Chronik | Autonomie

Veltlin 2016: autonom oder erloschen?

Ein etwas düsterer Ausblick auf Italienische Politik im Jahr 2016 aus alpenländischer Sicht.

Ich erlaube mir, diesen bemerkenswerten Text, der vor ein paar Tagen von der Associazione Autonomia di Valtellina e Valchiavenna unter dem Titel Valtellina 2016 sarà autonomia o estinzione?  veröffentlicht wurde, mit eigenen bescheidenen Mitteln ins Deutsche zu übersetzen. Der Text könnte so ähnlich auch aus den Piemontesischen oder Venetianischen Alpentälern stammen und beschreibt, leider, auf seine Weise den Zustand der Italienischen Politik insgesamt.  Das Wohlwollen, das man der anstehenden Verfassungsreform entgegen bringen sollte, kann man als Alpenländer nicht guten Gewissens entgegenbringen, wenn die Regierung nicht rechtzeitig zum Referendum ihre Hausaufgaben erledigt, wonach es derzeit leider nicht ausschaut.

Genau vor einem Jahr diskutierten wir, welches denn die Hoffnungen für die Autonomie in Valtellina und Valchiavenna sein würden. Das reformierende Delrio-Gesetz  wies den Weg, unsere Provinz (Provinz Sondrio, AdÜ.) in eine Art Super Comunità Montana zu verwandeln, die, verwaltet von Bürgermeistern und lokalen Administratoren, die Bürger der Möglichkeit beraubt, die politische Führung selbst zu wählen. Gleichzeitig hat das Gesetz unserem Territorium, wie auch Belluno (Provinz in der Region Venetien, AdÜ.) und Verbano Cusio Ossola (Provinz in der Region Piemont, AdÜ.), das Prinzip der „Specificità Montana“ zuerkannt. Damit sind weiterreichende, spezifische Kompetenzen verbunden, die dadurch begründet werden, dass das gesamte Territorium gebirgig ist und ans Ausland angrenzt. Als sich Ende Juli die Region (Lombardei, AdÜ.) mit dem Delrio-Gesetz auseinandersetzte, gelang es den Administratoren der neuen Provinz mit der sogenannten Charta von Chiavenna spezifische Zugeständnisse von der Region zugesprochen zu bekommen, die in der Lombardei einzigartig sind. Dies gelang nicht zuletzt durch kräftiges Engagement der Zivilgesellschaft und entsprechenden Verbände. Groß waren die Erwartungen und Hoffnungen auf Selbstverwaltung.

Seitdem mussten wir ein wachsendes Auseinanderdriften der Administratoren erleben, teilweise bedingt duch die aufdringliche Einflussnahme seitens der nationalen Parteien. Das verursachte eine gefährliche Verlangsamung des Reformprozesses, just zur Zeit, als die Vorschläge ausgearbeitet wurden. In Rom wurden und werden Gesetze diskutiert (beispielsweise zur Neuordnung der Wasserversorgung oder Berggemeinden) während unsere Lokalvertreter es vorziehen, sich passiv zu verhalten. Anstatt an den Debatten, die uns direkt betreffen, aktiv teilzunehmen, versäumen sie es, Vorschläge oder Abänderungsanträge einzubringen. Wenn wir nun neben der negativen Einwirkungen der Nationalparteien auch noch die geringen, wenn überhaupt vorhandenen finanziellen Mittel berücksichtigen, dann kann kein anderes Ergebnis zu erwarten sein, als ein abruptes Ende der Bemühungen, die montane Provinz auszugestalten.

Die Verfassungsreform der Regierung Renzi wird dass Bild noch weiter verkomplizieren. Die Reform, die wohl im Herbst einem Referendum unterzogen werden wird, sieht die Löschung der Provinz Sondrio aus der Verfassung vor, was ihre definitive Umgestaltung zu einer subregionalen Verwaltungeinheit vollenden wird – ohne, dass die Administratoren von den Bürgern gewählt werden dürften. Dieser Gefahr muss mit allen Mitteln begegnet werden. Es geht nicht darum, eine bürokratitische Institution zu bewahren, sondern darum, als Bürger von Valtellina und Valchiavenna die Möglichkeit zu erhalten, über Sachverhalte, die in unserem Interesse liegen, mitentscheiden zu können. Denkt nur an das konkrete Risiko, bei dem Kapitel unserer Wasserresourcen nicht mehr mitreden zu dürfen.

Als Konsequenz kommt obendrein noch dazu, dass der Regionalpräsident Maroni wendehalsmäßig uns jetzt gemeinsam mit dem Alto Lario (oberer Comosee, AdÜ.) und dem Valcamonica in eine größere Verwaltungsstruktur einbetten will, die unmittelbar von der Region abhängig ist und nur minimalste Kompetenzen besitzen soll. Wer weiß, welches Ende das von den lokalen Vertretern der Lega Nord noch vor wenigen Monaten bejubelte Sonderstatut genommen hat? Erinnert ihr euch noch an die Autonomieposter der Lega? Wurde dieses Sonderstatut aufgefressen oder hat diese Idee, wie wir vermuteten, nie wirklich existiert? Zum Schaden also auch noch der Hohn.

Das wird kein einfaches Jahr werden für unser Land. Ein Land, das riskiert, von der politischen Landkarte zu verschwinden, und doch gerade jetzt in der Phase der Reformen die Pflicht hat, die Stimme zu erheben und sich Gehör zu verschaffen. Auch, weil es schwieriger werden wird, mit unseren angrenzenden Gebirgsnachbarn (Schweiz und die autonomen Provinzen von Trient und Bozen) mitzuhalten und zu konkurrieren, wo doch Autonomie als deren Erfolgsgeheimnis gilt. Das Verfassungsreferendum Boschi-Renzi wird die entscheidende Schlacht sein. Man wird sich für ein NEIN für diese schlechte Reform entscheiden müssen, um in Sachen Autonomie überhaupt einen neuen Anlauf nehmen zu können und die Auslöschung unserer Provinz noch abwenden zu können. Aber auch, weil diese Reform den demokratischen Raum einengen wird. Weder die lokalen Vertreter des Territoriums, noch die Senatoren und ebenso wenig ein Teil der Kammerabgeordneten werden mehr von den Bürgern gewählt. Unter anderem wird mit dem neuen Senat auch die Notwendigkeit entstehen, die regionalen Wahlgesetze zu reformieren, was wiederum das Risiko bergen wird, unseren einzigen, garantierten Sitz in der Region auch noch zu verlieren.