Gesellschaft | Trauer

"Papa hat sich erschossen"

2008 erschießt sich der Vater von Saskia Jungnikl. 2013 veröffentlichte die Standard Redakteurin einen Text. Das Buch "Papa hat sich erschossen" erscheint am 6. November.

Unter seinen Sachen finde ich eine Menge Zeichnungen und Unterlagen über Kopfschüsse: Wo ist die beste Einschussstelle? Wie ist man sofort tot, entstellt aber nicht sein Gesicht? Er hat sich gut vorbereitet. In der Welt, die nach seinem Tod für mich explodiert, in dieser Mischung aus Wut und Trauer, aus Frust und Aufregung, ist da eine liebevolle Dankbarkeit: dafür, dass er uns davor bewahrt hat, ihn mit halb zerrissenem Schädel sehen zu müssen. Es muss jedenfalls ziemlich gehallt haben, vor dem Haus geht es bergab, Wälder und Wiesen ringsum. Am Horizont ist den ganzen Abend über Wetterleuchten zu sehen. Meine Mutter ist nicht zu Hause. Als sie ihn dann später sucht, fällt sie in der Dunkelheit fast über ihn. Es beginnt zu regnen. Alles Blut wird weggeschwemmt.

"Trauer hat keine Deadline" schreibt Jungnikl, sie fordert Geduld ein. Von sich selbst, von der Gesellschaft.

"Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch, ein Kopfmensch, wenn ich mich zu etwas entschließe, dann will ich es auch schnell umsetzen. Es ist eine harte Lektion, die ich in diesen Jahren nun lerne: Trauer gibt einen Dreck auf meine Ungeduld. In unserer Gesellschaft lernen wir, dass wir nach einer gewissen Zeit wieder zu funktionieren haben. Der Tod hat keinen Platz im Leben. Unsere Gesellschaft drängt das Sterben und das Lebensende immer weiter an den Rand, und dabei ist doch beides immer mehr unter uns. Nur sichtbar gemacht wird es nicht. Dabei wäre das wichtig. Es braucht Raum für Trauer.

Eine Million Menschen wählen jährlich den Freitod, alle 40 Sekunden tötet sich ein Mensch. Auf jeden Selbstmord kommen etwa acht bis zehn Versuche - fünf Prozent aller Menschen versuchen mindestens ein Mal, sich das Leben zu nehmen. Was macht diese Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, mit den Hinterbliebenen, Saskia Jungnikl schreibt:

Die Reaktionen, die ich nach seinem Tod erlebe, sind sehr unterschiedlich. Sein Arzt weint, als ich bei ihm bin. Er weint, weil er es nicht kommen sehen hat und sich die Schuld gibt. Ein Bekannter sagt, mein Vater sei einfach ein Arschloch. Ich solle ihn vergessen, etwas anderes verdiene er nicht. Ein Arbeitskollege sagt, dass jeder Selbstmörder dankbar wäre, wenn man ihn aufhielte. Mein Vater wäre jetzt dankbar, würde er noch leben. Wieso hätte ich es nicht verhindert? Er sagt es mir auf den Kopf zu. Wieso habe ich es nicht verhindert? Wäre ich an dem Wochenende nach Hause und nicht schwimmen gefahren, wäre vielleicht nichts passiert. Wenn ich mir vorstelle, wie mein Vater allein in seinem Zimmer sitzt, wie er verzweifelt, seufzt, aufsteht, die Waffe nimmt und in den Hof geht, schnürt mir das die Luft ab. So weh tut das. 

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gorgias Fr., 31.10.2014 - 09:51

Wenn 5% der Bevölkerung einmal im Leben einen Selbstmord versuchen und mindestens jeder 10. gelingt, dann müssten 0,5% der Menschen durch Selbstmord sterben. Sind solche Zahlen realistisch?

Fr., 31.10.2014 - 09:51 Permalink
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Karl Nickel Fr., 31.10.2014 - 15:13

Antwort auf von gorgias

Genau, letzteres nehme ich an. Aber Sie haben recht, auch das scheint unwahrscheinlich. Trotzdem müsste man dann aber die 7-9 Versuche in Frage stellen, denn mit der Info von 1mio Selbstmorden jährlich lt WHO (siehe Standard Artikel) fällt die andere Schlussfolgerung raus..

Fr., 31.10.2014 - 15:13 Permalink