Umwelt | Ankündigung

EU will Gentechnik-Regeln lockern

Resistent gegen Hitze und Krankheiten: Das versprechen neue Züchtungsverfahren mit der Genschere. Expert*innen diskutieren die Sachlage am Sonntag in Völs.
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Foto: Waldemar / Unsplash
  • Die Europäische Union (EU) will ihre strenge Gesetzeslage zur Gentechnik lockern, um mehr Nahrungssicherheit und einen nachhaltigeren Anbau zu gewährleisten. Was bei Forschungseinrichtungen und Unternehmen für Begeisterung sorgen dürfte, wird bei der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament, bei der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch oder beim deutschen Bundesamt für Naturschutz kritisch beäugt.

    Die Wissenschaft drängte in den letzten Jahren in Europa darauf, nicht etwas grundsätzlich zu verbieten, sondern den Gebrauch zu regulieren.

    Auch bei der Südtiroler Bioland-Genossenschaft will man sich die Pläne der EU-Kommission bezüglich grüner Gentechnik genauer anschauen. Deshalb organisiert Bioland in Kooperation mit der Verbraucherzentrale, dem Dachverband für Natur- und Umweltschutz, dem Heimatpflegeverband und der Arbeitsgemeinschaft für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise am Sonntag, den 1. Oktober, eine Podiumsdiskussion am Stanglerhof in Völs.

    Es werden der Präsident von Bioland e.V. Jan Plagge, SVP-Europaparlamentarier Herbert Dorfmann, Hannes Schuler (Professor an der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften Uni Bozen), Eva Gelinsky (Koordinatorin Interessensgemeinschaft gentechnikfreie Saatgutarbeit) und Thomas Letschka (Leiter der Arbeitsgruppe Züchtungsgenomik am Versuchszentrum Laimburg) mit Hanno Mayr und Anja Matscher (Moderation) diskutieren.

    Mit Letschka vom Versuchszentrum Laimburg hat salto.bz im Vorfeld der Veranstaltung gesprochen. „Der neue Gesetzesentwurf der EU betrifft nicht die herkömmlichen Technologien der grünen Gentechnik, sondern die neue sogenannte Genschere, auch unter dem Fachbegriff CRISPR/Cas oder Genome Editing bekannt“, stellt der Molekularbiologe klar. Also sollen in Europa wie bisher für herkömmliche Verfahren der Gentechnik weiterhin dieselben strengen Auflagen gelten.

  • Die Genschere

    Im Vergleich zu den „alten“ bereits bekannten Methoden habe die Anwendung der Genschere für den Anwendungsbereich der Landwirtschaft gleich vier Vorteile: „Erstens werden bei dieser Züchtungsmethode keine Artgrenzen überschritten. In der herkömmlichen Gentechnik werden beispielsweise Fischgene in eine Tomate eingesetzt, um deren Qualitätsmerkmale und Haltbarkeit zu verbessern, obwohl diese beiden Arten sich in der Natur nie von alleine kreuzen würden.“

    Zweitens bestehe bei der Anwendung der Genschere nicht das Risiko, das Erbgut versehentlich zu beschädigen, was bei herkömmlichen Verfahren nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Drittens werden bei der grünen Gentechnik mitunter antiobiotikaresistente Markergene eingebaut, was einen weiteren Kritikpunkt der Gegnerschaft von Gentechnik darstellt. „Der Verzehr von antibiotikaresistenten Lebensmitteln ist insofern bedenklich, da Antibiotika sparsam angewandt werden soll, um Antiobitikaresistenzen zu vermeiden.“

  • Thomas Letschka: „Bereits heute sind viele Gebiete der Welt durch den Klimawandel von erhöhter Hitze und Wassermangel betroffen, das kann zu Ernteausfällen und Hunger führen.“ Foto: Ivo Corra
  • Bei der klassischen Gentechnik wird viertens kritisiert, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht auf natürliche Weise hätten entstehen können, etwa die Tomate mit Fischgen oder auch eine herbizidresistente Baumwollpflanze. Werden Pflanzen hingegen mit der Genschere verändert, kommt das tatsächlich einer natürlichen Mutation gleich, auf die man auch hätte warten können, bis sich die Pflanze einer bestimmten Art im eigenen Garten irgendwann zufällig genauso verändert wie gewünscht. „Damit fallen vier wichtige Kritikpunkte der klassischen Gentechnik weg“, sagt Letschka. „Ob eine Mutation von alleine stattgefunden hat oder induziert wurde, das Risiko ist in beiden Fällen dasselbe.“

    Aus regulativer Sicht sei allerdings anzumerken, dass eine natürlich mutierte Pflanze und deren Frucht von einer mithilfe der Genschere gezüchteten nicht unterscheidbar ist. „Deshalb investiert die Forschung derzeit in Verfahren, um diese Pflanzen im Labor erkennbar zu machen. Denn ohne die Möglichkeit eines Nachweises ist auch eine Regulierung unmöglich. Damit einher geht auch die Patentierung von gentechnischen Verfahren, ohne welche sich die Investitionen für die Züchtung nicht rentieren“, so Letschka.

    Die EU-Kommission verweist hier auf die wirtschaftliche Bedeutung des europäischen Saatgutsektors: Dieser wird nicht nur von Großkonzernen wie Bayer, Syngenta und Corteva beherrscht, sondern dort können auch rund 7.000 kleinere und mittlere Unternehmen bestehen. Laut EU-Kommission bedienen die europäischen Pflanzenzüchter*innen derzeit 20 Prozent des Weltmarktes für Saatgut mit einem geschätzten Wert von sieben bis zehn Milliarden Euro.

  • Anwendung

    CRISPR/Cas-Verfahren werden bereits im asisatischen und amerikanischen Raum kommerziell genutzt, beispielsweise um Bräuneflecken bei Salat zu verhindern oder Tomaten noch gesünder zu machen. Für Letschka liegt in der Genschere aber besonders das Potenzial, Pflanzen zu züchten, die gegen Hitze, Trockenheit und Krankheiten resistenter sind als heute. Gelungen sei das etwa bei einer Orangenart, die nun gegen die bakterielle Krankheit Zitronenkrebs resistent reagiert. Damit sinke auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

    „Bereits heute sind viele Gebiete der Welt durch den Klimawandel von erhöhter Hitze und Wassermangel betroffen, das kann zu Ernteausfällen und Hunger führen“, erklärt Letschka. „Deshalb braucht es neue, angepasste Sorten“, so der Landwirtschaftsexperte.

  • Neues Züchtungsverfahren: Die Genschere wird in Asien und Amerika bereits kommerziell genutzt. Foto: Julian Hochgesang / Unsplash
  • Zurück zu den Kritiker*innen der EU-Pläne in der grünen Gentechnik: Sie befürchten unter anderem fehlende Transparenz und einen wachsenden Einfluss von Agrarkonzernen durch die Sicherung von Patenten. In der Vergangenheit wurden mithilfe klassischer Gentechnik vor allem herbizidresistente Sorten gezüchtet. Um aber einen Vorteil daraus zu schlagen, müssen landwirtschaftliche Betriebe Herbizide gegen Unkraut einsetzen. „Wenn man dann darüber spritzt, stirbt das ganze Unkraut, aber die Nutzpflanze nicht. Vor allem Monsanto entwickelte damals nicht nur die herbizidresistenten Pflanzen, sondern auch das Herbizid selbst. Damit hat der Agrarkonzern praktisch ein Negativbeispiel geliefert, wie es nicht laufen soll“, sagt Letschka.

    Deshalb warnt er davor, mithilfe der Genschere herbizidresistente Pflanzen zu züchten. „Im Entwurf der EU-Kommission wird ausdrücklich festgehalten, dass das neue Verfahren der Gentechnik CRISPR/Cas dazu beitragen soll, die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen und an den Klimawandel anzupassen“, so Letschka. „Die Wissenschaft drängte in den letzten Jahren in Europa darauf, nicht etwas grundsätzlich zu verbieten, sondern den Gebrauch zu regulieren.“ Damit soll das Potenzial der Genschere genutzt und der Missbrauch dieser neuen Technologie eingeschränkt werden. Ob das der EU-Kommission mit dem neuen Entwurf zur grünen Gentechnik gelungen ist, können Sie am Sonntag, den 1. Oktober, um 14 Uhr am Stanglerhof in Völs diskutieren.

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Dietmar Nußbaumer Fr., 29.09.2023 - 21:18

Mit Cis-Genetik könnten Kulturpflanzen widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge "gemacht" werden (Gene werden innerhalb der Art oder evt. Gattung transferiert). Dagegen wäre wohl kaum etwas auszusetzen (sollten noch Marker nötig sein, kommt es darauf an, wie die gewählt werden, mein Wissensstand hinkt 30 Jahre nach). Trans-Genetik (Austausch von Genen "quer durchs Gemüsebeet") sehe ich prinzipiell skeptisch (Herbizidresistenz aus Bakterien im Genmais oder Bt-toxin ebenfalls im Genmais, ich mag beides nicht in meinem Plent haben). Auch die Abhängigkeit von Konzernen ist bedenklich. Diese Forschung sollte von Unis übernommen werden (die BoKu Wien z.B. ist da nicht schlecht aufgestellt, aber sicher auch andere Institute).

Fr., 29.09.2023 - 21:18 Permalink