Sprache ist körperlich!
salto.bz: Die Veranstaltung in St. Ulrich zeigt mehrere Zugänge, wie Texte unter die Leute kommen – jenseits von Poetry Slam und klassischer Lesung. Was werden sie als Kurator und Moderator im Gasthaus servieren?
Matthias Vieider: Es werden sechs Literaturperformances von Autorinnen und Autoren aus Südtirol, Deutschland, Österreich und Liechtenstein zur Aufführung kommen. TEXTETC will einen Einblick in die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten gegenwärtiger performativer Literatur bieten – Text mit Musik, Text mit Video, Text mit Video und Körper, etc. Anschließend wird über das Format der Literaturperformance reflektiert und diskutiert.
Der performative Zugang zur Literatur ist nicht neu. Gerade wenn man zum 100jährigen an DADA und das Cabaret Voltaire denkt … Was ist neu 2016? Und warum ist es nicht DADA?
Das stimmt. Schon der Minnesang war performative Literatur, wenn man so will. Wobei ich es sehr schwierig finde, dieses Genre klar einzugrenzen. Ich persönlich begreife Literaturperformances als erweiterte Texte, das heißt, das Hauptaugenmerk liegt auf dem Text, die Performance wird vom Text ausgehend gedacht. Aber die Übergänge zu Theater, Musik oder Film sind fließend. Neu, im Unterschied zu den Spielarten performativer Literatur in der Vergangenheit, sind heute mit Sicherheit die Möglichkeiten, welche mit dem Miteinbezug der digitalen Technologien dazukommen und eine eigene Ästhetik bewirken. Vielleicht wird damit teilweise etwas an Brachialität und Unmittelbarkeit eingebüßt, das heißt jedoch keineswegs, dass es nicht mehr DADA sein kann. Was ist DADA? Eine Kunst? Eine Philosophie? Eine Feuerversicherung?
Beispiel gegenwärtiger Poetry Slam: Da verschwindet für mich das Literarische zunehmend und wird zum Zwecke einer Publikumsverführungskunst missbraucht.
Ist es für viele Autoren und Autorinnen zu einengend sich „nur“ mit Texten zu beschäftigen? Wie essentiell ist das ETC im Titel?
Meiner Erfahrung nach ist definitiv die Tendenz zu beobachten, dass immer mehr SchriftstellerInnen trans- bzw. intermedial arbeiten. Gerade in der sogenannten jungen Szene ist es mittlerweile normal, dass man bei Lesungen Texte nicht nur liest, sondern im Zusammenspiel mit anderen Medien aufführt, oder eben performt. Ob das daher kommt, dass eine klassische Lesung zu beengend oder zu unspektakulär ist und, wenn ja, warum das so ist und welche Rückschlüsse man daraus ziehen kann – darüber werden wir am Freitag in der Traube diskutieren.
Youtube und Facebook prägen eine neue Literatur. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den neuen Medien und dem gegenwärtigen Trend Literatur zu präsentieren?
Zwangsläufig wirken sich diese Phänomene auf das Produzieren und das Präsentieren von Literatur aus. Es entstehen neue Formate, wie etwa Twitter-Gedichte oder Facebook-Romane. Autoren und Autorinnen erstellen filmische Trailer von ihren Büchern und stellen sie auf Youtube. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich nicht. Wo ich aber eine Gefahr, oder eine Schwierigkeit sehe ist, wenn Literatur von außerliterarischen Affekten überlagert wird, wenn sie mit Show und Spektakel aufgepimpt wird. Beispiel gegenwärtiger Poetry Slam: Da verschwindet für mich das Literarische zunehmend und wird zum Zwecke einer Publikumsverführungskunst missbraucht. Und diese Dynamik hat gewiss auch ihre Ursachen in der Reizüberladung, mit der man in den neuen Medien konfrontiert wird. Aber ich habe diesbezüglich einen engen Begriff von Literatur. Man kann das auch anders sehen. Gleich wie man das Format der Literaturperformance aus so einer Perspektive kritisch beäugen kann.
Sie arbeiten selbst gern performativ, etwa mit Seil und Saxophon vom Baum hängend… Muss Literatur auch körperlich herausfordern?
Sprache ist körperlich! Und gute Literatur – so finde ich – arbeitet mit dieser Körperlichkeit. In einigen meiner bisherigen Performances habe ich versucht, diese Materialität, die in einem geschriebenen Text schlummert, zu verdeutlichen, zu entfesseln. Dafür kann es hilfreich sein, zum Beispiel von einem Baum zu hängen und den Text durch ein Saxophon zu sprechen. Vielleicht, wenn man Glück hat, zeigen sich dann bisher unbekannte Aspekte eines Textes, bestenfalls würde er damit erweitert werden.
Weshalb wurde St. Ulrich als Austragungsort gewählt?
Zum einen ist der Veranstaltungsort, das Wirtshaus Zur Traube, ein höchst spannender, quasi heterotopischer Ort, zum anderen finde ich es schön, Peripherien zu bespielen, die eigentlich gar keine sind. Gerade in St. Ulrich gibt es sehr viele, sehr aufgeschlossene und weitsichtige Kunst- und Kulturinteressierte und man sollte viel öfters dorthin fahren und auf die Raschötz-Alm gehen und ein Gewitter erleben. Und anschließend in der Traube mit Matthias Moroder ein Schnäpschen trinken.