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Gesellschaft | Gewerkschaften

Weihnachtlicher Generalstreik

Ein vorweihnachtlicher Arbeitsausstand entzweit Gewerkschaften und Politik

Es ist zweifellos ein Novum: ein Generalstreik wenige Tage vor Weihnachten und mitten in einer Pandemie mit 135.000  Toten. Für den streitbaren CGIL-Vorsitzenden Maurizio Landini eine willkommene Gelegenheit, um seinem Machtkampf gegen Premier Mario Draghi eine breitere Basis zu verleihen. Der für 16. Dezember ausgerufene Generalstreik hat freilich einen wesentlichen Schönheitsfehler: es streiken nur CGIL und UIL. Nicht die CISL, deren Generalsekretär Luigi Sbarra erklärte, er sehe keinen Grund für einen Generalstreik. Nach dem Treffen mit der Regierung über das Haushaltsgesetz hatten CGIL und UIL ihre Ablehnung bekundet: "Wer weniger hat, bekommt weniger." Die vorgesehenen Massnahmen bei Steuersenkungen, Pensionen, Schule und Industrie seien völlig unzureichend", wetterte Landini. In Wirklichkeit ist dieser (halbe) Streik nur eine Etappe im Machtkampf Landinis gegen Premierminister Draghi. Der CGIL-Vorsitzende war schon immer mehr Politiker als Gewerkschafter. Einer, der scharfe Töne liebt und dem es behagt, in regelmässigen TV-Interviews die Regierung vor sich herzutreiben. Eine Grosskundgebung auf der römischen Piazza del Popolo schien ihm dafür ein geeignetes Mittel. Landini liebt es, sich als Hardliner zu beweisen und hoch zu pokern. Ob das in einer Pandemie ein sinnvoller Weg ist, bleibt dahingestellt.  Sein  ehrgeizigstes Ziel aber ist es, eine Ausnahmefigur wie Mario Draghi in die Knie zu zwingen - auch um den Preis einer unpopulären Entscheidung.  Diesem Zweck dient auch ein Streik der Metaller-Gewerkschaft  Fiom am 10. Dezember und jener der Schulgewerkschaft - immer ohne Beteiligung der CISL. Arbeitsminister Andrea Orlando zeigte sich von der Entscheidung überrascht. Das Haushaltsgesetz habe zweifellos Licht und Schatten, aber die darin enthaltenen Massnahmen stärkten die Rechte der Arbeitnehmer und es werde mehr Geld für soziale Massnahmen  bereitgestellt. Arbeitnehmer, Familien und Rentner würden dadurch gestärkt. 

 

CISL-Chef Luigi Sbarra kritisierte den Streik als "Fehlentscheidung: "E´una scelta sbagliata nel metodo e nel merito. Nel metodo perchè il paese è ancora stretto nell' emergenza pandemica e cerca faticosamente di agganciarsi a una ripresa economica che richiede il massimo di coesione e partecipazione e non il conflitto." Nicht unbedingt überzeugend klingt die Streikbegründung von UIL-Chef Pierpaolo Bombardieri: "Girando nelle piazze e nei luoghi di lavoro la gente ci ha chiesto di fare di più. Per questo  scioperiamo."  

Mit anderen Worten: ein vermeidbares Eigentor.

Vor allem Regierungschef Draghi reagierte sichtlich verärgert auf die Ankündigung der Gewerkschaften. Das römische Tagblatt  Il Messaggero  ortete im  Chigi-Palast fortissima irritazione. Es handle sich um einen empfindlichen Schlag gegen den rapporto di buon vicinato instaurato con le confederazioni. Auch fast alle italienischen Medien üben heute scharfe Kritik an der Entscheidung Landinis. Der Corriere: "La democrazia interna lascia sempre più da desiderare, laddove una decisione pesante come quella dello sciopero generale è stata presa in fretta e furia dai gruppi dirigenti romani senza  quell' adeguata e trasparente consultazione delle strutture di base che avrebbe conferito alle scelte della strana coppia Landini e Bombardieri tutt'altra ligittimazione." Mit anderen Worten: ein vermeidbares Eigentor.

 

 

Angesichts der Hiobsbotschaft OCSE zum Thema Pensionsalter (Link: https://www.rainews.it/dl/rainews/articoli/pensioni-ocse-futura-eta-pen…) hätte ich mir einen weniger tendenziösen Artikel gewünscht, der vielleicht einen Überblick über die Elemente der katastrophalen Zustände des Rentenvorsorgesystems in Italien ("frischestes" Beispiel: Übernahme der maroden Journalisten Rentenkasse INPGI in die INPS) gibt und auf die besorgniserregende Entwicklung der Durchschnittsgehälter in Italien Stellung nimmt ("L’Italia è l’unico paese europeo in cui i salari sono diminuiti rispetto al 1990 Link: https://www.openpolis.it/quanto-guadagnano-in-media-i-cittadini-europei/).
Von den Gewerkschaften würde ich mir wünschen, sie würden ebenso einheitlich argumentieren - vielleicht tun sie es ja und man erfährt es nicht. Vielleicht wäre dies mal ein journalistisch wertvoller Beitrag.

Do., 09.12.2021 - 07:37 Permalink