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„Es wäre in Simon's Sinn“

Andreas Anegg, Vizebürgermeister von Kurtatsch und Vater von Simon Anegg (1994-2023), dem vormaligen Präsidenten des „Jugendzentrums Westcoast“, bezieht Stellung zur Situation um den Verein, der auf der Kippe steht, weil der Support der Gemeinden fehlt.
Das „Jugendzentrum Westcoast“ war im Laufe der Jahre für zahlreiche Veranstaltungen in den Gemeinden Kurtatsch, Margreid, Kurtinig verantwortlich.
Foto: Lukas Pedrotti / Jugendzentrum Westcoast
  • Der Kontext:

    Seit Mitte Oktober tickt die Uhr für den Verein „Jugendzentrum Westcoast – Kurtatsch, Margreid, Kurtinig EO“. Vorstandsmitglieder des Vereins und die drei Bürgermeister jener Gemeinden, in denen der Verein seit 14 Jahren aktiv ist, haben sich mit Amtsdirektor Konrad Pamer im Amt für Jugendarbeit Bozen zum „Runden Tisch“ getroffen. Der Grund: Während „Westcoast“ seit Jahren Eigenständigkeit anstrebt, wünschen sich die Gemeinden wieder eine konkrete Bindung an den Jugenddienst Unterland. Die Gemeinderäte sollten das Thema diskutieren und dann die Entscheidung fällen. 

    Der „Westcoast“-Vorstand schnürte darauf hin ein kleines Paket an digitalen Dokumenten, die die Gemeinderäte über die Tätigkeiten informierten, darunter das Leitbild, das vor wenigen Jahren vom Verein zu ihrer übergemeindlichen Jugendarbeit erarbeitet worden war und ein erklärendes Informationsschreiben der Vizepräsidentin und derzeitigen gesetzlichen Vertreterin Edith Zemmer (beide Dokumente befinden sich am Ende des Artikels). Mit dabei – und ebenfalls im Anhang nachzulesen –  ein Text von Hans Fischer, der als Jugendlicher zu „Westcoast“ kam und mittlerweile als Vorstandsmitglied aktiv (und ehrenamtlich) mitarbeitet.

    Auf dieses Informationspaket nimmt Andreas Anegg im folgenden Text Bezug, einem Text, in dem er zur Situation Stellung bezieht. Anegg ist Vizebürgermeister und Vater von Simon Anegg, der seinerseits dem Verein als Präsident vorstand, bis er am 19. Jänner 2023, freiwillig aus dem Leben schied.

    Während die Gemeinderäte von Kurtatsch und Margreid das Thema noch diskutieren müssen, hat der Gemeindeausschuss von Kurtinig bereits entschieden und zwar gegen die Eigenständigkeit von „Westcoast“.

     

  • Die Reaktion von Andreas Anegg, Vizebürgermeister Kurtatsch

    Geschätzte Bürgermeister, Bürgermeisterstellvertreterinnen, Referentinnen und Referenten der Gemeinden Kurtinig, Margreid und Kurtatsch
    Jugendzentrum Westcoast
    Jugenddienst Neumarkt


    Vorgestern hat die Gemeinde Kurtatsch den Gemeinderäten das Schreiben von Westcoast samt Anhängen zur Kenntnis gebracht, so wie es der Wunsch von Westcoast war.

    Bei mir hat dieses Schreiben wie eine Bombe eingeschlagen. Es hat mich sehr betroffen gemacht und noch frische Wunden aufs Neue aufgerissen. Seien wir einmal ganz ehrlich: inhaltlich kann man diesem Schreiben und ganz besonders dem beigelegten Brief von Hans Fischer kaum etwas entgegenhalten.

    Ist es eigentlich doch ganz normal, dass jeder Dorfverein von der eigenen Gemeinde unterstützt wird, sei es finanziell und noch viel mehr ideell, war es bei Westcoast schon immer anders. Alles wird in Frage gestellt, gering geschätzt, hinterfragt, kritisiert, Sitzungstermine nacheinander verschoben und abgesagt, Personalkosten deren Finanzierung komplett in Schwebe sind, haufenweise ignorierte Telefonanrufe, von Rückruf keine Rede. Dazu noch 2 Jahre Corona, wo eine halbwegs normale Tätigkeit kaum möglich war, der Neustart danach, wie für alle Vereine, eine Herkulesaufgabe. Als Sahnehäubchen darauf noch der jahrelang offen ausgetragene Streit zwischen Edith Zemmer (seit langen Jahren im Vorstand des Vereins, Anm.d.Red.) und Manfred Mayr (Bürgermeister von Kurtinig, Anm.d.Red.). Und dazwischen mittendrin der Präsident. Ja, freilich, Simon hätte auch anders aus dieser Situation aussteigen können. Er hätte einfach alles hinschmeißen sollen. Er hat einen anderen Weg gewählt.

    „Welchem anderen Dorfverein, von der Bauernjugend über den Sportverein bis hin zu den Krampussen, (...) würde da vonseiten der Gemeinde drein geredet werden? Was ist bei Westcoast so viel anders, was ist da der Unterschied?“

    Und jetzt soll entschieden werden, wie es weitergehen soll: in Eigenständigkeit, so wie es sich die ehrenamtlichen Verantwortlichen von Westcoast wünschen und vorstellen – oder eben nicht. Was spricht eigentlich dagegen? Welchem anderen Dorfverein, von der Bauernjugend über den Sportverein bis hin zu den Krampussen, den Alpini, der Feuerwehr, der Musikkapelle oder dem Kirchenchor, würde da vonseiten der Gemeinde drein geredet werden? Was ist bei Westcoast so viel anders, was ist da der Unterschied? Sollte eine Gemeinde, immer im Rahmen der Möglichkeiten, nicht hinter jedem Verein stehen, ihm zur Seite stehen und ihn unterstützen so gut es geht? Wie bei jedem anderen Verein gibt es auch bei Westcoast viele junge Leute, die ehrenamtlich, unermüdlich und mit ganz viel Herzblut ihr Bestes geben.

    „Sollte eine Gemeinde nicht hinter jedem Verein stehen, ihm zur Seite stehen und ihn unterstützen so gut es geht?“

    Sollten nicht alle Beteiligten einmal kurz den Atem anhalten und sich besinnen, um was es hier eigentlich geht und ob es wert ist, diesen regelrechten Glaubenskrieg weiterzuführen. Oder glaubt ihr nicht, es ist an der Zeit, dass alle ein paar Schritte aufeinander zugehen, um es noch einmal zu versuchen? Mit Wertschätzung, gegenseitigem längerfristigen Vertrauen, Respekt, ohne von Vornherein alles anzuzweifeln und in Frage zu stellen.

    Allein, es zuzulassen, teilnahmslos Beobachten und beim ersten Fehler mit erhobenem Zeigefinger zu sagen „ich hab’s ja immer schon gewusst“, das wäre jedenfalls zu wenig.

    Für Simon käme dies alles zu spät, aber es wäre in seinem Sinne.

    Andreas Anegg

  • Simon Anegg, Präsident des Vereins Jugendzentrum Westcoast – Kurtatsch, Margreid, Kurtinig: Verstorben am Donnerstag, 19. Jänner 2023, im Alter von nur 28 Jahren. Foto: Barbara Klecha
  • Anhang 1: Informationsschreiben an die Gemeinderäte von Kurtatsch, Margreid, Kurtinig (Edith Zemmer, Vizepräsidentin des „Jugendzentrums Westcoast“)

    Betreff: Entscheidung über Offene Jugendarbeit in den Gemeinden Kurtatsch, Margreid und Kurtinig

    Sehr geehrte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, Referentinnnen und Referenten, Bürgermeister,

    in der nächsten Gemeinderatssitzung steht für die Jugend in Euren Gemeinden eine wichtige Entscheidung an, deren Ausmaß vielleicht einigen nicht bewusst ist.

    Um Euch in dieser Entscheidung zu unterstützen, stellen wir mit vorliegendem Schreiben einige wichtige Informationen zur Offenen Jugendarbeit zur Verfügung, und wie das Jugendzentrum Westcoast EO diese in Euren Gemeinden umsetzt.

    Das Jugendzentrum Westcoast wurde 2009 als Zusammenschluss der Jugendvereine Joker (Kurtatsch), JuMa (Margreid) und Delta (Kurtinig) gegründet, um die ehrenamtliche Tätigkeit der knapp volljährigen Jugendlichen in all ihrer Komplexität durch einen hauptamtlichen Mitarbeiter zu begleiten. Gleichzeitig wurde ein einzigartiges Vereinskonzept geschaffen, das die Offene Jugendarbeit in den Mittelpunkt stellt und den Jugendlichen die Möglichkeit gibt, sich einzubringen, ohne dabei vom vollen Verwaltungsumfang, den die Führung eines ehrenamtlichen Vereins mit sich bringt, „erdrückt“ zu werden.

    Hierzu wurden 3 Säulen errichtet:

    1. ein Vorstand, bestehend aus Volljährigen, der sich um die Verwaltung, Finanzierung und Durchführbarkeit der Projekte und Tätigkeiten kümmert,
    2. Arbeits- und Projektgruppen, bestehend aus Jugendlichen / Vorstandsmitgliedern / Interessierten, die sich nach persönlichem Interesse und zeitlicher Verfügbarkeit zu den gemeinsam gewählten Themen einbringen können, z.B. zusätzliche Öffnungszeiten der Jugendräume anbieten, Konzertveranstaltungen, Beachvolley, Skate..
    3. Hauptamtliche Mitarbeiter*innen als Verbindsglied zwischen den einzelnen Gruppen und dem Vorstand und als Konstante zu den Jugendlichen.

    Diese drei Säulen greifen ineinander. Eine stützt die andere, wobei jede einzelne sich den äußeren Umständen anpassen kann, ohne die anderen umzustützen.

    Gearbeitet wurde nach dem Prinzip der „Offenen Jugendarbeit“: Stets auf Augenhöhe und auf Basis der Prinzipien der Subsidiarität und Offenheit in Bezug auf Mitsprache, Mitgestaltung und Mitbestimmung junger Menschen, nachlesbar in unserem Leitbild, das dem vorliegenden Schreiben beigelegt ist.

    Die Bürgermeister der Gemeinden, in erster Linie der Bürgermeister der Gemeinde Margreid, möchten nun die Jugendarbeiter*innen vom Verein Westcoast EO lösen und beim Jugenddienst Unterland ansiedeln, somit die Führung der Jugendräume an Letzteren übergeben.

    Somit bricht die dritte Säule für den Verein – die Säule, die für die anderen beiden der Kitt ist und die Funktionalität garantiert – weg.

    Uns bliebe die Möglichkeit, Projektarbeit zu betreiben, wobei die Finanzierung der einzelnen Projekte bei jeder einzelnen Idee neu zu klären wäre. Die hauptsächlich durch das Landesamt für Jugendabeit finanzierte ordentliche Tätigkeit mit den Personalkosten, aber auch mit sämtlichen laufend anfallenden Spesen, würde für unseren Verein wegfallen.

    An dieser Stelle bitte ich Euch eindringlich, das beiliegende Schreiben unseres Vorstandsmitglieds Hans Fischer zu lesen, das einen guten Einblick ins Innere des Vereins und der Vorstandsmitglieder gibt und vor allem das Zwischenmenschliche unseres Vereins verdeutlicht.

    Ohne uns gegenüber Zahlen nennen zu können, begründen die Bürgermeister ihren Vorschlag zur Umschichtung der Jugendarbeiter*innen mit der Möglichkeit einer finanziellen Optimierung. Um Euch eine realistische wirtschaftliche Bezifferung zu ermöglichen, möchten wir daher wie folgt einige Zahlen nennen:

    a)  Das Jugendzentrum Westcoast EO verfügt über 1,5 Vollzeitstellen von Jugendarbeiter*innen, d.h. Jugendarbeiterin Barbara Klecha in Vollzeit, die sowohl ausgebildetete Sozialarbeiterin als auch Sozial- und Erlebnispädagogin ist, und Jugendarbeiter Patrick Sanin, der in Halbzeitstelle angestellt ist und sich noch im Studiumgang der Sozialpädagogik befindet.

    b)  Die Anstellungen sind, wie sämtliche Jugendarbeiter*innen Südtirols (auch jene des Jugenddienstes), über den Kollektivvertrag Handel geregelt und werden vom Lohnbüro des HDS (Handels- und Dienstleistungsverband Südtirol) wie für sämtliche weiteren Jugendorganisationen abgewickelt. Ein Wechsel der Jugendarbeiter*innen zu einem anderen Arbeitgeber würde somit in diesem Bereich KEINE Einsparungen mit sich bringen - ganz im Gegenteil, der Wechsel selbst bringt Kosten von einigen Hundert Euro mit sich.

    c)  Das Jugendzentrum Westcoast EO bearbeitet die Kontrolle und Übermittlung der Mitarbeiter*innenstunden und sonstigen Spesen ehrenamtlich, also für die Gemeinden unentgeltlich. Andere Jugendorganisationen, wie z.B. der Jugenddienst Unterland beschäftigt hierzu Verwaltungspersonal, das ins durch öffentliche Gelder finanzierte Jahresbudget einfließt. Aus den Gemeindebeschlüssen der Vorjahre ergibt sich, dass die Mitarbeiter*innen von Westcoast von 2009 bis 2021 beim Jugenddienst Unterland angestellt waren, unser Verein aber die inhaltliche Weisung hatte. Diese „Zweigleisigkeit“ hat über den gesamten Verlauf der Zusammenarbeit immer wieder zu Konflikten und Spannungen geführt, bis der Jugenddienst diese Konstellation aufgekündigt hat und als gemeinsame Lösung die direkte Anstellung der Mitarbeiter*innen bei Westcoast vereinbart wurde.

    d)  Im Zuge der Diskussionen haben wir sowohl den Arbeitsfluss unserer Mitarbeiter*innen, als auch jenen der Ehrenamtlichen analysiert. Die entsprechende Unterlage befindet sich im Anhang zum vorliegenden Schreiben. Wie daraus hervorgeht, bringt die ehrenamtliche Tätigkeit einen Einsatz von weiteren 1,5 Vollzeitstellen mit sich. Diese Zahl hat selbst mich beeindruckt und mit großem Stolz erfüllt. An dieser Stelle möchte ich daher einen großen Dank an meine Kolleg*innen im Vorstand schicken, aber auch allen Vorgänger*innen, Unterstützer*innen und Mitarbeiter*innen!

    Weiters legen wir den Gemeinden und den Mitgliedern bereits übermittelte Tätigkeitsberichte und -vorschauen bei, aus denen hervorgeht, wieviel Engagement unser ehrenamtliche Verein mit Unterstützung der hauptamtlichen Mitarbeiter*innen in den drei Gemeinden geleistet hat.

    Dazu ein wichtiger Hinweis: Unsere Mitglieder sind Jugendliche, junge Erwachsene und Jugendinteressierte, die sich aufgrund von Aktionen, Aktivitäten und Interessen jährlich bei uns einschreiben - Mitglieder des Jugenddienstes Unterland sind hingegen die Gemeinden und Pfarrgemeinden des Unterlands.

    Wir sind nicht auf der Suche nach Anerkennung: uns geht es um Offene Jugendarbeit und um gegenseitigen Respekt. Wir setzen uns für die Jugendlichen ein, weil es uns darum geht, auch jenen einen Raum zu bieten, die sich sonst nicht zugehörig fühlen, wo sie auf Augenhöhe wahrgenommen werden können.

    Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Jugendlichen, die unsere Strukturen und Veranstaltungen gelebt haben, in den mittlerweile 14 Jahren unserer Vereinstätigkeit den respektvollen Umgang miteinander nahebringen und mit auf ihren Weg geben konnten.

    Wir haben versucht, den Jugendlichen in dieser kurzlebigen Zeit eine Konstante zu sein und waren für die verschiedenen Institutionen und Sozialstellen immer ein kompetenter Ansprechpartner. Dafür sprechen die langjährigen Arbeitsverhältnisse mit unseren Mitarbeiter*innen, der gute Ruf des Jugendzentrums Westcoast EO bei Jugendorganisationen, Sprengel und den Schulen, sowie die Tatsache, dass unser Konzept europaweit vom Dachverband für die Offene Jugendarbeit in Südtirol als Vorzeigemodell angepriesen wird.

    Jugendarbeit wird immer komplexer, zumal sie Spiegel unserer Gesellschaft ist, nur Radikaler und Extremer, da die Jugendlichen durch ihr Auseinandersetzen mit derselben erst zu sich selbst finden (sollen).

    Es ist bedauerlich, dass unsere Bemühungen vor allem bei den uns mitfinanzierenden Stellen, den Gemeinden, dennoch nicht sichtbar zu sein scheinen.

    Somit verbleibt mir nur ein tiefer Dank und großer Respekt für die Unterstützer*innen der Offenen Jugendarbeit und für all jene, die für die Jugend eintreten, und die Hoffnung/der Wunsch, dass es der Jugend von Kurtatsch, Margreid und Kurtinig gut ergeht.

    Kurtatsch, Margreid, Kurtinig, 16. Oktober 2023

    Dr.Ing. Arch. Edith Zemmer

    Vizepräsidentin und derzeitige gesetzliche Vertreterin des Jugendzentrum Westcoast EO in Vertretung des gesamten Vorstands und des Teams.

  • Anhang 2: Schreiben von Hans Fischer (Vorstandsmitglied „Jugendzentrum Westcoast“)

    Lieber Vorstand,

    Im Jugendtreff Joker in Kurtatsch habe ich damals den Ort gefunden, der mir das gab, was mir fehlte. Ein Ort, wo ich ohne Zwang und ohne Druck Jugendlicher sein konnte. Erst als Besucher und dann auch als Mitglied einer Arbeitsgruppe, eine Gruppe bestehend aus Jugendlichen, die selbst ihren Jugendtreff mitgestalten und verändern konnten. Gerade diese Freiheit und die Verantwortung, die wir übernehmen mussten, war es, was diesen Jugendtreff ausmachte, und das Konzept kam offenbar nicht nur in Kurtatsch gut an. Westcoast wurde der Verein genannt, ein Verein entstanden aus ehrenamtlich tätigen Jugendlichen aus Kurtatsch, Margreid und Kurtinig, ein Zusammenschluss aus den alten Treffs mit einem gemeinsam Ziel: eine Alternative zu bieten, eine Alternative zu den bestehenden Vereinen, in denen man sich als Jugendlicher entfalten kann, eine Alternative deshalb, weil sich nicht alle in den bestehenden Strukturen wohlfühlen und weil viele auch zusätzlich noch einen Ort suchen, an dem sie zwanglos sie selbst sein können. Wir wurden nicht ständig überwacht, es gab kein Programm, dem zu folgen war, keine Voraussetzungen, die gefordert waren, wir konnten selbst Veranstaltungen und Treffen organisieren, nicht von oben herab kontrolliert, sondern eigenständig und auf Augenhöhe mit jenen Jugendlichen, die schon mehr Erfahrung hatten. Diese Freiheiten legten manchmal auch Probleme offen, aber das gemeinsame Lösen dieser Probleme war ein genauso wichtiger Teil dieses Konzeptes. Ein Konzept, das in mancher Hinsicht im Gegensatz steht, zu dem des Jugenddienstes, weswegen die Kooperation von Anfang an mit Schwierigkeiten verbunden war.

    Der Verein war damals noch jung und verständlicherweise fehlte noch das Vertrauen, dem Vorstand die Anstellung eines Jugendarbeiters selbst zu überlassen, und so wurde eine Konvention geschaffen, ein oft als Übergangslösung bezeichneter Kompromiss. Es war etwas mit dem man arbeiten konnte, um zu beweisen, dass dieser Verein der Verantwortung gewachsen ist und ganz offiziell und auch langfristig der Träger der offenen Jugendarbeit sein kann. Der Verein ist gewachsen und hat sich entwickelt, es wurden Leitbilder erstellt um das Konzept, dem wir folgen wollten, besser zu verinnerlichen und auch um es besser präsentieren zu können. Wir haben gelernt, auf uns selbst zu vertrauen und festgefahrene Dogmen unserer Gesellschaft in Frage zu stellen, nicht immer dem Weg folgen zu müssen, der uns vorgegeben wird, sondern eigene Wege zu gehen.

    Und trotz des Erfolgs und der vielen Tätigkeiten und Veranstaltungen, die nun organisiert wurden und von denen die gesamte Bevölkerung profitierte, wurde dem Verein dieses Vertrauen nie entgegengebracht, im Gegenteil, wir mussten immer kämpfen, uns ständig rechtfertigen und egal wie viele Ergebnisse präsentiert werden konnten, es hat nie gereicht. Dies soll nicht heißen, dass wir grundsätzlich unzufrieden waren.

    „Entweder sollte sich der Verein dem Jugenddienst unterordnen bzw. Teil davon werden oder aber wir wagen den Schritt in die Selbstständigkeit, was die Anstellung der Jugendarbeiter anging.“

    Die Konvention, wenn auch viele Male erneuert und verändert, funktionierte und als eine zusätzliche Halbtagsstelle zur Verfügung gestellt wurde, konnte noch mehr und noch besser gearbeitet werden. Dann jedoch kam der Moment als es nicht mehr so weiter gehen sollte. Der Jugenddienst wollte die Konvention nicht mehr verlängern und in dem darauffolgenden Strukturprozess, in welchem viele ehrenamtliche Stunden dazu aufgebracht wurden, um eine Lösung zu finden, wurde schnell klar, dass es nur 2 Möglichkeiten gab, um unsere Jugendarbeit auch weiterhin zu behalten: Entweder sollte sich der Verein dem Jugenddienst unterordnen bzw. Teil davon werden oder aber wir wagen den Schritt in die Selbstständigkeit, was die Anstellung der Jugendarbeiter anging.

    Dies jedoch stand nicht in unserer Macht, denn die Finanzierung der Jugendarbeiter kommt zum Teil von den Gemeinden. Nach so vielen Jahren der Tätigkeit in den Gemeinden, nach so vielen Aufgaben, die übernommen wurden, nach so vielen Veranstaltungen, Öffnungszeiten, Gesprächen, Filmvorstellungen, Tanzabenden, Konzerten, Kochabenden, nach so viel ehrenamtlicher Tätigkeit war nun der Moment gekommen, für die Gemeinden diese Entscheidung zu treffen, die vor vielen Jahren als Kompromisslösung vertagt wurde. Wird dem Verein das Vertrauen nun entgegengebracht als offizieller Träger der offenen Jugendarbeit in den Gemeinden zu dienen? Anfangs sah es fast danach aus. Ich erinnere mich gut an das Treffen mit den 3 Bürgermeistern: immer noch skeptisch, immer noch nicht sicher, was offene Jugendarbeit überhaupt ist, nichtsdestotrotz wurde ein Versuch gestartet.

    Was folgte, war eine Frechheit, wie ich sie persönlich noch nicht erlebt habe. Trotz, dass weiterhin einwandfreie Arbeit von unseren Mitarbeitern geleistet wurde, trotz dass nun noch mehr ehrenamtliche Arbeit geleistet wurde, trotz dass auch die Zusammenarbeit mit dem Jugenddienst nun besser lief als zuvor, wurde nun von gewissen Volksvertretern aktiv nach Problemen gesucht. Bereits von Beginn an war die neue Konvention mit den Gemeinden an unrealistische Fristen gebunden, die im Übrigen auch im Gegensatz zu den offiziellen Vorgaben in der OJA stehen. Jährlich sollte die Konvention verlängert werden, mit halbjährlichen Rechenschaftsberichten, um möglichst jederzeit den Stecker ziehen zu können. Wir sollten nun Beweise erbringen, wie viele Besucher in den Treffs kommen - am besten mit Namenlisten und Fotos - kurz gesagt, wir bekamen zu spüren, dass dies nicht der Weg war, den die Gemeinden gehen wollen - zumindest nicht mit diesem Verein. Nein, anstatt die Zusammenarbeit mit einem Verein zu stärken, der aus der dorfeigenen Bevölkerung entstanden ist, wird lieber der angeblich kostengünstigere Weg gegangen und die Leitung der Treffs sowie die Anstellung der Jugendarbeiter einem Verein überlassen, zu dem die Jugendlichen, die unsere Struktur nutzen, kaum bis keinen Bezug haben. Dabei hat die Vereinstätigkeit bis heute noch keinen Grund geliefert, dies in Erwägung zu ziehen. Es wurde nun mühsamer als je zuvor, die Freude an der Arbeit schwand zusehends und als sich unser Präsident und Freund entschied, uns zu verlassen, war die Luft raus. Mit einem Ultimatum im Rücken und in Trauer versuchten wir ein letztes Mal das Ruder herumzureißen, es wurde weitergearbeitet so gut es ging, aber die Umstände waren meiner Meinung nach nicht mehr tragbar.

    Ich hoffe sehr, dass die Entscheidungen, die in den letzten Jahren hier getroffen wurden, nicht bereut werden, denn für mich gibt es kein Zurück nur nach vorn. Ich möchte mit diesem Thema abschließen und aus der Situation das Beste machen, es hat keinen Sinn mehr, Energie in diesen Kampf zu stecken, denn die Jugend wird sich ihre Wege suchen und für viele wird der Jugenddienst nicht jenen Freiraum bieten, von welchem wir damals so profitiert haben. Meine Vision ist es, eben diesen Raum zu bieten, und auch wenn es nun mühsamer wird ohne hauptamtlichen Mitarbeiter und wir uns die Räumlichkeiten nun Teilen müssen, bin ich mir sicher, dass es sich lohnt, und dass die nächste Generation von unseren Erfahrungen profitieren wird.

    Hans Fischer
    Vorstandsmitglied „Jugendzentrum Westcoast“

  • Anhang 3: Leitbild des „Jugendzentrums Westcoast“

     (April 2023)

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Salto User
chws@kurtatsch Mo., 06.11.2023 - 08:12

👍👍👍an alle Jugendliche und Erwachsene, die sich für die Jugend einsetzen
👎👎👎an alle jene, die Verantwortung tragen und nicht imstande sind das Wertvollste was wir haben, nämlich unsere Kinder und Jugendlichen angemessen zu unterstützen und zu respektieren...auch wenn sie scheinbar nicht in gängige Schemen passen...
Danke allen, danke Andreas für den Artikel

Mo., 06.11.2023 - 08:12 Permalink