Gesellschaft | Interview

“Das macht mich fassungslos”

Was Philipp Achammer den Verfassern von Hetz-Kommentaren sagen möchte. Wo er die Verantwortung der Politik sieht. Und seine Erwartungen an eine demokratische Gesellschaft

Er ist Landesrat für Integration. Gleichzeitig untersteht ihm auch das deutsche Bildungsressort und jenes, das für die Jugend im Land zuständig ist. Ein Interview mit dem jungen SVP-Obmann Philipp Achammer über die Flüchtlinge in seinem Heimatort Vintl, die Online-Hetze und die Verantwortung der Politik. Über jene Menschen, die sich hinter Bildschirmen und Falschnamen verstecken und deren Kommentare ungeschützt auf Kinder- und Jugendaugen treffen. Und über jene, die sich online und im reellen Leben dagegen stellen.

Als Landesrat für Integration, Bildung und Jugend, aber auch als Bürger sowie ehemaliger Gemeinderat der Gemeinde Vintl: Was sagen Sie zu Initiativen wie “Keine Flüchtlinge in Bruneck und Vintl” oder “Bürgerinitiative Unser Prissian”, die sich auf Facebook gegen Flüchtlinge in den jeweiligen Städten und Dörfern aussprechen?
Ich schicke voraus, dass Ängste und Sorgen gerade in der aktuellen Flüchtlingsfrage immer ernst genommen und offen thematisiert werden müssen. Es wäre vollkommen falsch, dies nicht zu tun. Genauso steht außer Frage, dass die Europäische Union neue Ansätze finden muss, ein wirklich koordiniertes Vorgehen der Staaten ist angesichts der enormen Herausforderung dringend erforderlich – denn die Bevölkerung stellt völlig zurecht die Frage, wie auf die anhaltende Flüchtlingswelle wirksam reagiert werden kann.

Es freut mich wahrzunehmen, dass immer mehr Internetuser Kommentaren widersprechen und entgegentreten.

Wenn aber Ängste und Sorgen – gerechtfertigt oder nicht – in Hass und Hetze umschlagen? Wie es in den sozialen Medien und auf Online-Portalen derzeit passiert?
Es gibt keine Rechtfertigung dafür, wenn auf gewissen Plattformen auf menschenverachtende und verwerfliche Art und Weise diskutiert wird. Das macht mich fassungslos und stimmt mich gleichzeitig nachdenklich. Immer dann wenn im Internet oder am “reellen” Stammtisch die gleiche Würde des Menschen in einer Diskussion verletzt wird, erwarte und erhoffe ich mir entschiedenen Widerspruch und Ablehnung – jede demokratische Gesellschaft darf dann nicht wegschauen oder -hören, sondern muss darauf reagieren.

Die Verfasser von Kommentaren kann ich nur dazu auffordern, ihr Gesicht zu zeigen und offen zu diskutieren und argumentieren.

Haben Sie selbst Erfahrungen mit den Flüchtlingen, die in Ihrem Heimatdorf wohnen?
Bereits 2012 waren in meinem Heimatort Niedervintl 20 nordafrikanische Flüchtlinge im so genannten Fischerhaus untergebracht. Seit einigen Wochen finden dort wiederum 30 Frauen und Männer eine Unterkunft. Die Vorbehalte gegenüber den Flüchtlingen im Dorf waren 2012 deutlich größer als jetzt – den “Fischerbuibm”, so wie die 20 Männer damals genannt wurden, ist es sicherlich gelungen, mit ihrer offenen und herzlichen Art Ängste abzubauen. Davon konnte ich mich immer wieder selbst vergewissern. Wenn nicht mehr über “die” Flüchtlinge gesprochen wird, sondern die ganz persönlichen Geschichten bekannt werden, verändert sich auch schnell die Meinung in der Bevölkerung.

Die Politik ist gefordert, entschiedener Stellung zu nehmen – und zwar alle demokratischen Parteien, ganz unabhängig von ihrer eigenen politischen Einstellung.

Und 2015? Haben sich Menschen mit Bedenken, Sorgen, Ängsten auch an Sie  persönlich gewandt?
Gegenüber den neuen Vintila Flüchtlingen bestehen wenig Berührungsängste: Zahlreiche Vereine haben ihre aktive Mithilfe bekundet, und auch die Flüchtlinge selbst gehen offen auf die Menschen zu, ob auf dem Fußballplatz, bei der Sonntagsmesse oder am vergangenen Sonntag Nachmittag beim Vintila Kirschta.

Zurück zum Internet: Junge Menschen, zum Teil noch minderjährig, sehen sich dort häufig mit wirklich heftigen Inhalten, etwa Kommentaren oder Videos konfrontiert. Und das ungeschützt. Was möchten Sie den Verfassern solcher Inhalte sagen? Was können Eltern, Lehrer und die Gesellschaft insgesamt tun, um Kinder und Jugendliche zu schützen?
Die Verfasser von Kommentaren kann ich nur dazu auffordern, ihr Gesicht zu zeigen und offen zu diskutieren und argumentieren. Jeder wird ihre Ängste, Bedenken und ihre Kritik ernst nehmen – solange sie auch sachlich thematisiert werden. Billige Hetze auf Kosten der Schwächsten ist hingegen ganz entschieden zu verurteilen. Das ist gleichzeitig auch der Appell an all jene, die solche Kommentare (mit)lesen: Nicht stumm zu bleiben, sondern Zivilcourage zu zeigen und Nein zu sagen. Genau das sollten wir Kinder und Jugendlichen mitgeben und zu vermitteln versuchen.

Wenn im Internet oder am “reellen” Stammtisch die Würde des Menschen verletzt wird, erwarte und erhoffe ich mir entschiedenen Widerspruch und Ablehnung

Es gibt bereits eine Kampagne gegen Hetze im Netz, die das Land unterstützt. Wie erfolgreich läuft das Projekt?
Die Initiative wurde gestartet, um eine sichtbare Grenze zu Diskriminierung und Diffamierung im Netz zu ziehen, aber gleichzeitig aufzufordern, selbst in diesem Sinne aktiv zu werden. Es freut mich deshalb wahrzunehmen, dass immer mehr Internetuser Kommentaren widersprechen und entgegentreten. Genauso spielen die Medien selbst in diesem Zusammenhang eine ganz entscheidende Rolle. Sicherlich muss aber noch mehr getan werden.

Ängste und Sorgen müssen gerade in der aktuellen Flüchtlingsfrage immer ernst genommen und offen thematisiert werden.

Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt von hetzerischen Kommentaren, die anfangs noch anonym, mittlerweile immer häufiger unter Klarnamen gepostet werden, zu Gewalttaten. Als trauriges Beispiel muss derzeit Deutschland herhalten. Aber auch Schulamtsleiter Peter Höllrigl warnt vor dieser Entwicklung. Unterschätzt die Politik diese Gefahr? Oder fördern gewisse politische Kreise durch Worte und Taten sogar diesen Prozess?
Die Politik ist ganz einfach gefordert, entschiedener Stellung zu nehmen, wenn eine Diskussion eine gewisse Grenze überschritten hat, die nicht überschritten werden darf – und zwar alle demokratischen Parteien, ganz unabhängig von ihrer eigenen politischen Einstellung.