Bühne | Poetry Slam

Im Himmel wattet man immer zu viert

Genau ein Jahr nachdem im Waaghaus-Keller erstmals ein Slam über die Bühne gegangen ist, wurde der Waag X-mas Slam heuer als buntes Slamily-Familienfest begangen.
Waag Xmas Slam
Foto: SALTO
  • Bevor der eigentliche Wettbewerb begann und nachdem MC Lene Morgenstern noch einmal an die Regeln eines Poetry Slams erinnert hatte (siehe Infobox), ging außer Konkurrenz Adam Dalpiaz auf die Bühne. Der junge Slammer mit der alten Seele hat den unmotivierten, teilnahmslosen Auftritt, als würde er mit einer andauernden Depression hadern, zu seinem Markenzeichen gemacht und kam mit einem Märchen von einem verschollenen Ritter und seinem besten Freund, einem zwölfjährigen Fabrikarbeiter im Gepäck. Das Duo à la Don Quijote und Sancho Panza trifft in der humorigen Geschichte, in der es am Ende doch auch um Sex mit einer Prinzessin gehen soll, unter anderem auf den karikaturhaft überzeichneten Baron von Benko.

    Rentier (oder „renna“), was das Stichwort des Abends sein sollte, kam in der Geschichte jedenfalls keines vor. Wer es schaffte, ein Rentier irgendwie in den eigenen Text zu mogeln, der erhielt einen Extrapunkt, zusätzlich zu den von der Jury vergebenen 30 Punkten maximal. Den Slammern wurde dieses Stichwort des Abends erst vor Ort verraten, so dass sie spontan kreativ werden mussten. Unsere liebste Textanpassung des Abends dadurch, war eine „Panda mit 70 Rentierstärken“, aus der Feder Andreas Koflers.

    Durch das Los an den Anfang des Abends gereiht sah sich Ania Viero (im Titelbild), welche einen ausgesprochen persönlichen Text in italienischer Sprache mitbrachte: „Io sono Barbossa“ proklamierte sie gleich anfangs und nahm damit Bezug auf die Figur aus Disneys Piraten-Filmreihe. Wie der untote Freibeuter habe auch sie einen Apfel in der Tasche, von dem sie nichts schmecken könne, bis ein Fluch von ihr genommen werde. Viero meinte, sie habe in der Vergangenheit bereits oft gewonnen, mit Texten, die die Menschen zum Lachen bringen sollten, ohne dabei jedoch etwas zu spüren. Ania Viero reflektierte die Dynamiken auf einem Poetry Slam und die Gründe, um auf die Bühne zu gehen: Man tut es entweder für einen selbst oder für das Publikum. Viero ging an diesem Abend für sich selbst auf die Bühne und verzichtete darauf, gewertet zu werden. Auch beim Slammen geht es nicht immer um die Punkte.

    Manuel Hilber stellte sich Wettkampf und Wertung und hatte einen Text wie zu einem Song mit dabei, samt ironisiertem „Baby“, schnellem Auto und sozialer Kälte, gegen die auch ein Rentierpullover nicht schützt. Ein Text, der mit 100kmh an einem vorbei rauscht und einen eher vagen Eindruck hinterlässt. Der Text über Oberflächlichkeit und Abstand in einer Beziehung hätte ruhig weiter in die Tiefe gehen können, ein für alle Themen offenes Publikum hat es jedenfalls gegeben.

  • Filomena Hunglinger: Demonstrierte an einem Text, wie transformativ Auftritte auf der Slambühne mitunter sein können. In einem starken Startertfeld reichte es nicht für Runde 2. Foto: SALTO

    In Mission Leichtigkeit ging Filomena Hunglinger auf die Bühne, die ihren Text „Naturkata-Strophen und Verse“ in dreifacher Ausführung vortrug, um zu demonstrieren, welche Bandbreite beim Vortrag eines Slamtexts möglich ist. Nach einer relativ neutralen Vortragsweise hatte Hunglinger für ihre bewusstseinsstromhaften Verse auch noch einen Vortrag im Rapflow und schließlich auch mit stellenweise singender Wiedergabe vorbereitet, wofür es hohe Punkte gab, die knapp nicht reichen sollten, um unter die besten drei zu kommen. 

  • Auch Lena Simonetti experimentierte mit der Form ihres Textes, gewährte intime Einblicke in vergangene Momente der Zweisamkeit und schuf schöne Sprachbilder, die Nacktheit und Intimität in Metaphern der Malerei verpackten und Widerstand gegen ein fremdbestimmtes Bild von Weiblichkeit leisteten. Simonetti bestimmt selbst, wie sie sich zeigt. Dabei wechselte sie zwischen 1. und 3. Person, selbst auf der Bühne darüber reflektierend, wie sie Distanz schafft und wieder auflöst. Der nächste Text, der im Schnitt weit über einer 9 lag, aber nicht weiterkommen sollte.

    Den sich anbahnenden Trend für Offenheit und emotional verwundbare Bühnenauftritte griff Andreas Kofler auf. Manchmal sind es gerade kleine Räume, wie der vollbesetzte Waaghauskeller, in denen eine besondere Verbindung zwischen Bühne und Publikum entsteht. Kofler reflektierte in seinem Text, wie es ist, als junger Homosexueller im ländlichen Bereich aufzuwachsen und stellte die Frage: „Wo sind meine warmen Brüder?“, bevor er zu einem fiktiven Treffen in einer Dorfbar schritt, wo ein 20-Jähriger auf einen 30- und 40-Jährigen trifft. Kofler fühlte sich im „halb versoffenen Kuhdorf“ zwar „gewollt gemacht, aber nicht gewollt, wie ich bin“. Ein mutiger Text, der eigentlich auch etwas sacken hätte können.

  • Sophie Körner: Horoskope stehen bei der Slammerin nicht nur zum Jahreswechsel hoch im Kurs. Den Reiz einer Zukunft, die bereits in den Sternen steht machte sie auch für Außenstehende greifbar. Foto: SALTO

    Das Format Slam wäre aber nicht das Format Slam, wenn es nicht immer wieder radikale Themenwechsel gäbe. Sophie Körner outete sich ebenfalls, jedoch als Astrologie-Närrin. Dabei ist ihr das Sternzeichen eigentlich egal, „nur nicht Fische“. Aus dem Publikum gab es Sympathiezurufe, die für viel Gelächter sorgten, etwa ein ausgesprochen enthusiastisches „Yes, bitch!“, auf das die Slammerin selbst schmunzeln musste. Beim Sprechen über Birthcharts, Aszendenten und welche arbiträre Zuschreibung von Persönlichkeitsbildern gut zu welcher anderen passt, wird ein nachvollziehbares Bedürfnis erkennbar: Die Sterne geben Körner die Illusion, mögliche Datingpartner bereits zu kennen und ein Mindestmaß an Kontrolle über die Liebe zu haben. 30,1 Punkte dank Extrapunkt.

  • Olivia Kaufmann hatte einen „Mutmachtext“, der vor den Feiertagen noch einmal so richtig aufmuntern sollte. Dabei ist weinend im Bett mit der eigenen Depression ebenso okay wie dräuen in der Welt Erinnerungen zu sammeln. Da setzt Kaufmann, nachdem sie noch kurz bei Julia Engelmann vorbeischaut, lieber auf ein enden wollendes Glück als „Memories“ in einer Social Media Timeline. Am Ende ist sie sich sicher: Rentierkekse sind ein Rezept zum Glücklichsein und Algebra mag keiner.

    Nathan Laimer, der am selben Tag zuvor am Ende des „No Excuses“-Protestzugs gegen die sich anbahnende Koalition protestiert hatte, blieb beim Protest gegen Rechts und stellte klar: Er ist ein wütender Gutbürger, wütend auf Wutbürger. Dabei zeigte er sich weder von einem Weihnachtsmann beeindruckt, der den rechten Arm hebt, noch von Klagedrohungen. Mit dem Thema Politik traf Laimer an diesem Abend ins Schwarze und erhielt mit 31 Punkten die mögliche Höchstwertung.

  • Silva Manzardo: Von der Zwangs-WG mit dem eigenen Sohn bis zur passenden Antwort auf den eigenen Nachruf näherte sich Manzardo Themen plaudernd an und vertiefte diese dann lyrisch. Foto: SALTO

    Mit 30,2 Punkten schaffte schließlich auch die letzte Teilnehmerin im Feld den Einzug ins Rennen der besten drei. Silva Manzardo, die nach einem Kompliment aus den vorderen Reihen erstmal fragte, ob denn der Optiker verstorben sei, brachte einen Text über das neuerliche Zusammenleben mit ihrem Sohn auf die Bühne, der pandemiebedingt ins Elternhaus zurückkehrte. Auch hier waren die zentralen Werte des Abends, Offenheit und Liebe anzutreffen.Die Alltagsgeräusche und Unordnung, die ihr Sohn in der Wohnung stiftet, werden ihr fehlen, wenn er fort ist. 

  • Weihnachtsstechen

    Nachdem das Los die besten drei in die Reihenfolge Manzardo - Laimer - Körner loste, gab es nach einer kurzen Pause auch schon ein Wiedersehen mit Silva Manzardo. Diese, bekannt für ihre plaudernden Texteinleitungen, die dann oft fließend in den Vortrag übergehen, hatte einen Text zu einer der wenigen Gemeinsamkeiten ihrer Eltern miteinander dabei: Beide lieben das Lesen von Nachruf und Todesanzeigen. Manzardo stellte sich abermals dem Vortrag eines Südtiroler Dialektgedichts und malte sich aus wie Sepp unerwartet 88-jährig beim Watten vom Schlag getroffen (und froh darum), Gelegenheit erhält, auf seinen Nachruf zu antworten. Das schönste an der Sache: Im Himmel wattet man immer zu viert, was fast für den Tagessieg gereicht hätte.

  • Nathan Laimer: Von der Demo zum Slam und kein bisschen heiser überzeugte Laimer am Samstagabend auf ganzer Linie. Foto: SALTO

    Nathan Laimer kehrte mit einem Vortrag zu seiner Vaterbeziehung auf die Bühne zurück. Er thematisierte die Abwesenheit seines Vaters und die Schwierigkeiten, lediglich mit einem Ersatzvater aufzuwachsen, von der Panik beim Wachsen der ersten Schamhaare bis zum Mobbing in der Schule, weil man zu weiblich ist. Für die Saaljury war Laimer am Abend jedenfalls perfekt und es gab für den amtierenden österreichischen U-20 Champion abermals die volle Punktzahl – er gewann damit auch den Abend, auch wenn der Wettkampf selten so weit im Hintergrund stand wie am Samstag.

  • Das Stichwort Instagram fiel noch ein letztes Mal, als Sophie Körner da weitermachte, wo ihre Birthcharts stehen geblieben waren: Beim Dating und was es nun bedeutet, sich online kennenzulernen. Woher soll man nun wissen, wie sich diese „Liebe“ nun anfühlt? So viel ist sicher: Ein Instagramfoto braucht echte Liebe zum Beweis nicht zu machen. 

  • Poetry Slam - oft als „Wettlesen um die Gunst des Publikums“ beschrieben - ist ein Bühnenformat, bei welchem die Teilnehmer:innen mit selbstgeschriebenen Texten auf die Bühne gehen und diese binnen eines Zeitlimits vortragen. Gesungen darf nur auszugsweise werden, Kostüme sind keine erlaubt.