Das Porträt von Dracula
Nur wenige können mit dem Namen Dracula nichts anfangen. Das liegt an den unzähligen Büchern und Filmen, die sich mit der Figur befassen. Ihren Stoff schöpfen sie weniger aus der realen Person – die hat es tatsächlich gegeben – als aus einem Romanhelden, ersonnen von einem viktorianischen englischen Autor. Bram Stoker schuf mit seinem fiktionalen Protagonisten einen wahrhaftigen Mythos. Gleichzeitig diente sein Dracula als Muster für ein ganzes Genre späterer Vampir- und Horrorfilme.
Stoker warf in Dracula Fakten und Legende wild durcheinander. Seine Titelfigur, aus den rumänischen Karpaten entflohen und als blinder Passagier auf die britische Insel geschmuggelt, hatte ursprünglich nichts mit dem historischen Vlad Draculea gemein. Erst als Stoker ein Werk über dessen Leben las, entschloss er sich, wohl wegen der Geschichten über dessen Grausamkeit, seine Hauptfigur nach dem mittelalterlichen Fürsten zu benennen und den Namen um einen Buchstaben zu kürzen.
Das Buch wurde ein Erfolg, ein viel größerer als etwa Jules Vernes realistischere Bearbeitung des Gruselsujets unter dem Titel Das Karpatenschloss. Auch zahlreiche Spielfilme über dasselbe Thema reüssierten: F. W. Murnaus Nosferatu, Roman Polanskis Tanz der Vampire und Francis Ford Coppolas Bram Stoker’s Dracula, allesamt eng an Stokers literarische Vorlage angelehnt, zogen das Publikum magisch an.
Doch was ist dran an der Existenz des sagenumwobenen Grafen? War Dracula derart blutrünstig, wie ihn Stoker darstellt? Und hat er wirklich seine spitzen Eckzähne in die Hälse seiner Opfer versenkt, um deren Blut zu trinken?
Der exakte Beginn von Draculas Leben ist ähnlich dunkel wie die Wälder, die bis heute seinen Geburtsort säumen. Immerhin lässt sich das Jahr recht genau festmachen: Vlad Draculea kam 1431 im heute rumänischen Sighisoara (ungarisch: Segesvár, deutsch: Schäßburg) zur Welt. Von seinem Vater Dracul erbte er den Titel eines Herrschers (Vlad) über das eigenständige Fürstentum Walachei im Süden Rumäniens. Dynastische Konflikte machten dem Geschlecht ebenso zu schaffen wie das aufstrebende osmanische Reich. Seit der Eroberung Konstantinopels 1453 waren die Türken immer weiter nach Westen und Norden vorgedrungen. Durch geschickte Bündnispolitik und oft brutale Kriegführung, die auch vor der Zivilbevölkerung nicht Halt machte, konnte sich Draculea zunächst gegen die fremde Macht behaupten. Doch schon mit 36 Jahren fand der Fürst den Tod auf dem Schlachtfeld gegen Sultan Mehmed II.
Beliebt beim Volk war Draculea nicht. Allerdings gibt es keine historischen Belege, dass seine Herrschaft wesentlich tyrannischer war als zu seiner Zeit üblich. Schon gar nicht hat er seine Feinde zur Ader gelassen. Der Vampirmythos ist geraume Zeit später entstanden, da war Draculeas Fürstenlinie bereits ausgestorben. Erst im 18. Jahrhundert begann man in Ost- und Südosteuropa, an Vampire zu glauben, an Wiedergänger aus dem Totenreich, die sich durch das Aussaugen junger, meist weiblicher und stets gutaussehender Opfer eine Frischzellenkur verpassten. Das Phänomen war lange Zeit nur regional verbreitet, bis es mit dem Aufkommen von Zeitungen auch nach Westeuropa ausdehnte. Dabei blieb die Lokalisierung auf die Ursprungsregion begrenzt.
Erst Stoker ließ seinen Monstergrafen nach Britannien reisen. Klar, eine geografisch als nah empfundene Gefahr löst andere Reflexe aus als eine fern geglaubte. Entsprechend erfolgreich wurde der Roman. Mittlerweile ist er in 45 Sprachen übersetzt und weltweit -zigmillionen Mal verkauft; allein in Großbritannien erfuhr der Titel mehr als hundert Auflagen. Noch mehr Geld brachten die Rechte an den rund 200 Dracula-Filmen ein. Kein Kassenschlager hingegen wurde Fürst der Finsternis. Die nordamerikanisch-rumänische Koproduktion, Untertitel: Die wahre Geschichte von Dracula, nahm sich die historischen Ereignisse zur Vorlage. Den Nerv der Filmzuschauer traf sie nicht, was vermutlich weniger über die Qualität des Werks als die Erwartungen des Publikums aussagt.
Wer mehr über die Gestalt und Gestaltung des Grafen Dracula erfahren möchte, dem sei ein recht bescheiden daherkommendes, nichtsdestotrotz sehr informatives Sachbuch empfohlen, verfasst von einem emeritierten Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Basel:
Heiko Haumann, Dracula. Leben und Legende. Verlag C.H. Beck, München 2011. ISBN 978-3-406-61214-5.
Das Porträt von Vlad Draculea, das den Buchdeckel des oben erwähnten Titels ziert, ist übrigens im Schloss Ambras zu finden. Es ist das weltweit einzige erhaltene Porträt des realen Draculavorbilds und verdankt sein Überdauern der Sammelleidenschaft Erzherzog Ferdinand II. In seinem Innsbrucker Domizil beherbergte der Tiroler Monarch Bilder außergewöhnlicher Menschen. Nach seinem Tod wurden diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Bram Stocker war nicht
Bram Stocker war nicht Engländer, sondern Ire.