Schülerin mit Crop Top und Jeansjacke, Eine erwachsene Studierende mit Bluse und Rucksack.
Niemand fällt damit negativ auf. Alle sind einfach sie selbst. Die Kleidung passt zum Typ vielleicht nicht immer perfekt zur „Norm“, aber immer zum jeweiligen Menschen.
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Unsere Autorin
Mia Nicolussi ist 17 Jahre alt und besucht die Landesfachschule für Sozialberufe Hannah Arendt in Bozen. Später möchte sie auch einen Sozialberuf ausüben.
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Kleidung = Respekt?
Ist ein bauchfreies Top tatsächlich gleichzusetzen mit Respektlosigkeit gegenüber der Lehrperson? Oder ist eine zerrissene Jeans gleichbedeutend mit mangelndem Ernst?
Zeigt sich Respekt nicht eher im Verhalten – im Tonfall, im Zuhören, im Umgang miteinander?
Ich selbst trage manchmal enge Hosen, oversized Pullover oder auch mal ein Top, das etwas Bauch zeigt- nicht, um jemanden zu provozieren, sondern weil ich mich darin wohlfühle. Für mich ist das kein Widerspruch zum Schulalltag. Ich kann mich in meinem Lieblingspulli konzentrieren, mich respektvoll verhalten und ernsthaft lernen.
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Warum keine Schuluniform?
In Ländern wie Großbritannien ist Schuluniform Pflicht. Alle tragen das Gleiche unabhängig von Herkunft, Körperform oder Stil. Das soll für Gleichheit sorgen. Aber wäre das wirklich eine Lösung?
Für mich nicht.
Ich bin 17. Ich will mich nicht verstecken. Ich will zeigen, wer ich bin, nicht laut, nicht rebellisch, aber selbstbewusst. Ich will mich morgens anziehen können, wie ich mich gerade fühle. Und ich möchte ernst genommen werden, auch dann, wenn ich Jeans trage statt Stoffhose.
Eine Schuluniform würde viele Unterschiede unsichtbar machen – aber nicht lösen. Anderssein gehört zum Leben. In der Schule sollten wir mit dem Anderssein der Anderen umzugehen lernen und es nicht „zudecken“.
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Vielfalt statt Vorschrift
Vielfalt und Diversität gehören zum Leben. Darum sollte man in der Schule das tragen dürfen, was man möchte.
Mode verändert sich. Was heute „zu freizügig“ erscheint, ist in zehn Jahren vielleicht selbstverständlich. Deshalb sollten wir nicht an starren Kleidervorstellungen festhalten, sondern uns für Offenheit und gegenseitigen Respekt starkmachen.
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Wenn immer mehr Badeorte vorschreiben, dass Einheimische und Gäste im Ortszentrum nicht in Strandbekleidung herumlaufen dürfen, dann muss es auch Schulen erlaubt sein, zu verlangen, dass Schülerinnen nicht halb nackt in der Klasse sitzen. Unter dem Deckmantel von Vielfalt und persönlicher Freiheit wird versucht zum Teil auch völlig unangemessene Bekleidung zu rechtfertigen. Manche bauchfreien Tops und Shorts haben kaum weniger Stoff als manche Bikinis und sind in einer Schule schlicht fehl am Platz. In öffentlichen Einrichtungen, wie es die Schulen sind, gilt es unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen zusammen zu bringen und keine Seite kann für sich eine absolute Handlungsfreiheit beanspruchen. Dabei trifft die freie Persönlichkeitsentfaltung der Schülerinnen und Schüler auf Grenzen, die sowohl das Verhalten im Unterricht als auch ihr Auftreten in diesem Kontext betreffen. Außer die Schule soll eine Parallelwelt zum "Leben draußen" darstellen, in der alles und jedes mit unendlicher Nachsicht behandelt wird. So wie man sich auf bestimmte Art und Weise bei Bewerbungsgesprächen, Friedhofs- oder Konzertbesuchen, vor Gericht, bei der Arbeit mit Kundenkontakt oder Parteienverkehr oder generell in bestimmten Berufen und - ja, sogar - bei Abschlussprüfungen präsentiert, so ist ein gewisses Maß an Rücksichtnahme auf Klassenkameraden und Lehrpersonen auch in der Schule angebracht und ein Zeichen, dass es nicht jeder/m nur um sich selbst und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse geht. Es gibt nun mal im Leben neben Rechten auch Pflichten, die für eine funktionierendes Zusammenleben und die Freiheit anderer erforderlich sind. Dabei ist alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit. So fände ich zerrissene Jeans unproblematisch und auch die Fußbekleidung wär mir schnurzegal. Aber sich halbnackt in einem formell arrangierten Lernsetting zu präsentieren, lässt m.E. diese Verhältnismäßigkeit vermissen, ist schlicht unangemessen, egozentrisch und rücksichtslos. Unterricht ist keine Party, kein Shoppingerlebnis und kein Chillen am Strand. Dieser Unterschied muss sich im Auftreten bemerkbar machen dürfen.
"Ich will zeigen, wer ich…
"Ich will zeigen, wer ich bin, nicht laut, nicht rebellisch, aber selbstbewusst."
Zeigt sich wer Sie sind nicht eher im Verhalten – im Tonfall, im Zuhören, im Umgang miteinander als an der Kleidung?
Zitat: “Vielfalt und…
Zitat: “Vielfalt und Diversität gehören zum Leben. Darum sollte man in der Schule das tragen dürfen, was man möchte”:
Wie schon vor kurzem, als Sie meinten, jederzeit das handy in der Schule benutzen zu dürfen, und ich darauf meinte, dass Sie dies am Arbeitsplatz auch nicht dürfen, hier derselbe Einwand:
Glauben Sie wirklich, dass Sie später am Arbeitsplatz immer “das tragen dürfen, was Sie möchten”?
Das völlig fehlende Feingefühl für das, was erlaubt (handy) und das, was angemessen ist, erscheint mir sehr unreif.
Die Schule sollte kein…
Die Schule sollte kein Laufsteg sein. Wer wirklich cool und frei sein will, der schert sich nicht um Mode. Schule sollte nicht mit Disco und Freizeit verwechselt werden. Angemessene Kleidung ist auch bei den Lehrerinnen angebracht.
Kleidung hat in erster Linie…
Kleidung hat in erster Linie funktionellen Charakter. Zu dieser Funktion gehört aber auch Repräsentation. Ich denke mein Beruf ist dafür ein gutes Beispiel: Sicher könnte ich im HC Pustertal-Hoodie und in Jogginghosen in der Ordination sitzen. Viele Patienten würden sich dann aber unwohler fühlen als wenn ich ein Hemd und eine ordentliche Hose trage, obwohl die Behandlungsqualität identisch ist. Wenn ich auf diese Befindlichkeiten Rücksicht nehme, ist das für mich kaum Aufwand, macht aber in der Wahrnehmung meiner Klienten einen positiven Unterschied.
Außerdem möchte ich zum Stichwort "Individualität" was sagen: Ich habe in keiner Weise den Eindruck, dass die junge Generation mit ihrer Kleidung "Individualität" zum Ausdruck bringt. Mein Eindruck ist eher, dass gefühlt alle dieselben Sneaker, die selben Hoodies und die selben Hosen tragen - vielleicht unterscheidet sich mal die Farbe oder die Marke, der Stil ist aber generisch und entspricht einfach der aktuellen Mode. Auch die Frisuren sind identisch.
Ich halte das also eher für eine Pseudoindividualität, die von der Konsumgesellschaft vorgegaukelt wird.