Integration und Arbeiterrechte stärken

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Beim bevorstehenden Referendum vom 8. und 9. Juni zeigen sich einige Missstände in der Regelung der direkten Demokratie in Italien in alter Frische: das reicht von der völlig unzeitgemäßen amtlichen Information zu den Themen dieser Volksabstimmung über die unzureichende Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien bis zur gezielten Nutzung des „Referendumskillers“ Beteiligungsquorum durch die Rechtsparteien. Die tristen Plakatwände und die Absenz jeglicher digitalen amtlichen Information für die Wählerschaft erinnern an die 1950er Jahre, nicht ans 21. Jahrhundert. Aber auch die jetzt darüber empörten Mittelinks-Parteien hätten in ihrer Regierungszeit Gelegenheit für Reformen an den Hürden für wirksame direkte Demokratie gehabt und haben sie nicht genutzt. So gibt es immer noch keine Volksinitiative, also die Möglichkeit für die Bürger, etwas Neues per Volksabstimmung einzuführen. Und es steht völlig auf der Kippe, ob das Quorum von 50% der Wahlberechtigten erreicht wird oder der ganze Aufwand wie so oft nutzlos war.
Vier der fünf Referendumsvorlagen, veranlasst von der CGIL, betreffen Arbeitnehmerrechte, die es zu sichern oder wiederherzustellen gilt. Die erste Vorlage betrifft das Recht auf Wiedereinstellung eines Arbeitnehmers nach einer offenkundig unbegründeten Entlassung. Hier hat das Gesetzesdekret 23/2015 (Jobs Act) eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmenden geschaffen, je nachdem ob vor oder nach dem 7. März 2015 eingestellt. Mit JA abstimmen bedeutet, das Recht auf Wiedereinstellung nach einer unrechtmäßigen Entlassung wieder herzustellen und zwar in Unternehmen mit mehr als 15 Lohnabhängigen auf für nach dem 7.3.15 Eingestellte.
Das zweite betrifft das Ausmaß der finanziellen Entschädigung, wenn eine Entlassung ohne echten Grund oder aus gerechtfertigten Motiven heraus erfolgt ist. Derzeit ist in kleinen Unternehmen (mit weniger als 16 Beschäftigten, wie mehr als 90% der Unternehmen in Südtirol) die maximale Entschädigung für eine unrechtmäßige Kündigung auf 6 bis 14 Monatsgehälter begrenzt. Diese Obergrenze soll beseitigt werden, so der Referendumsvorschlag. Stimmt die Mehrheit der Wählerschaft mit JA, also für die Abschaffung dieses Artikels, kann ein Richter die Entschädigung je nach Einzelfall bemessen, also auch eine höhere Entschädigung in Kleinbetrieben verfügen. Zu dieser Frage wird demnächst auch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs erwartet.
Das dritte Referendum betrifft den befristeten Arbeitsvertrag. War diese Art von Arbeitsvertrag früher mal die Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt, so ist sie heute weitgehend durch andere Verträge mit Befristung verdrängt worden, wie Arbeit auf Abruf, Projektarbeit, Lehrverträge, Arbeitskräfteüberlassung. Bei einem JA beim Referendum werden Arbeitgeber verpflichtet, einen triftigen Grund für befristete Einstellungen von weniger als 12 Monaten anzugeben. Das wird Arbeitnehmende vor andauernder Prekarität bei der Arbeit besser schützen.
Die vierte Referendumsvorlage ist eher technischer Natur. Derzeit ist die Haftung des Auftraggebers (z. B. eines großen Unternehmens) bei Arbeitsunfällen aufgrund von Sicherheitsmängeln bei einer Auftragsvergabe nur auf „allgemeine“ Risiken beschränkt und nicht auf „spezifische“ Risiken des Auftragnehmers. Die Vorlage zielt darauf ab, den Auftraggeber immer haftbar zu machen, damit von einem Unfall betroffene Arbeitnehmer eine direkte Entschädigung erhalten können. Mit einem JA beim Referendum würde die Sicherheit am Arbeitsplatz erheblich gefördert. Wenn einem Arbeitnehmerrechte am Herzen liegen, kann man bei allen vier Fragen getrost mit JA stimmen.
Komplexer ist die Geschichte bei der Referendumsvorlage Nr.5, die von einigen Vereinen und Parteien wie +Europa und den Radikalen vorgelegt worden ist. Die zentrale Voraussetzung für die Einbürgerung – die Dauer der legalen Ansässigkeit – soll von heute 10 auf 5 Jahre halbiert werden, wie bis 1992 gültig. In der Praxis vergehen heute einschließlich des Verwaltungsverfahrens mindestens 12-13 Jahre, bis ein Ausländer in Italien zum Staatsbürger wird. Damit würde Italien sich der geltenden Regelung in Deutschland, Frankreich, dem VK, Belgien, Schweden angleichen. Laut Schätzungen (IDOS) könnten sich dann über 1,42 Millionen seit über 5 Jahren legal ansässige Ausländer sofort einbürgern lassen, mehr als ein Viertel der heute in Italien lebenden Ausländer. Das würde ihnen den Zugang zu einer Reihe von weiteren Rechten öffnen, wie z.B. den Zugang zum öffentlichen Dienst und zum Wahlrecht, und würde ihre Integration in die Gesellschaft fördern. Laut MIPEX steht Italien bei der Integration von Migranten im europäischen Vergleich nicht so schlecht da, hat aber gerade bei der Einbürgerung relativ hohe Hürden aufgebaut.
Auch mit Blick auf die Zukunft muss Italien ein Interesse an der Stabilisierung regulärer Zuwanderer, vor allem der Fachkräfte, haben. Zum einen, weil seine Gesamtbevölkerung bereits sinkt und damit auch die Zahl der Erwerbsfähigen. Zum anderen weil Italien bei der Zuwanderung in Wettbewerb mit anderen EU-Ländern um integrationsbereite und leistungswillige Migrantinnen steht und auch der zweiten Generation eine Heimat und klare Perspektive bieten muss. Die erleichterte Einbürgerung von legal ansässigen Zugewanderten würde Italien nicht dran hindern, gegen die irreguläre Migration strenger vorzugehen.