Gesellschaft | Architekturgespräche

Ein Gespräch unter Architekten

Gewinnerin des Preises für junge Architektur Veronika Mayr und Gewinner des Preises für sein Lebenswerk Oswald Zöggeler über Architektur von gestern, heute und morgen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Oswald Zöggeler und Veronika Mayr
Foto: Foto (Salto.bz)

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

Interview: Nathanael Peterlini

Mitte November wurde zum zehnten Mal der Südtiroler Architekturpreis verliehen. Verschiedene Kategorien wurden im Zuge dessen bewertet, so auch die Kategorie für "Junge Architektur", also Architektur der nächsten Generation. Nur Architekt*Innen unter 35 Jahren dürfen Projekte für diese Kategorie einreichen. Gewinnerin des Preises der jungen Architektur ist Veronika Mayr aus Bozen. Die aufstrebende Architektin ist zurzeit in einem renommierten Architektenbüro in Basel tätig. Neben Veronika Mayr findet man unter den Prämierten auch einen Namen, welcher in Südtiroler Architekturkreisen seit Jahrzehnten einen hohen Bekanntheitsgrad genießt: Oswald Zöggeler. Zöggeler wurde nicht für ein spezifisches Bauwerk ausgezeichnet, sondern allgemein für sein Lebenswerk. Zwei Architekten verschiedener Generationen also, beide im Zuge des jüngsten Architekturpreises prämiert, aber beide in unterschiedlichen Lebens- und Karriereabschnitten. Salto.bz hat ein Treffen mit den zwei Personen organisiert und mit ihnen über Hürden, Herausforderungen und Tendenzen der Architektur gesprochen.

Salto.bz: Was hat sich in den letzten Jahren in der Architektur verändert?

Zöggeler: Verändert hat sich vieles. Als ich als Architekt angefangen habe, gab es in Südtirol noch viel zu bauen, Schulen, Wohngegenden und andere öffentliche Bauten haben noch gefehlt. Heute ist schon vieles gebaut, so richtet sich nun oft der Fokus darauf, etwas umzubauen bzw. umzufunktionieren.

Mayr: Das Umbauen ist heute eine typische Aufgabe, leere Grundstücke gibt es nur noch selten. Meistens hat man ein gewisses Volumen, also einen bestimmten Raum, der bereits bebaut ist und eine Funktion innehat. Mit diesem Raum muss man arbeiten. Es kann sein, dass man das Bestehende abreißen kann, es kann aber auch sein, dass es geschützt ist, dann muss man es in die neue Funktion miteinbeziehen.

"Es kann auch sein, dass die beste Idee von jemandem stammt, der zuvor noch nie etwas gebaut hat" - Oswald Zöggeler

Zöggeler: Was sich auch verändert hat, sind die europäischen Vorschriften. Früher gab es zum Beispiel Ideenwettbewerbe, da haben immer nur ein paar lokale Architekten mitgemacht. Das hat so auch gepasst, weil diese die Gegend und die Leute einfach besser kennen. Jetzt hingegen finden fast nur noch standardisierte europäische Wettbewerbe statt, da muss man alles Mögliche vorweisen. Für einen Auftrag wurde einmal etwa verlangt, in den letzten drei Jahren bei einem Schulbau beteiligt gewesen zu sein. Ich habe in meiner Karriere viele Schulen geplant, aber nicht in den letzten drei Jahren, so konnte ich am Wettbewerb nicht teilnehmen. Diese ganzen Anforderungen nehmen auch jüngeren Architekten die Chance, sich zu beweisen: Es kann ja auch sein, dass die beste Idee von jemandem stammt, der bis jetzt noch nie etwas gebaut hat.

Mayr: Ja, das ist im Grunde die Realität heute. Die Wettbewerbe sind sehr sperrig und eng. Zu Karrierebeginn hat man als junger Architekt noch keine wirklichen Referenzen, da muss man sich erst mal in ein Team reinarbeiten, um an Projekte zu kommen. Man kommt von der Universität und hat auch eine Menge an Ideen, aber in der Praxis kann man sich nicht erwarten, dass man viele Gelegenheiten bekommt, diese Ideen auch umzusetzen. So war es jedenfalls bei mir, bis jetzt habe ich mit meinen Kollegen vor allem an Mini-Projekte gearbeitet, bei denen es sich um Forschung, Ausstellungen oder private Aufträge dreht.

So hat eine derartige Auszeichnung auch nochmal einen ganz anderen Wert?

Mayr: Das stimmt! Gerade in der Welt der Architektur haben Auftreten und Präsenz einen großen Stellenwert. Es ist ein großer Vorteil, wenn man etwas gebaut hat, das man somit auch nennen kann. Die Leute vertrauen eher jemandem, der bereits ein Präzedenzprojekt hat. Dass das Projekt dann auch noch eine Auszeichnung bekommen hat, führt natürlich zu noch mehr Aufsehen.

Zöggeler: Der Bekanntheitsgrad ist definitiv ein großer Faktor in der Architekturszene. Wenn man zum Beispiel Zahnschmerzen hat, geht man in die nächstgelegene Zahnarzt-Praxis, ganz egal, wie unerfahren der Zahnarzt dort ist. Aber zu einem Architekten geht man vielleicht nur einmal im Leben, davor sammelt man jahrelang Geld zusammen. Da will man logisch davor wissen, was der Architekt bereits gemacht hat, deshalb ist so eine Auszeichnung schon sehr wertvoll. In der Architektur muss man immer proaktiv sein, man kann nicht einfach nur ein Büro öffnen und auf Kundschaft warten.

Themen wie der Klimawandel lassen ja auch die Architektur nicht kalt, was halten Sie von den Änderungen, welche der Architektur in den letzten Jahren widerfahren sind?

Mayr: Das Arbeiten um Klima- und Wirtschaftsfaktoren ist zurzeit eine der zentralen Fragestellungen der Architektur. Im Studium hängt es natürlich oft davon ab, welcher Bewegung der Professor angehört, aber insgesamt lässt sich eindeutig erkennen, dass man funktionelle Aspekte von Bauten priorisiert und dadurch künstlerische Aspekte außen vorlässt. In meinem Studium wurde der formale Teil der Architektur, also die Auseinandersetzung mit Form und Materialien, teilweise regelrecht verteufelt, das habe ich auch schade gefunden. Wir haben viel gelernt über Möglichkeiten, Häuser klimaeffizient und billig zu bauen. Aber sobald man etwas lernen wollte zu formalen Aspekten, mit denen man Form und Raum erst schaffen kann, musste man sich das eigenständig zusammensuchen.

"Architektur ist viel mehr als nur Zahlen und Werte" - Oswald Zöggeler

Zöggeler: Ich persönlich finde, dass Architektur in den letzten Jahren aufgrund dieser Änderungen an Qualität verloren hat. Kriterien wie zum Beispiel das „Klimahaus“ oder der Funktionalismus eines Gebäudes sind wichtig und auch notwendig, aber sie allein sind noch lange nicht Architektur. Es ist logisch, dass ein Gebäude so gut wie möglich isoliert sein soll, dass es möglichst billig und klimaeffizient gebaut werden soll, aber zugunsten solcher Daten werden andere Aspekte vernachlässigt und das ist so nicht richtig. In der Architektur geht es etwa auch um die Harmonie des Gebäudes mit der Zone oder den Proportionen. Die Gemeinden schauen heute fast nur noch auf die quantitativ messbaren Parameter wie die Quadratmeter oder die Menge an gespeicherter Wärme, aber ein Haus mit guten Eigenschaften kann architektonisch trotzdem komplett sinnlos sein.

Mayr: Die Schönheit ist definitiv ein fundamentaler Aspekt eines Gebäudes, man will ja Räume kreieren, welche mit jedem Sinnesorgan angenehm wahrnehmbar sind. Dazu zählt auch der Aspekt, dass man Häuser passend zu der jeweiligen Region und Zone baut. Ich habe in meiner Studienzeit ein Jahr in Istanbul als Erasmus-Studentin verbracht, weil mich die Architektur dort interessiert hat. Istanbul ist eine internationale Metropole und dementsprechend breitgefächert ist dort auch die Architektur, welche sich entsprechend der Ressourcen ganz anders entwickelt hat.

"In Südtirol haben wir begrenzte Räume und besondere Ressourcen, diese gilt es, in Bauten miteinzubeziehen" - Veronika Mayr

Heutzutage baut man aber auch oft im sogenannten internationalen Stil, der praktisch überall gleich aussieht und nicht die Ressourcen und klimatischen Eigenschaften des Bauortes miteinbezieht. Aber eigentlich wäre genau das wichtig. Auch mein Master hat sich in diesem Bereich bewegt, ich habe mich damals für einen theoretisch ausgerichteten Master in Holland entschieden, der sich eben unter anderem mit der Frage beschäftigt hat, wie man den Zugang zu einem Ort und dessen Eigenschaften findet, sodass man etwas bauen kann, das zu der vorgegebenen Gegend passt.

Zöggeler: Zu meiner Studienzeit sind noch viele politische Aspekte in die Architektur miteingeflossen, diese musste man immer beachten. Das Flachdach zum Beispiel war italienisch, das Steildach war deutsch. Damals hat mir in Venedig ein Kollege mal gesagt: Du Glücklicher kommst aus einer Gegend, in der man Steildächer bauen darf. Heute sieht das anders aus, viele Grenzen verschwimmen langsam, einige bleiben aber auch noch.

Sie haben zuvor erwähnt, dass das Ausbauen bzw. das Weiterbauen in der heutigen Architektur an immer Bedeutung gewinnt?

Zöggeler: Weiterbauen sollte immer wichtiger werden, gerade auch hier in Südtirol, wo Platz teilweise sehr begrenzt ist. Heute wird oft der Fehler gemacht, einfach neue Zonen dazu zu bauen, anstatt bereits vorhandene Zonen zu verdichten. Nach dem zweiten Weltkrieg ist dieses „Zonen-System“ in Mode gekommen. Das Problem an den neuen Erweiterungszonen ist, dass sie nicht vielfältig sind. Bei den einstigen Bozner Lauben war im Erdgeschoss das Geschäft und oben haben die Besitzer gewohnt. Das Zentrum war somit immer belebt. Jetzt fahren alle in der Früh von der Wohnzone in die Industriezone, die Wohnzone ist also untertags ausgestorben, am Abend fahren alle wieder nachhause, ab 18 Uhr wird die Industriezone zur Geisterstadt. Vom zusätzlichen Verkehr reden wir erst gar nicht. So entsteht Peripheriegebiet, welches überall auf der Welt gleich ausschaut und nicht mit den historischen Zentren vergleichbar sind, welche eine eigene Persönlichkeit und Ausstrahlung besitzen. Anstatt also neue Erweiterungsviertel hinzubauen, sollte man dichter bauen. Das wäre die Alternative!

"Es ist wichtig, mit vorhandenen Bauten zu arbeiten und sie in den Bau eines neuen Gebäudes zu integrieren" - Veronika Mayr

Mayr: Die Dichte der Bebauung ist das, worauf es schlussendlich ankommt. Hier geht es nicht nur um das Volumen an sich, sondern auch um die kulturelle Dichte, also was für eine Art von Gebäuden in einer Zone stehen. Beobachtet man etwa die neu entstehenden Erweiterungszonen in Bozen wie etwa Kaiserau, kann man erkennen, dass sie, abgesehen von den Fassaden, gleich geformt sind. Deshalb entstehen zwischen den Kondominien undeutliche Räume, die keinen eindeutigen Nutzen haben. Sie werden zu Durchgangsräumen, die eigentlich immer leer sind, auch wenn sie vielleicht optisch nicht schlecht ausschauen. So etwas passiert in der Stadt aufgrund der Vielfalt und der untereinander abgestimmten Architektur nicht. Die Gebäude passen zusammen und geben gemeinsam ein ganzes Bild ab, sie sind mehr als nur einzelne Bauten. Dies ist auch eine der größeren Hürden in der Architektur zurzeit: Jeder plant und baut das Seine, es entstehen eine Menge an solitären Gebäuden, aber das Gesamtbild, welches in der Masse entsteht, wird vergessen.

Zöggeler: Diesbezüglich hat die Politik versagt. Früher wurde nur gebaut, wenn man selber was Neues haben wollte bzw. wenn man seinen Grund vermieten wollte. Heute werden 80% der Neubauten von Spekulanten finanziert, welche überhaupt erst zu bauen beginnen, wenn ein Großteil der Wohnungen schon im Vorfeld verkauft ist. Das heißt, dass die Gebäude nur noch zehn Jahre halten müssen, bis die Garantie verfallen ist, man beginnt schlampig zu bauen und nur noch des Geldes wegen.

Was erwarten Sie sich in den nächsten Jahren in der Architektur?

Mayr: Es gibt viele externe Faktoren, welche in die Zukunft miteinfließen, wie zum Beispiel die Wirtschafts- oder die Klimakrise. Um positiv zu bleiben, erhoffe ich mir, dass in der Architektur ein gewisser Pragmatismus durchzieht und man sich auf das Wesentliche besinnt. Man sollte sich fragen, was man wirklich braucht und wie man das erreichen kann. Es gibt viele Gebäude, die zu groß oder nicht gut gebaut worden sind, ich erhoffe mir, dass man hier mit einem seriösen Blick überlegt, was man mit den guten, aber doch knappen Räumen machen kann.

"Man sollte sich mal hinsetzen und genau überlegen, was an Bozen gut ist und was man noch verbessern kann" - Oswald Zöggeler

Zöggeler: Ich erhoffe mir, dass die Politik ihre Fehler einsieht und daraus lernt. Anstatt an den Stadtgrenzen dauernd neue Zonen hinzuklatschen, könnte man das bereits Bestehende verbessern. Ich kann mich noch erinnern, es hat eine Phase gegeben, in der die Lauben immer leerer geworden sind. Die Menschen wollten ins Grüne ziehen und haben sich so außerhalb der Stadt Luxuskondominien gekauft mit mehr Luft und Licht. Damals ist die Gemeinde eingeschritten und hat ein Gesetz eingeführt, nachdem ein Mindestanteil von 30% der Lauben bewohnt sein muss, der Rest durfte als Büro verwendet werden. Nach einiger Zeit hat das Gesetz Wirkung gezeigt und die Leute haben begonnen, die Lauben zu Qualitätswohnungen umzubauen und die Dachgeschosse auszubauen. Es wurden so langfristig gute Wohnverhältnisse geschaffen, ich hoffe, dass so etwas auch irgendwann in den endlosen Peripheriezonen passiert.

Vielen Dank für das Gespräch!