Silvio Berlusconi verzichtet überraschend auf seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten. "Ho i numeri, ma lascio per senso di responsabilità" erklärte der Ex-Premier sichtlich enttäuscht. Eine Behauptung, die nicht der Wahrheit entspricht. Denn eine von ihm selbst in Auftrag gegebene Sondierung hatte ergeben, dass Berlusconi im Parlament 53 Stimmen zur Erreichung der erforderlichen Mehrheit fehlen. Der viermalige Premier äusserte gleichzeitig den Wunsch, Draghi weiter im Amt des Regierungschefs zu sehen, um Kontinuität zu garantieren: "Ora faremo un nome di ampio consenso e Mario Draghi resti Premier".
Damit ist eine wichtige Vorentscheidung über die politische Entwicklung der kommenden Monate gefallen. Der Vorsitzende des Partito Democratico Enrico Letta äusserte Zustimmung: "Ora tutto è più chiaro e serve un profilo sopra le parti." Giorgia Meloni präzisierte: "Sulla questione di Draghi al Quirinale non abbiamo espresso alcun giudizio e non è stata posta."
Nach dem überraschenden Rückzug Berlusconis ist die Frage, wer zukünftiger Staatschef wird, offener denn je. Nun fordert der viermalige Regierungschef, der in seiner langen Laufbahn vor allem durch Sex-Affären und Strafprozesse von sich reden machte, einen gemeinsamen Vorschlag für das Amt des Staatspräsidenten.
Mit Berlusconis Abtritt endet eine 22-jährige reality show des grössten politischen Selbstdarstellers der letzen Jahrzehnte.
Mit Berlusconis Abtritt endet eine 22-jährige reality show des grössten politischen Selbstdarstellers der letzen Jahrzehnte. Ein Mann tritt in die zweite Reihe, der nach Überzeugung angesehener Medien und ausländischer Kommentatoren längst hätte zurücktreten müssen - wegen politischer Unanständigkeit. Ein eklatanter Interessenkonflikt als TV-Unternehmer, fortdauernde Probleme mit der Justiz, rund 30 Gerichtsverfahren und eine Verurteilung wegen Steuerbetrugs, zwei Scheidungen und ein diskussionswürdiges Privatleben sowie etliche Affären mit Minderjährigen zieren seine diskutable Biographie.
Seine pharaonische Grab-Pyramide im Park von Arcore hat er sich bereits errichtet, er selbst ist längst entzaubert - und mit ihm sein pathetischer Drang nach Jugendlichkeit - in stetiger Begleitung seiner 53 Jahre jüngeren Lebensgefährtin und dem unverzichtbaren weissen Pudel auf der sorgfältig gebügelten Hose.
Nach seinem Abtritt bleiben viele Fragen offen. Warum akzeptierten Millionen Italiener die Erklärungen, die der schillernde Cavaliere selbst zur Rechtfertigung seines politischen und privaten Verhaltens lieferte und es damit schaffte, sich als Opfer der italienische Justiz, der Linken und der gehässigen ausländischen Presse darzustellen ? Vor allem für viele ausländische Beobachter war es durch Jahre unfassbar, dass Berlusconi Italien so lange regieren konnte. Dass seine reality-show akzeptiert und seine Eskapaden nicht nur geduldet, sondern vielfach auch mit Wohlwollen oder Bewunderung betrachtet wurden. Etwa von seiner Lebensgefährtin Marta Fascina:
" Come sempre il presidente dimostra di essere un gigante immerso in un teatro di personalità insignificanti, irrilevanti e passeggere." Forza Italia freilich hat in der laufenden Legislaturperiode bisher 38 Parlamentarier verloren.
Was jetzt noch fehlt, sind Berlusconis Memoiren mit Schilderung seiner unvergesslichen Bunga-Bunga-Erlebnisse.